Selbstanzeige. Martin Zingg

Selbstanzeige - Martin Zingg


Скачать книгу
er könnte weitergehen und sich im Gehen die Schulter befühlen. Aber die Frau tut schon, als kennten sie sich. Sie ist schön, denkt er. Nicht nur in diesem spärlichen Licht, vermutlich. Sie spürt seine Verlegenheit, sie ahnt wohl, dass er ihr zufällig gefolgt ist, ohne Ziel, von hinten ist sie nur ein Mantel, in einer Stadt wie dieser lernt man sich nicht auf der Straße kennen. Also müssen sie etwas unternehmen, was der Begegnung jede Zufälligkeit nimmt. Er bleibt stehen. Wie festgewachsen. Eine nähere Betrachtung der Umstände verbietet sich. Die Szene ist nun schon zu intim. Allfälligen Passanten gegenüber ist man bereits ein Paar, das eine Kleinigkeit zu regeln hat. Aus dieser Intimität kann man sich nur mit planmäßiger Grobheit wieder herausschälen. Und die kann man sich nur vornehmen. Deux cents, wiederholt sie, er kann dem nichts entgegenhalten, er kann nur verlegen lächeln. Hinter ihr her zunächst, dann neben ihr, die entspannt wirkt, kommen sie auf ein Haus zu, ein Hotel vielleicht, wie soll er das wissen, es ist neun Uhr abends, da zu gehen, wo er jetzt geht, hat er sich nie vorgenommen. Laut werden wollende und sich ans Rednerpult drängende Einwände werden niedergeschrien, von wem, es ist nicht mehr auszumachen. Wer kann sich schon wehren gegen sich selbst. Er muss auf seine Beine achtgeben, die Treppe will wegrutschen. Etwas wie Wellengang drückt in die Kniekehlen. Jetzt sollten sich doch Hitzegefühle einstellen, in sanften Schwaden ausbreiten, als träte er ins Helle, ins Warme, alle Wünsche verlieren ihre Konjunktivfesseln, strahlender Indikativ unterwirft alles, ab sofort bitte alles im Präsens, aus der Schulterhöhe verzweigen sich die Nerven angenehm radierende Kraftströme, Erwartungen dehnen sich auch wie erwärmtes Gas. Nichts geht nicht mehr. Wie heißt du, fragt sie. Er murmelt etwas, mit dünner Notwehrstimme, als käme es auf Namen nun gar nicht mehr an. In diesem Augenblick. Er könnte viel mehr empfinden, wenn er allem zugestimmt hätte, was ihn hergeführt hat. Das Blut weicht knisternd aus dem Kopf. Eigentlich ist er ja gar nicht gefragt worden, irgendeine Abteilung hat für ihn entschieden. Nach einer kleinen Prügelei in seinem inneren Stellwerk, in das er nie lange genug hineinsehen kann, ein Parlament mit unbeschränkter Redezeit, jeder Körperteil hat seine Lobby, eine lange Schlange führt zum Rednerpult, von wo dann plötzlich abgestimmt wird. Immer Zufallsmehr. Unregierbarkeit.

      Er geht die Treppe hoch, so ist entschieden worden, das Vierminutenlicht ist ausgegangen und von ihr, die tänzelnd die Stufen nimmt, wieder angekickt worden. Er müsste doch jetzt, was denn sonst. Tut er aber nicht.

      Das Bett ist hoch genug, sofort klappt ihr schmaler Oberkörper nach vorn, hinunter, von dem leuchtend rosa Überwurf weg, ihre Hände zerren an den Schuhen, hohe Absätze, sie schält winzige Füße heraus, die weißen Socken legt sie auf einen Stuhl. So schnell ist er nicht. Und nicht so sorgfältig. Er zupft an seinen Schuhbändeln, die einen wirren Knoten bilden. Sie schüttelt unterdessen ein wenig den Kopf und lässt die schwarzen Haare wedeln, mit der rechten Hand greift sie hinein, als suche sie etwas. Sie steht nun am Fenster und hält sich am Vorhang. Die Wand ist mit weinrotem Stoff tapeziert, er merkt das erst jetzt. Auf ihre plötzliche Frage ist er nicht gefasst. Er hält die Socken in der Hand, er weiß noch nicht wohin damit. Ob er schon mal habe hinunterspringen wollen, vom vierten Stock. Ob er sie hinunterstoßen werde. Sie spricht, als frage sie nach der Zeit. Kein emsiger Mund. Offenbar traut sie seinen Schwierigkeiten nicht. Sie hält seine Mühe mit den Schuhen für den Aufschub einer Mordtat. Er gibt sich, von den nackten Füßen aufblickend, alle Mühe, kein entsetztes Gesicht zu machen. Augenbrauen nicht verschieben. Nicht so aussehen, als sei man ertappt worden bei einer Sache, von der man am liebsten nichts verraten hätte. Während sie sich eine Zigarette anzündet, versichert er ihr, dass er keineswegs daran denke, sie zum Fenster hinauszustoßen. Er ist noch nie in die Lage gekommen, einen solchen Satz zu denken und aufzusagen.

