Magie aus Tod und Kupfer. Lisa Rosenbecker
wieder. Aber es wäre gelogen, zu behaupten, dass ich meine Magie nicht vermisste.
Dass ich mich nicht mehr wie ich selbst fühlte.
Eine warme Brise wehte zwischen den Säulen hindurch und legte sich wie eine Decke um uns.
Nephele musterte mich und richtete den Blick dann auf das Mondbecken.
»Es wird eine Anhörung vor dem Kýklos ton Dekatrión geben«, sagte sie. Der Zirkel der Dreizehn, bestehend aus der Ischyró Mágo und zwölf ihrer engsten Vertrauten, würde mich mit allerhand Fragen zu meinen Vergehen löchern und im Anschluss ein Urteil fällen, das meinen weiteren Lebensweg bestimmen würde.
»Ich habe es befürchtet.«
»Wir müssen die Regeln befolgen, Ilena. Wir alle. Normalweise hätte ich den Zirkel schon einberufen, aber wir haben allerhand zu tun, um den Scherbenhaufen aufzuräumen, den der Krieg hinterlassen hat. Deswegen wird es eine Weile dauern. Bis dahin solltest du dich bedeckt halten.«
»Ich bin die Zurückhaltung in Person«, murrte ich und fing mir damit einen tadelnden Blick der Mágissa ein. Ihre Augen glitzerten verschwörerisch, sie kannte mich schon fast mein ganzes Leben lang und wusste, was für eine dreiste Lüge das war. Dabei stimmte es im Moment sogar. Nur dass ich mich nicht freiwillig von den Missionen fernhielt, zu denen meine Freunde aufgebrochen waren. Gern hätte ich Rya, Nick und Xanthos bei der Suche nach den ehemaligen Ágalmas geholfen, doch ohne meine Macht nützte ich ihnen nichts. Zunächst hatte ich mehrere Wochen gebraucht, um mich von den Nachwirkungen der Magie-Opferung zu erholen, und danach waren mir nicht mal die einfachsten Zauber gelungen. Ich hatte es immer wieder versucht und war jedes Mal gescheitert, bis Rya mich nach Hause schickte und mir Ruhe verordnete.
Ich hatte sie im Stich gelassen. Ich biss mir auf die Lippe, als ich von der Enttäuschung über mich selbst übermannt wurde.
Nephele seufzte. »Steig in das Becken.«
Sie gab mir einen sanften Stups nach vorn. Ich riss die Augen auf und starrte sie an.
»Es wird nicht klappen«, sagte ich mit zitternder Stimme und hasste es, wie flehend ich klang. »Ich kann das Mondbecken nicht füllen.«
»Darum geht es nicht. Steig hinein. Ich möchte etwas ausprobieren.«
Die Ischyró Mágo schloss die Augen und eine Welle aus Magie überrollte mich. Die zahlreichen Male auf ihrer Haut leuchteten auf, hüllten sie und mich in einen goldfarbenen Schimmer. Sie errichtete eine magische Barriere um uns, einen Schleier, der uns vor den Augen anderer abschirmen würde, sollte sich doch jemand in die Tempelhalle verirren. Es war mir schon immer leichtgefallen, in Magie zu lesen. Zu erfühlen, welcher Natur sie war und welches Ziel sie verfolgte. Das schien mir als Einziges geblieben zu sein, wenn auch eingeschränkt und nicht immer zuverlässig.
Es lohnte sich nicht, der Mágissa zu widersprechen. Ihren Befehlen zu folgen war unsere Pflicht. Ich nickte und streifte die Klamotten ab, da man das Becken nur völlig entkleidet betreten durfte. Als ich mit nackten Füßen die mit Mondsicheln verzierten Fliesen betrat, erinnerte mich das Gefühl des glatt polierten Steins an den Tag der Éfesi, der Berufung durch Hekate.
Nach dem ersten Novizinnen-Jahr musste sich jede junge Frau diesem Ritual stellen. Dadurch leitete man die nächste Stufe der Ausbildung ein, an deren Ende man sich Mágissa nennen durfte. Im Zuge der Berufung erhielt man seine Gabe von Hekate und mit ihr die für immer sichtbaren goldenen Symbole auf der Haut. Wenn das Ritual erfolgreich abgeschlossen wurde, stand man von da an in der Gunst und im Dienst der Göttin der Magie. Damals war ich aufgeregt gewesen, voller Vorfreude auf all das, was kommen würde.
Ich drehte mich um und sah zu der Statue von Hekate auf. Sie schien übermächtig, riesengroß und kalt. Mittlerweile wusste ich, dass sie in Wirklichkeit nicht so angsteinflößend aussah und ihre Gestalt wandeln konnte, wenn sie wollte. Dennoch hatte ich nicht weniger Respekt vor ihr; wenn überhaupt, fürchtete ich mich umso mehr vor ihrem Urteil.
