Auf Herz und Nieren. Stefan Loß

Auf Herz und Nieren - Stefan Loß


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sich selbst davon überzeugen, ob er tatsächlich wieder sehen konnte. Wild wedelten sie mit den Händen vor seinen Augen hin und her. Er schaute sie an, seine Augen folgten den Händen und Tränen liefen seine Wangen herunter. Es war offensichtlich, dass er sehen konnte, und die Reaktion seiner Freunde ließ eindeutig darauf schließen, dass sie das für ein echtes Wunder hielten.

      Ich bin selbst ein skeptischer Mensch, was spontane Heilungswunder angeht. Ich habe es gelernt, alles zu hinterfragen und auf seine Glaubwürdigkeit zu checken. Aber das hier war schon sehr überzeugend. Anscheinend war ich Zeuge eines echten Wunders geworden. Gott kann Blinde sehend machen. Schließlich steht das ja auch explizit so in der Bibel. Warum sollte Gott das nicht auch heute noch können? Schließlich ist er der Herr des Himmels und der Erde.

      Nach wie vor hoffte ich, dass Gott auch an mir ein Wunder tun würde. Ich selbst und viele andere beteten dafür. Aber ich war auch realistisch genug, dass mir klar war: Ich musste mich mit dem Verlauf der Krankheit und dem, was kommen wird, gründlich auseinandersetzen, so oder so.

      Für den 19. Mai 2015 hatten Sabine und ich den Vorstellungstermin in der Transplantationssprechstunde der Uniklinik Heidelberg vereinbart. Es sollte eines von vielen Gesprächen werden, bei denen Weichen gestellt wurden.

      Während der ganzen Zeit haben wir beide voll gearbeitet. Sabine im öffentlichen Dienst, ich als Teamleiter, Redakteur und Moderator bei ERF Medien, einem christlichen Medienunternehmen. Oft sind wir in dieser Zeit an unsere physischen und psychischen Grenzen gestoßen. Es war ein monatelanger Ausnahmezustand. Und wir waren froh, dass wir nicht allein unterwegs waren. Viele Freunde und Bekannte haben immer wieder nachgefragt, wie es geht, haben uns aufmunternde Nachrichten geschickt, an uns gedacht und für uns gebetet. Und wir waren uns sicher, dass unser guter Gott mit uns beiden Gutes im Sinn hatte. Eine Wahrheit, an der wir uns so manches Mal richtig festklammern mussten, mit letzter Kraft und dem letzten Funken Hoffnung.

      In einer Zeit, die so herausfordernd ist, bekommen manche Verse aus der Bibel wieder eine ganz neue Bedeutung. Zum Beispiel dieser Vers aus dem Buch Jesaja:

       „Fürchte dich nicht, denn ich stehe dir bei;

       hab keine Angst, denn ich bin dein Gott!

      Ich mache dich stark, ich helfe dir,

       mit meiner siegreichen Hand beschütze ich dich!“

       Jesaja 41,10 (Hfa)

      In Zeiten wie diesen liest man solche Verse anders. Ich habe solche starken Worte gebraucht. Und Gott hat sie mir zugesprochen – immer wieder und immer wieder zur rechten Zeit.

       Lebendspende – eine Option für uns?

      Dann war es endlich so weit – unser erster Termin in Heidelberg. Am 19. Mai 2015 fuhren wir also zur Transplantationssprechstunde der Uniklinik. Auf dem Rückweg von Heidelberg wollten wir dann ein Treffen der PKD Regionalgruppe in Darmstadt besuchen. Kurz vorher war ich Vereinsmitglied geworden und wir wollten gerne den Vereinsvorsitzenden und seine Frau persönlich kennenlernen.

      In der Nierenklinik in Heidelberg hatten wir an diesem Tag unser erstes Gespräch zum Thema Transplantation. Der Arzt fand meine Werte noch nicht dramatisch, deshalb wunderte er sich, warum wir jetzt schon gekommen waren. Wir erklärten ihm, dass wir gerne jetzt schon wissen wollten, ob eine Lebendspende bei uns überhaupt medizinisch infrage kam. Nachdem er meine Nierenwerte begutachtet hatte, meinte der Arzt, dass wir noch einige Jahre Zeit hätten, bis es ernst werden könnte. Trotzdem schickte er uns in die Immunologie der Uniklinik zum Gewebetest. Dort wurde uns beiden Blut abgenommen und es wurde eine Gewebekultur angesetzt, um zu testen, ob eine Transplantation möglich war. Entscheidend war, wie viele Antikörper mein Blut gegen das Blut von Sabine bilden würde. Es folgte ein weiteres Arztgespräch mit dem Hinweis, dass wir in den nächsten Tagen den Befund per Post geschickt bekommen würden. Auf dem Rückweg legten wir wie geplant eine Pause in Darmstadt ein, bevor wir nach Hause fuhren.

