P wie Pole. Ein Roman aus Schwaben. Elsbeth Schneider-Schöner

P wie Pole. Ein Roman aus Schwaben - Elsbeth Schneider-Schöner


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Gesicht, sie riss die Augen weit auf und umklammerte das Kreuz, als wäre es eine Waffe. »Ostleute?«, flüsterte sie fassungslos.

      Georg nickte. »Woher genau sie kommen, wusste Erich nicht. Er fährt in ein paar Tagen nach Bietigheim und holt sie ab.«

      »Ich – wir dürfen keine Ostarbeiter auf dem Hof haben, Georg! Keine Polen, keine Russen! Hast du ganz vergessen, wie Karl – ich will sie nicht hier haben, verstehst du? Ich will es nicht! Das sind doch keine Menschen, das sind Bestien! Bestien, die meinen Karl ermordet haben. Wie kannst du auch nur einen Augenblick darüber nachdenken, diese Mörder auf unseren Hof zu holen?«

      Georg Fahrner rutschte auf seinem Stuhl hin und her und sah hilfesuchend zu Eva hinüber.

      »Schau sie dir doch erst einmal an, Mama«, sagte Eva. »So schlimm werden sie schon nicht sein, und wenn doch, dann können wir ja immer noch den Ortsbauernführer rufen oder den Rössler.« Rössler war der Dorfpolizist. »Ich denke, wir müssen dankbar für jede Hilfe sein, die wir bekommen können.« Sie nickte zu den Zwillingen hinüber. »Hans, Emil, macht euch fertig fürs Bett.«

      »Ooch, Eva! Es hat noch nicht mal acht geläutet!«

      Sie zog die Augenbrauen hoch. »Ich habe Herrn Voss Bescheid gesagt, dass ihr morgen wahrscheinlich noch nicht in die Schule gehen könnt, aber wenn ihr so lange aufbleiben könnt, dann seid ihr wahrscheinlich doch schon wieder gesund, oder?« Die Jungen rutschten hastig von ihren Stühlen.

      »Ich bin immer noch ganz schlapp auf den Beinen«, behauptete Emil, und Hans fasste sich vielsagend an den Bauch und gab ein dramatisches Stöhnen von sich.

      »Wir gehen ja schon … Liest du uns noch was vor? Davon werden wir bestimmt schneller wieder gesund.«

      »Aber danach ist Ruhe, klar? Was wollt ihr hören?«

      »Ein Märchen, Eva, bitte! Das mit dem kalten Herz! Oder Rübezahl, das hast du ewig nicht mehr gelesen!«

      Eva schüttelte entschieden den Kopf. »Das ist zu lang. Das tapfere Schneiderlein oder Hänsel und Gretel, sucht euch eins davon aus …«

      Als sie zum Spülen zurück in die Küche kam, war der Streit noch in vollem Gange.

      »Nein. Das kannst du nicht von mir verlangen, Georg. Das nicht. Dass ich mit diesen Leuten unter einem Dach … diesen Leuten, die unseren Karl …« Eva wünschte sich, sie könnte verschwinden, aber es wäre undenkbar gewesen, ihre Mutter mit der Aufräumarbeit nach dem Essen allein zu lassen.

      »Aber Marie, bitte sei doch vernünftig! Die Arbeiter, die jetzt kommen, haben doch nichts damit zu tun, gar nichts! Und sie müssen ja auch nicht im Haus wohnen, ich denke, wir können ihnen neben dem Stall einen Schlafbereich abtrennen, in der alten Weberwerkstatt.«

      »Hast du nicht gehört, wie die – wie die sind? Dreckig und verlaust, und wenn du nicht aufpasst, stoßen sie dir ein Messer in die Brust!«

      »Marie, bitte erinnere dich, wie es war, als die Franzosen angekommen sind! Was für Ängste wir alle hatten. Und kaum waren sie ein paar Wochen da, war das alles wie weggeblasen, und es war klar, das sind Menschen wie wir! Und mit den Leuten jetzt wird es genauso sein.«

      »Menschen wie wir!« Marie Fahrner kniff die Lippen zusammen und wich zurück. »Woher willst du das wissen, Georg Fahrner? Woher? Hast du Augen und Ohren zugemacht in den letzten Monaten, keine Zeitung gelesen?«

