Magie aus Tod und Kupfer. Lisa Rosenbecker

Magie aus Tod und Kupfer - Lisa Rosenbecker


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Brüste seine Flügel ausbreitete. Der Kopf des Insekts ruhte auf dem unteren Brustbein, darüber leuchteten eine Mondsichel, ein Kristall sowie filigrane geometrische Symbole, die dank Tinte und Magie meine Haut verzierten.

      Jede Linie wurde vom Wasser erobert und abgetastet, bevor es sich auf dem Rest meines Körpers ausbreitete. Wenig später bedeckte es meine Haare und hielt mich von Kopf bis Fuß gefangen. Ich hatte die Augen geschlossen und lauschte auf meinen Herzschlag, neben dem ich das Pulsieren einer fremden Macht spürte.

      Bei meiner ersten Berufung waren zu diesem Zeitpunkt die goldenen Symbole auf meiner Haut erschienen, das untrügliche Zeichen dafür, dass Hekate mir Magie schenkte. Ein Kribbeln hatte mich damals bis in die Zehenspitzen erfüllt.

      Heute geschah nichts.

      Ich öffnete die Augen nicht, als das Wasser sich zurückzog und mich freigab. Ich öffnete sie auch dann nicht, als es wieder in den mondförmigen Vertiefungen versickerte.

      Ich zitterte. Vor Kälte, vor Wut und Enttäuschung. Es schien so, als wäre ich Hekates Gabe nicht mehr würdig. Ich schluckte, um die Tränen zu bezwingen, die sich ihren Weg an die Oberfläche bahnten.

      Ein sanfter Schwall prickelnder Wärme deutete an, dass die Ischyró Mágo einen Zauber wirkte. Im nächsten Moment schmiegte sich ein weiches Handtuch um meinen Körper. Ich griff danach und zog es enger, ehe ich mich endlich dazu durchrang, zu Nephele aufzusehen.

      Sie hatte den Kopf schief gelegt und lächelte traurig. Großartig. Wenn sie so viel Mitleid zeigte, dann stand es schlimm um mich. Doch sie entschuldigte sich nicht. Wieso auch, nichts von alledem war ihre Schuld.

      Nur wusste sie jetzt, dass ich vermutlich auch in Hekates Augen eine Versagerin war. Jemand, der es nicht verdiente, eine Mágissa genannt zu werden. Wie sich das auf die Entscheidung des Zirkels auswirkte, konnte ich mir vorstellen.

      Ich trocknete mich ab und schlüpfte in meine Klamotten.

      Mit einem Wink ihrer Hand ließ Nephele das nasse Handtuch verschwinden. »Ilena, ich werde dich rufen lassen, sobald der Zirkel für deine Anhörung bereit ist.«

      Ich schnaubte. »Wozu? Ihr könnt mich auch gleich verstoßen.«

      Nephele zog verärgert die Brauen zusammen. »Das ist nicht die einzige Option, und das weißt du.«

      »Entschuldigt«, erwiderte ich zerknirscht, was mich genauso überraschte wie die Mágissa. Sie blinzelte heftig, ehe sie sich fing. Sie löste den magischen Schleier auf, den sie um uns errichtet hatte. Eine kalte Böe erfasste mich und bescherte mir eine Gänsehaut.

      Nephele faltete die Hände vor dem Schoß ineinander. »Ich will ehrlich zu dir sein. Ich denke nicht, dass der Zirkel dich verstoßen wird, zumal ich ein Wörtchen mitzureden habe. Allerdings befürchte ich, dass dein Traum, selbst einmal Ischyró Mágo zu werden, in unerreichbare Ferne gerückt ist. Ich bedaure das sehr.«

      »Wirklich?«

      »Du bist intelligent, kreativ, stur und loyal. Und du hast Magie auf eine Art beherrscht, von der andere nur träumen können. Du wärst eine hervorragende Anführerin gewesen.«

      »Mit der Betonung auf gewesen«, erwiderte ich kraftlos. Der Gedanke war mir selbst schon gekommen, es überraschte mich nicht, das Nephele ebenfalls so dachte. Dass es ihr leidtat, das allerdings war unerwartet und tröstete mich mehr, als ich zugeben wollte. Sie hatte mir gegenüber nie etwas Vergleichbares geäußert, mir war nicht klar gewesen, dass sie meinen Traum nicht lächerlich fand. Umso härter traf es mich, dass er niemals wahr werden würde.

      Ich verneigte mich vor ihr. »Ich danke Euch.«

      Als ich aufsah, hatte Nephele den Kopf zur Seite gedreht und blickte mit zusammengezogenen Brauen in einen entfernten Winkel des Tempels. Ihre Augen zuckten umher, schienen in den Marmor­schatten zu lesen.

      Ihr Mund verzog sich, als wäre sie sich nicht sicher, ob sie die Gedanken, die ihr gerade durch den Kopf gingen, laut aussprechen sollte. Ich wartete, bis sie sich einen Ruck gab.

