Mein Weg als Freimaurer. Serge Abad-Gallardo
zugelassen. Dies ist etwas, worum man auf keinen Fall bitten sollte, denn das ist – wie ich nach meiner Zulassung erfuhr – besonders verpönt. Wer um Aufnahme in die Hochgrade bittet, dessen Gesuch wird ganz sicher abschlägig beschieden und dessen Eingliederungsprozess verlängert sich um mehrere Jahre! Nur die Inhaber der Hochgrade selbst können beurteilen, ob ein Meister »geeignet« ist, in ihre Reihen aufgenommen zu werden.
Der Zugang zu diesem »Allerheiligsten« erfolgt somit ausschließlich durch das Hineingewähltwerden, nachdem man – und zwar über Jahre hinweg – sowohl innerhalb der Loge als auch in der »profanen Welt« von den höchsten Eingeweihten geprüft, beurteilt, gewogen und schließlich für tauglich befunden worden ist. Nachdem man somit, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein, sein Engagement und seine freimaurerische Treue hinreichend unter Beweis gestellt hat.
Ich war also für »würdig« befunden worden, ein Mitglied dieses streng geschlossenen Zirkels zu werden, stand kurz vor dem Abschluss des zwölften Hochgrads und würde aller Wahrscheinlichkeit nach bald für die Zulassung zum XIII. und dann zum XIV. Grad vorgeschlagen werden. Ich war etwas über fünfzig Jahre alt und hatte es innerhalb der Hochgrade schon recht weit gebracht.
Das bedeutete, dass ich im Rahmen meiner freimaurerischen Initiation4 in mehr und mehr undurchdringliche, mehr und mehr esoterische und mehr und mehr geschlossene Kreise vorstieß. Gleichzeitig verfolgte ich meine Karriere als höherer Beamter der Territorialverwaltung: Ich war eine Persönlichkeit, die in den gesellschaftlichen Kreisen einer mittelgroßen Stadt kein geringes Ansehen genoss. Und in der elitären Welt der Hochgrade, der ich nun schon seit mehreren Jahren angehörte, war ich inzwischen in den innersten Bereich vorgedrungen: dorthin, wo die Bezeichnungen der Grade mehr als wohlklingend sind.
Nachdem ich zu den Hochgraden eines »Geheimen Meisters«, »Vollkommenen Meisters«, »Geheimen Sekretärs«, »Vorstehers und Richters«, »Intendanten der Gebäude«, »Auserwählten Meisters der Neun«, »Erlauchten Auserwählten der Fünfzehn« und »Erhabenen Auserwählten Ritters« aufgestiegen war, hatte ich schließlich den Hochgrad »Großarchitekt« erreicht. Schon bald würde ich zum XIII. Grad – »Meister vom Königlichen Gewölbe« – und sodann zum XIV. Grad gelangen und mich »Auserwählter Maurer« nennen dürfen. Damit würden mir die Grade eines »Ritters vom Osten oder Ritters vom Schwert« und »Meisters von Jerusalem«, ebenfalls des »Ritters vom Osten und Westen« offenstehen bis zum Erreichen des XVIII. Grades, des »Ritters vom Rosenkreuz«. Anschließend würde mein freimaurerischer Werdegang es mir erlauben, zu den höchsten Initiationsstufen, nämlich bis zum XXX. und letzten Grad der schwarzen Freimaurerei aufzusteigen, dem »Ritter Kadosch«.
Andererseits jedoch verspürte ich seit mittlerweile einem Jahr ein echtes Wiederaufleben meines katholischen Glaubens5 – und machte auch keinen Hehl daraus. Meine Schwestern und meine Brüder beobachteten mich: die einen mit der Nachsicht, die man für einen leichtsinnigen Freund empfindet, die anderen mit der Skepsis, die man angesichts eines unbegreiflichen Phänomens an den Tag legt, wieder andere schließlich mit dem Argwohn, den man dem künftigen Verräter entgegenbringt.
An jenem Abend verfolgte ich zwar die Phasen der Zeremonie, doch ich war zerstreut und in Wirklichkeit mit meinen Gedanken woanders. Ich spürte, dass es Zeit wurde, einen anderen Weg einzuschlagen.
Denn was war die Freimaurerei, verglichen mit der Barmherzigkeit des Herrn und der zärtlichen Liebe Mariens, die mir in Lourdes direkt an der Grotte von Massabielle ein so machtvolles Zeichen hatte zukommen lassen? Sie hatte mir die Augen und vor allem das Herz geöffnet. Von diesem Augenblick an erkannte ich all die Fehler, die ich begangen hatte, und all das andere, das der Götzendienst mit sich gebracht hatte: Ich war entschlossen, mein Leben wieder in die Hände der seligen Jungfrau Maria zu legen.