      Jetzt kommt er sich vor, als müsse er gleich antreten zur Prüfung. Der Mond hängt tief im Zimmer. Alle Hasen erfroren im Schnee. Die Stimme ruft er umsonst zu Hilfe. Die Haare halten zu ihm. Die Ohren.

      Ein Jucken im Fuß, er kann sich erleichtert aufrichten und beide Hände dorthin entsenden. So ist es noch einen Augenblick lang auszuhalten. Wenn sie wenigstens den Mund aufrisse, egal wofür. Sie ziehen die Kleider wieder an. Als läge darin eine Lösung. Jeder tief in seinem Kleidersack.

      (Ich bin ein ängstlicher Mensch, aber deswegen nicht ungeschickt. Mein Büro verlasse ich oft erst spät am Abend, später als ich unbedingt müsste, den Code der Alarmanlagen kenne ich längst, denn ich bleibe länger im Büro als die meisten meiner Kollegen. Das ist bekannt. Mehr Lohn erhalte ich deswegen nicht. Oft bin ich ganz allein in der Abteilung «Controlling», der Chef weg, der Computer online. Die Kollegen sind misstrauisch, ich zweifle manchmal, ob wir überhaupt noch Kollegen sind. Es ist nicht so, dass ich meine Arbeit nicht einteilen kann und deswegen so lange an ihr habe. Es ist auch keineswegs so, dass, wie inzwischen als müder Scherz herumgeboten wird, mir mehr als die Hälfte des Aktienkapitals dieser Firma gehört und ich unter der Tarnung meines auffallenden Eifers den Betrieb von innen her kontrolliere und abends nochmals alle Abschlüsse über meinen Bildschirm flimmern lasse. Absolut lächerliche Idee, das. Ich hätte, wäre es so, den Betrieb längst auf meine Gattin überschrieben und dies allen verschwiegen.)

      Конец ознакомительного фрагмента.

      Текст предоставлен ООО «ЛитРес».

      Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.

      Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.

/9j/4AAQSkZJRgABAQAAlgCWAAD/4QCMRXhpZgAATU0AKgAAAAgABQESAAMAAAABAAEAAAEaAAUA AAABAAAASgEbAAUAAAABAAAAUgEoAAMAAAABAAIAAIdpAAQAAAABAAAAWgAAAAAAAACWAAAAAQAA AJYAAAABAAOgAQADAAAAAQABAACgAgAEAAAAAQAAB5ygAwAEAAAAAQAAC7gAAAAA/+0AOFBob3Rv c2hvcCAzLjAAOEJJTQQEAAAAAAAAOEJJTQQlAAAAAAAQ1B2M2Y8AsgTpgAmY7PhCfv/AABEIC7gH nAMBIgACEQEDEQH/xAAfAAABBQEBAQEBAQAAAAAAAAAAAQIDBAUGBwgJCgv/xAC1EAACAQMDAgQD BQUEBAAAAX0BAgMABBEFEiExQQYTUWEHInEUMoGRoQgjQrHBFVLR8CQzYnKCCQoWFxgZGiUmJygp KjQ1Njc4OTpDREVGR0hJSlNUVVZXWFlaY2RlZmdoaWpzdHV2d3h5eoOEhYaHiImKkpOUlZaXmJma oqOkpaanqKmqsrO0tba3uLm6wsPExcbHyMnK0tPU1dbX2Nna4eLj5OXm5

Скачать книгу