Rya, die anderen und ich hatten mit der Beendigung des Krieges auch ihre Wünsche erfüllt, aber ob das reichte, um die weiteren Vergehen aufzuwiegen, vermochte ich nicht beurteilen. Ich bat die Göttin im Stillen um ihre Vergebung.
Mein Blick schweifte zum Sockel der Statue. Dort hatte Medea gestanden, als ich zum ersten Mal in das Becken gestiegen war, kurz vor ihrer eigenen Berufung. Unsere Herzen hatten vor Aufregung gebebt, doch nur ein Lächeln von ihr und ich hatte mich beruhigt. Mit Entschlossenheit hatten wir beide dem Ritual entgegengeblickt. Zwei Waisenmädchen, die endlich ihre Rollen in der Welt gefunden hatten.
Heute war der Platz leer.
Mit starrer Miene wartete Nephele darauf, dass ich bereit war.
Ich wandte mich dem Becken zu, nickte und die Ischyró Mágo hob die Arme. Ihre Male leuchteten heller, wie Sonnenstrahlen, die ihre Haut durchbrachen. Ein onyxfarbener Schimmer überzog ihre Augen und verdeckte das Graublau ihrer Iriden. Messingfarbene Sprenkel blitzten darin auf, ähnlich Sternen im Nachthimmel.
»Dóste tis ti mageía. Alláxte ti mageía. Deíxte mas ti mageía.«
Schenk ihr Magie. Verwandele sie. Zeig sie uns.
Nepheles Zauber stob über mich hinweg, brachte meinen Körper zum Zittern.
Ich sah hinunter zu meinen Füßen. Aus den mondförmigen Verzierungen aus Citrin quoll eiskaltes, nachtfarbenes Wasser hervor und schlängelte sich durch die Fugen der dunkelblauen Fliesen bis hin zu meinen Zehen. Ich zuckte zusammen, als die Kälte mich traf. Bibbernd verschränkte ich die Arme vor dem Oberkörper und beobachtete das Wasser dabei, wie es das Becken Stück für Stück eroberte.
Als es mich kniehoch umspielte, kam es zur Ruhe. Ich spürte die Zehen nicht mehr, der Rest meines Körpers kribbelte voller Erwartung. Schwer atmend ließ ich die Arme sinken. Sich vor der Magie oder der Kälte verstecken zu wollen war aussichtslos.
Und gleich würde es warm werden. Heißer, als mir lieb war. Zwei Worte von mir und das Ritual würde beginnen. Jenes, das ich vor etlichen Jahren schon einmal hinter mich gebracht hatte. Jenes, das eigentlich keine Mágissa zwei Mal durchlebte. Aber wenn Nephele es so wollte …
Ich lächelte schwach, als ich mich an die erste Begegnung mit Rya erinnerte, in der sie sich in einer ähnlichen Position befunden hatte wie ich jetzt. Sie hatte sich meiner Magie hingeben müssen, keines ihrer Geheimnisse war mehr sicher gewesen.
»Eímai étoimos.« Ich bin bereit.
Zunächst war da nur ein verspieltes Blubbern, das in große Blasen überging wie bei kochendem Wasser. Verzögert breitete sich die Hitze aus, die meine Zehen zum Kribbeln brachte. Der Drang, die Füße aus dem Wasser zu ziehen, wurde übermächtig, doch ich kämpfte dagegen an, auch wenn es sich anfühlte, als würde ich bei lebendigem Leibe gekocht. Schweißperlen liefen mir vom Nacken auf den Rücken und kitzelten mich. Der Dampf des heißen Wassers erschwerte das Atmen. Doch ich musste still halten.
Das Toben ebbte ab. Meine Mundwinkel zuckten, als der nächste Schritt folgte. Wie Fäden, die jemand aus der glatten Oberfläche zog, bahnte sich das Wasser seinen Weg meine Beine empor. Es kitzelte, als die dünnen Gebilde an meiner Haut hinaufkrochen, sie umschlossen. Es gefiel mir, wie die Stränge meinen Körper überzogen, jeder für sich, und wie sie am Ende doch eine Einheit, ein Netz formten, das mächtiger war, als es den Anschein hatte. Schon damals hatte es mich fasziniert, weswegen meine Zauber davon inspiriert waren.
Wabernde Fäden aus Licht, ein verzauberter roter Faden, an dem ich mein Wissen aufbewahrte … Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Das letzte Mal, dass ich meine Magie in dieser Form gesehen oder genutzt hatte, war viel zu lange her.
Die Wasserstränge krochen über meinen Bauch und meine Muskeln zuckten zusammen. Je näher sie dem Herzen kamen, umso langsamer wurden sie, als wollten sie meinen Puls nicht verschrecken. Als lauschten sie darauf, was mein Innerstes ihnen zu sagen hatte. Die flüssigen Fäden wuchsen weiter. Sie erreichten mein Tattoo und hielten einen Moment inne. Mir stockte der Atem.
Nach