      »Dieses Jahr könnte alles für uns verändern«, begann sie mit schwacher Stimme, in der ein Funken Aufregung mitschwang, das Hochgefühl einer neuen Erkenntnis. »Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit dienen wir in keinem Krieg mehr und sind nicht an die Schicksale anderer gebunden.«

      Ich schluckte ein »Habe ich Euch doch gesagt« hinunter und wartete geduldig auf weitere Ausführungen. Trotzdem sah Nephele mir die Genugtuung an und warnte mich mit messingblitzenden Augen und einem kaum wahrnehmbaren Mundwinkelzucken vor zu viel Übermut.

      Doch stumme Duelle lagen mir nicht.

      Ich tippte mir spielerisch ans Kinn. »Und das ausgerechnet in diesem für die Mageía Mésa bedeutsamen Jahr. Zufall? Oder Schicksal?« Die Ischyró Mágo so offensichtlich zu necken brachte mir keine Pluspunkte ein, aber ich konnte nicht anders. Sie ließ sich zu einem gequälten Grinsen hinreißen.

      »Du hast es also nicht vergessen«, sagte sie und ging an mir vorbei zu ihrem Thron, um sich zu setzen.

      »Wie könnte ich?« Seit einem Jahr war bei den Mageía Mésa kaum ein anderes Thema so präsent wie die Feierlichkeiten zum Gedenken an den Gründungstag Laginas vor dreitausend Jahren. Die Stadt war vor einer Ewigkeit von der Menschheit in Vergessenheit geraten, doch ihr Erbe und ihre Ehre lebte in uns weiter, uns gab es nur dank ihr.

      Nicht dass ich daran gedacht hätte, als ich mich auf Ryas Seite stellte, es war nicht von Belang für mich gewesen. Aber vielleicht stimmte es den Zirkel milde, wenn er es als Schicksal auslegte, dass ausgerechnet in diesem Jahr etwas so Unvorhergesehenes passiert war.

      Nephele drohte mir mit dem Zeigefinger. »Du solltest über unsere Geschichte weder spotten noch sie zu deinen Gunsten verbiegen. Schon gar nicht in Anwesenheit des Zirkels.«

      »Das werde ich nicht. Ich werde nur die Wahrheit sagen.« Etwas anderes war ohnehin nicht möglich, sie würden mich bis auf den Grund meiner Seele ausleuchten, wenn sie wollten, und jede Lüge aufdecken.

      Zufrieden nickend und mit den Fingern auf die Marmorlehne tippend musterte Nephele mich. »In jedem Ende steckt auch ein Neuanfang. Es ist ein schöner Gedanke, gerade in diesem Jahr den Geist von Lagina wieder stärker aufleben zu lassen. Es ist sogar notwendig. Viele Mädchen und Frauen wissen derzeit nicht wohin. Damals wurden sie in der Tempelstadt willkommen geheißen und beschützt, nun müssen wir in Bellmont dasselbe tun. Wir müssen die Mageía Mésa zusammen­halten. Aber du solltest dich erst mal nur um dich kümmern und auf die Anhörung vor dem Zirkel vorbereiten.« Ihr Mund blieb einen Spalt offen stehen. Als wollte sie noch hinterher­schieben: Und mach dich auf das Schlimmste gefasst. Sie rang stattdessen nach anderen Worten, fand sie. »Auch du wirst immer willkommen sein, Ilena. Wenn du es möchtest.« Nephele neigte den Kopf zum Abschied. Sie drehte ihre Handflächen nach oben und darin begann es zu leuchten. Gerade noch schnell genug kniff ich die Augen zusammen, ehe ein gleißend helles Licht erstrahlte. Als es erlosch und ich die Lider hob, war ich zu Hause.

      Kapitel Zwei

      Im Wohnzimmer warf ich mich auf den mit Kissen bedeckten Boden. Von dem Chaos, das Rya mit ihrer Wassermagie vor einigen Monaten angerichtet hatte, war nichts mehr zu sehen. Das verdankte ich Nick, Linos und Xanthos, die nach Ryas Versteinerung tat­kräftig angepackt und aufgeräumt hatten. Bereits damals, noch bevor ich meine Magie geopfert hatte, war mir das Zaubern schwergefallen. Als Rya zur Statue erstarrt und ich davon überzeugt gewesen war, nie wieder mit ihr reden zu können … Das hatte Erinnerungen hervorgerufen, die mich jedes Mal überwältigten, egal wie lange sie schon zurücklagen.

      Wieder glitt meine Hand zum Hals, wieder griff ich ins Leere. Ich hätte mich nicht als materialistisch bezeichnet, aber dass eine Kette mir so sehr fehlte …

       Du vermisst nicht die Kette, Ilena.

      Super, jetzt verhöhnte ich


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