      »Hör mir doch auf mit diesem Zeug. Als würdest du sonst glauben, was in dem Schmierblatt steht! Ich sag dir, wenn wir jetzt keine Unterstützung bekommen, kriegen wir die Ernte nicht eingebracht, dann weiß ich nicht mehr, wovon wir leben sollen! Ich weiß nicht mal mehr, ob ich den Hof noch halten kann! Willst du das?«

      Eva sah erschreckt von einem zum anderen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, ihre Mutter vorher jemals so aufgebracht, ihren Vater so laut erlebt zu haben, konnte sich an überhaupt keine Auseinandersetzung zwischen ihren Eltern erinnern, bei der sie dabei gewesen wäre. Georg Fahrner war das Oberhaupt der Familie, das war die selbstverständliche Grundlage, auf der das ganze Familienleben sich abspielte. Was er entschied, das galt, und alle hatten sich danach zu richten, selbst wenn sie eigentlich anderer Meinung waren. Joachim war bisher der Einzige gewesen, der dagegen aufbegehrt hatte; dass ihre Mutter das auf einmal in Frage stellte und so verbissen ihren eigenen Standpunkt verteidigte, zeigte deutlich, wie tief ihre Angst war.

      »Mama«, begann Eva zögernd, aber ihr Vater machte nur eine abwehrende Handbewegung, legte seiner Frau den Arm um die Schultern und zog sie an sich, auch das eine Geste, die Eva noch nie bei ihren Eltern erlebt hatte – Zärtlichkeit zwischen Mann und Frau gehörte nicht in die Öffentlichkeit.

      »Du musst keine Angst haben, Marie, ich passe schon auf euch auf.«

      5

      »Sie haben Glück, Ortsbauernführer Maimann, Wachtmeister Rössle – «, Lagerleiter Demmler warf einen kurzen Blick auf den Zettel in seiner Hand, »Maifeld, genau. Ortsbauernführer Maifeld. Vor drei Tagen haben wir eine Lieferung bekommen, junge, kräftige Leute zumeist.« Er wandte sich mit einem leicht herablassenden Lächeln an die beiden Männer ihm gegenüber. Der Kleinere der beiden, ein rundlicher Großvatertyp mit Apfelbäckchen und stoppeligem Kinn, fühlte sich in seiner Uniform sichtlich unwohl und kratzte sich immer wieder verstohlen den Hals unter dem verknitterten Kragen, der andere wirkte so, als könnte er vor lauter Wichtigkeit kaum laufen, dabei waren seine Stiefel ungeputzt und die Jacke vermutlich überhaupt noch nie gewaschen worden. So waren sie alle, dachte Demmler. Unter der Uniform, unter einer dünnen Schicht von nationalsozialistischem Lack blieben sie Bauern ohne wirkliche politische Überzeugung, denen die deutsche Sache im Grunde herzlich egal war, solange nur die Sonne reichlich schien und die Sauen fett wurden.

      Er seufzte. »Alle vorgesehen für einen Einsatz im Bereich des Arbeitsamtes Ludwigsburg.«

      Der kleine Dicke meldete sich zu Wort; er war der Ortsbauernführer.

      »Wir brauchen Leute, die anpacken können, am besten welche mit Erfahrung in der Landwirtschaft … Und Deutsch. Ein bisschen Deutsch müssen sie schon verstehen, wir können ja kein Polnisch.«

      »Das kann keiner. Wozu auch? Eine sterbende Sprache.« Demmler stand auf. »Lassen Sie uns rausgehen. Ich habe die Polacken schon antreten lassen. Sie können sich selbst einen Überblick verschaffen und die Leute aussuchen, die Sie haben wollen.«

      Der übliche Gestank schlug ihm entgegen, als er nach draußen trat – Polengestank, versetzt mit Russen- und Ukrainergestank, die unverkennbare Duftmischung aus Jauche und Schweiß, Kohl und Zwiebeln. Selbst wenn seine Wäsche frisch aus der Reinigung kam, hing der Gestank immer noch darin. Hinter Berlin, irgendwo im Warthegau, musste eine Welt des dauerhaften Gestanks beginnen. Die Leute, die dorthin abkommandiert waren, konnten einem leidtun. Er selbst hatte wenigstens ein Haus in der Stadt, wo er dieses Gesindel nicht sehen oder riechen musste. Sie standen in einem großen Kreis auf dem Appellplatz, eine Truppe grauer, zerlumpter Gestalten, mit denen man Kinder hinter den Ofen hätte jagen können. