Mein Weg als Freimaurer. Serge Abad-Gallardo
er uns den Weg gewiesen hat. Den Freimaurern ging es um eine andere Art von »Glück«. Ein »Glück«, das sie mit der sofortigen und uneingeschränkten Verwirklichung ihres persönlichen Vergnügens verwechselten: Das, was die Freimaurerei für echte Freiheit hält, ist in Wirklichkeit blanker Individualismus.
I. Im Schatten der Symbole
Sinn und Tragweite der freimaurerischen Symbole
Die freimaurerischen Symbole sind alles andere als harmlos. Sie öffnen, wie wir noch sehen werden, der Esoterik Tür und Tor. Sie führen den Eingeweihten in ein vollkommen anderes Denk- und Wertesystem hinein.
Vom ersten Tag seiner Initiation stürmt diese neue Welt auf den Adepten ein, der mit jedem Grad neue Symbole entdeckt. Die freimaurerischen Symbole sind materiell – Hammer, Meißel, Maßstab, Winkelmaß, Zirkel, Senkblei, Brecheisen, Schurze, freimaurerische Handschuhe und Schärpen usw. – oder immateriell – Rituale, Platzwechsel in der Loge, Sitzordnung der Freimaurer gemäß ihrem Grad, Sitzordnung der Beamten, Regeln, die es bei Wortmeldungen zu beachten gilt, rituelle Vorrechte der Beamten, Worte, die gesprochen, und Texte, die rezitiert werden, sowie Gesten bei den Zeremonien der Einweihung oder der Erhebung zu den verschiedenen Graden. Auch kosmogonische1 Darstellungen wie die Tierkreiszeichen, der Mond und die Sonne oder metaphysische Darstellungen können Symbole sein: in den blauen Logen etwa das Allsehende Auge oder der Flammenstern, in den Hochgraden das Synthem: ein schwarzer Kreis auf blauem Grund, darin ein weißes gleichseitiges Dreieck, innerhalb dessen sich ein goldener fünfzackiger Stern befindet (im IV. Grad des Geheimen Meisters), und Jupiter, symbolisiert durch einen goldenen Stern hinter dem Platz des Erhabenen Großmeisters2 (im XII. Grad des Großarchitekten).
Man muss wissen, dass das freimaurerische Symbol seiner Natur nach absolut nichts mit der christlichen Symbolik zu tun hat. Letztere dient allein dem Zweck, eine geoffenbarte Wahrheit darzustellen. Das freimaurerische Symbol dagegen soll ein Wissen bewusst machen, das der Eingeweihte unbewusst in sich trägt: »Die freimaurerischen Symbole sind also dazu da, uns die Wahrheiten zu veranschaulichen, die in uns sind. Sie sind ein getreues Abbild dessen, was in unserem Geist vorhanden ist.«3
Daher können die freimaurerischen Symbole auf mehreren Ebenen gedeutet werden: auf einer exoterischen, das heißt erkennbaren und allgemein verständlichen Ebene, und auf einer esoterischen Ebene, die nur im Initiationsgeheimnis zugänglich wird. Die erstgenannte Ebene appelliert somit an den gesunden Menschenverstand der »profanen« Vorstellungswelt. Die zweitgenannte dagegen verweist auf das, was verborgen, geheim und nur dem Eingeweihten zugänglich ist.
Der Schurz, den die Freimaurer tragen, gehört zum Beispiel zu den typischsten Symbolen der Initiationsgemeinschaft.4 Dieses Kleidungsstück – darin besteht seine übliche und profane Funktion – soll seinen Träger schützen. Das ist auch die objektive Bedeutung, die ihm die Freimaurerei beimisst. Darüber hinaus aber hat der Schurz in der Loge einen verborgenen, mehr esoterischen Sinn: Der Lehrling trägt einen Schurz, dessen dreieckige Klappe nach oben zeigt. Profan gesprochen dient dies, wie oben gesehen, dem Schutz des Solarplexus. Doch auf der Ebene der geheimen Symbolik entspricht dieser Teil des Körpers, wie ein besonders eingeweihter und sachkundiger Autor schreibt, »dem Nabelchakra, von dem die ›Gefühle‹ und ›Emotionen‹ abhängen, vor denen sich vor allem der Lehrling schützen muss, um zu jener Heiterkeit des Geistes zu gelangen, die ihn zu einem echten Eingeweihten machen wird«.5 Aus diesem Grund tragen der Geselle und der Meister die Klappe ihres Schurzes nach unten geklappt: Sie verfügen über ein Wissen der Eingeweihten, aufgrund dessen sie nicht länger befürchten müssen, dass ihre Suche von ihren Emotionen und Gefühlen beherrscht wird.
Nach seiner Initiationszeremonie, bei der man ihm sagt: »Hier6 ist alles Symbol« und: »Suche, und du wirst finden«7, hat der Freimaurer genau verstanden, dass außer der Symbolik in der Loge nichts existiert. Die »Wahrheit« selbst wird auf geheime8 Weise vom Symbol getragen, und gleichzeitig gewährt das Symbol Zugang zu dieser freimaurerischen Wahrheit.