Plötzlich drang wie ein Blitz, der den Nebelschleier meiner Gedanken zerriss, die Stimme des »Meisters vom Stuhl« an meine Ohren:
»Meine Schwestern und meine Brüder, wir schreiten nun zur Illumination des Tempels. Schwester Grand Expert6, walten Sie Ihres Amtes.«
Die Schwester Grand Expert streckte dem »Meister vom Stuhl« eine Flamme entgegen, der von seinem Stuhl aus drei weitere Kerzen daran entzündete und feierlich verkündete:
»Möge das Licht der Weisheit unsere Arbeiten erleuchten!«
Die Schwester Grand Expert umrundete den gekachelten Fußboden mit einer beinahe militärisch anmutenden Vierteldrehung an jeder Ecke und begab sich vor den »Ersten Aufseher«, der mit Nachdruck erklärte:
»Möge das Licht der Stärke unsere Arbeiten tragen!«
Anschließend rief der »Zweite Aufseher«, den die Schwester Grand Expert nach einer weiteren Runde erreicht hatte, in prophetischem Ton:
»Möge das Licht der Schönheit in unseren Arbeiten erstrahlen!«
Die Schwester Grand Expert nahm ihren Platz in unmittelbarer Nähe zu den Lehrlingen wieder ein und löschte ihre Kerze.
Der Meister vom Stuhl schloss mit allergrößter Feierlichkeit: »Das Licht bleibt immer unter uns. Nehmt Platz, meine Schwestern und meine Brüder!«
Erst dann durften wir uns endlich setzen, damit das Ritual seinen Fortgang nehmen und die Tempelarbeit endgültig und offiziell eröffnet werden konnte.
Die Beamten, das heißt insbesondere der Meister vom Stuhl, der Erste und der Zweite Aufseher, führten das Ritual in der gewohnten Weise durch. Ich kannte es auswendig, denn ich hatte unzählige Male daran teilgenommen und es als Inhaber diverser Ämter – darunter auch das des Meisters vom Stuhl – selbst durchgeführt. Seit meiner Initiation waren mehr als zwanzig Jahre vergangen!
Freimaurer … sein oder nicht sein?
Ein Wort schoss mir plötzlich durch den Kopf: »Mummenschanz!«
Danach schweifte ich wieder ab, bis mich der letzte Satz des Rituals aus meinen Gedanken riss. Der Meister eröffnete nun offiziell die Arbeit:
»Meine Schwestern und meine Brüder, wir sind nicht mehr in der profanen Welt, wir haben unsere Metalle an der Pforte des Tempels abgelegt. Erheben wir unsere Herzen in Brüderlichkeit und mögen sich unsere Blicke dem Licht zukehren. Nehmt Platz, meine Schwestern und meine Brüder!«
Sodann begann die Tempelarbeit mit dem Rechenschaftsbericht über die letzte Sitzung, der Tempelarbeit des ersten Grades, den Abstimmungen und der Durchführung der Tagesordnung.
Meine Abzeichen waren für mich zu dem geworden, was sie de facto auch waren: Dekoration, nichts weiter! Nichts, was auch nur die geringste spirituelle Bedeutung besessen hätte! Und dasselbe galt auch für dieses Ritual, diese Atmosphäre, diese Symbole, die mich bisher ausgefüllt und getragen hatten: Dies alles hatte in meinen Ohren einen zunehmend falschen Klang.
Inzwischen wusste ich, welche Realität sich hinter der Maske der guten Absichten verbarg, die die Freimaurerei zur Schau trug. Ich hatte schon seit einiger Zeit geahnt, was sich unter diesem Deckmantel verbarg. Doch es hatte noch eine Weile gedauert, bis ich mir endlich darüber im Klaren war. Mit sanfter, aber unwiderstehlicher Gewalt hatte unsere heiligste Mutter mich zu ihrem geliebten Sohn geführt: »Um zu richten, bin ich in diese Welt gekommen: damit die nicht Sehenden sehen und die Sehenden blind werden« (Joh 9,39).
Zunächst hatte ich noch gehofft, dass ich meinen Schwestern und meinen Brüdern helfen könnte, die Liebe des Herrn kennenzulernen: Ich wollte in der Loge bleiben, um von meinem Weg der Befreiung zu erzählen. Doch dann musste ich mir mein Scheitern wohl oder übel eingestehen: Meine Brüder und meine Schwestern waren wie »gefesselt«, gefangen. Sie, die von »Freiheit« sprachen, waren in Wirklichkeit Sklaven und durch das freimaurerische Ritual und Lehrgebäude schlichtweg »konditioniert«. Sie, die von »Gleichheit« sprachen, wachten eifersüchtig über ihre Geheimnisse und bildeten eine Welt für sich, von der die armen »Profanen« ausgeschlossen