      Mein elektronischer Tagebucheintrag am Abend des 19. Mai lässt ahnen, was für einen Tag wir erlebt haben:

       „22.20 Uhr zurück zu Hause nach einem wirklich verrückten Tag. Start um 10.00: Termin für ein erstes Vorgespräch wegen Transplantation in Heidelberg. Das Ergebnis: Wir können uns noch Zeit lassen mit dem Eingriff, weil meine Werte noch recht gut sind (Kreatinin unter 3, Nierenfunktion 25 %; kritisch wird es bei 10 bis 12 %).11 Unsere Blutgruppenunverträglichkeit könnte zum Problem werden, wenn ich zu viele Antikörper habe. Das wird in den nächsten Wochen gecheckt, deshalb haben wir beide Blutproben in Heidelberg gelassen.

       19.00 Uhr Treffen der Selbsthilfegruppe PKD in Darmstadt. Überraschung: von 10 Leuten sind 5 Christen. Sehr tolle und tiefe Gespräche – auch über Nieren. Wertvolle Infos zum Thema: Unverträglichkeit und die Sicherheit: Wenn Gott will, dann geht es. Das war echt sehr überraschend.

       Mein Fazit: Herausfordernder Tag, etwas frustrierend, weil wir uns mehr Infos erhofft hatten, aber ganz grundlegend das Gefühl: Hier führt Gott Regie. Und das tut einfach richtig gut.“

      Bei dem Termin in Heidelberg wurden wir umfassend über die Risiken aufgeklärt, die mit einer Transplantation verbunden sind. Sabine war von Anfang an bereit gewesen, mir eine ihrer Nieren zu spenden, aber natürlich ist ein solcher Eingriff für sie als Spenderin mit Gefahren verbunden. Und bevor die Ärzte eine gesunde Frau operieren und sie zur Nierenspenderin machen, sind viele Untersuchungen und Gespräche nötig. Den Ärzten war es sehr wichtig, vor allem Sabine als Spenderin gründlich über die Risiken aufzuklären. In unserem Fall war das so gründlich, dass wir beide nach dem Gespräch nervlich ziemlich am Ende waren.

      Aber die Botschaft war angekommen: Eine Lebendspende ist immer ein Risiko und es kann zu Komplikationen bei der Spenderin kommen, und sie kann dabei sterben. Um dieses Risiko so klein wie möglich zu halten, war es nötig, dass Sabine sich vorab einem gründlichen medizinischen Check unterzog.

      Jedes Gespräch und jede dieser Untersuchungen hätten für unsere Pläne das Aus bedeuten können. Mit dieser Spannung würden wir beide die nächsten Monate leben müssen.

      Mehr als eine Woche dauerte es, bis wir die Untersuchungsergebnisse aus Heidelberg bekamen. Am 27. Mai, abends um 20.17 Uhr, habe ich eine Nachricht an unsere Kinder geschickt.

       „Wir haben heute die Blutuntersuchungsergebnisse aus Heidelberg bekommen. Es sieht sehr gut aus. Ich habe nur sehr wenige Antikörper gegen Muttis Blut. Heißt: Transplantation ist möglich und hat sehr gute Chancen. Wir sind erleichtert. Küsse, Papa“

      Heute noch habe ich einen dicken Kloß im Hals, wenn ich das lese. Schließlich hätte alles auch ganz anders kommen können. Aber: Gott sei Dank gab es grünes Licht für die Transplantation. Der erste große Schritt war geschafft.

      Die nächsten Monate waren von zunehmenden Schmerzen und Entzündungen geprägt. Eine falsche Bewegung und ich spürte ein plötzliches heftiges Stechen: ein deutliches Signal, dass wieder eine Zyste geplatzt war. Das hieß in der Regel: Blut im Urin und kolikartige Schmerzen. Ich hatte zunehmend Schwierigkeiten, mich so zu bewegen und hinzusetzen, dass es mich nicht irgendwo unangenehm drückte. In der Hüftgegend war ich breiter geworden. Manch ein Stuhl wurde für mich zum Folterinstrument. Aber der absolute Höhepunkt waren Autofahrten in einem engen Sportsitz. Genau da, wo meine Nieren saßen, waren die Sitze eng an den Körper angepasst worden, damit es einen bei schnellen Kurvenfahrten nicht aus dem Sitz drückt. Mich drückte es schon beim Geradeausfahren so, dass ich mich eigentlich gar nicht zurücklehnen wollte. Bei jedem Schlagloch und jeder Bordsteinkante schoss es mir in die Seiten, dass ich fast Tränen in den Augen hatte.

      Für mich ging es jetzt vor allem darum, mich mit den zunehmenden Einschränkungen der Krankheit zu arrangieren. Das betraf bei Weitem nicht nur das Autofahren. Menschen haben für mich gebetet und mir (vorsichtig) die Hände aufgelegt. Ja, ich hätte mir ein Wunder gewünscht, aber der Realist in mir war stärker. Es wurde


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