Das Symbol spielt in dieser Geheimgesellschaft eine so wichtige Rolle, dass die Freimaurerei ohne ihre Symbole völlig substanzlos wäre: »Man muss sich einfach bewusst machen und als grundlegende Gegebenheit anerkennen, dass dieses symbolische Universum mit der Freimaurerei im Wesentlichen identisch ist, mehr noch, dass diese ohne es jedwede Besonderheit oder gar ihre ganze Bedeutung und ihren eigentlichen Daseinsgrund verlieren würde. Mit anderen Worten, ohne die Symbole und die Dynamik, die sie daraus schöpft, gäbe es die Freimaurerei nicht mehr.«9
Während meiner Zeit als Freimaurer, in der ich mich vom Grad des Lehrlings zu dem eines Großarchitekten hochgearbeitet und unter anderem die Ämter des Schaffners, des Zeremonienmeisters, des Zweiten Aufsehers und des Meisters vom Stuhl bekleidet habe, konnte ich beobachten, dass die Wirksamkeit der Symbole durchaus real ist: Das Symbol wirkt tatsächlich insgeheim auf den menschlichen Geist. Darüber werden wir im vorliegenden Buch noch Genaueres erfahren, wenn wir uns mit einer Symbolik befassen, die in Ritualen organisiert ist: in Ritualen, die einer regelrechten Magie Tür und Tor öffnen und sich sogar ganz unmissverständlich auf Luzifer beziehen. Besagte Symbolik soll, wie ich bezeugen kann – und darum geht es in diesem ersten Teil –, im Zuge ihrer fortschreitenden Aneignung durch den Eingeweihten eine Werteskala, eine Weltanschauung und ein gedankliches Bezugssystem bilden, das der freimaurerischen Doxa10 entspricht und allen Freimaurern gemeinsam ist. Zu demselben Ergebnis kommen übrigens auch die eben zitierten Autoren: »Die Freimaurerei ist ›ein allegorisch bemänteltes und durch Symbole veranschaulichtes moralisches System‹.«11
So steht etwa der schwarz-weiß gekachelte Boden – das sogenannte Musivische Pflaster, eines der wichtigsten Symbole des Freimaurertums – für die Überzeugung, dass die verschiedenen Religionen gleichwertig sind, dass Gott ein Konzentrat sowohl des Guten wie des Bösen ist und dass der Mensch sich seine eigenen Gesetze gibt.
Symbolik des Musivischen Pflasters und des Relativismus
Was bedeutet das Musivische Pflaster?
Das Musivische Pflaster zählt zu den machtvollsten Symbolen der freimaurerischen Doxa. Es bildet – und zwar für alle Grade – eine der Grundlagen, wenn nicht sogar das wesentliche Bezugssystem der freimaurerischen Initiation. Schon am Abend meiner Initiation war ich beeindruckt von diesem rechteckigen Schachbrett aus schwarzen und weißen Fliesen in der Mitte des Tempels, um das herum die drei »Säulen« der Loge angeordnet waren.
Manche Freimaurer haben während einiger meiner Vorträge darauf hingewiesen, dass es sich doch »nur« (sic) um ein Symbol handele. Ich kann an dieser Stelle nur wiederholen, was ich ihnen schon damals geantwortet habe: »Genau! Das Musivische Pflaster ist ein freimaurerisches Symbol. Nicht mehr und nicht weniger!«
Denn ein freimaurerisches Symbol ist niemals harmlos. Und vor allem bezieht sich dieses Symbol auf die unzugängliche freimaurerische »Wahrheit«.
Später lernte ich, dass die weißen und schwarzen Fliesen gleichwertig sind und eine duale Sicht des Universums und der Kräfte versinnbildlichen, aus denen es sich zusammensetzt: »Alles gleicht sich mit strenger Genauigkeit aus […]. Wir wissen das Vergnügen nur zu schätzen, wenn wir es dem Schmerz gegenüberstellen […]. Die Freude misst sich am Leid […]. Der Irrtum manifestiert die Wahrheit. Das Gute zieht uns in dem Maß an, wie das Böse uns abstößt. Das Schöne gefällt uns im gleichen Verhältnis, wie das Hässliche uns Schrecken einflößt. Das Licht nimmt man nur durch den Gegensatz zur Finsternis wahr.«12
Für die Freimaurerei sind diese dualen Kräfte nicht nur eine Verbindung, die unterschiedliche Potenziale minimiert, sondern sie stehen sich auf ewig gegenüber. Meine Erfahrung mit der Freimaurerei verleitete mich zu dem falschen Schluss, dass dieser Kampf den Lebensprozess in Gang setzen würde: »Das Leben geht aus einem permanenten Konflikt hervor. Der Gegensatz ist es, aus dem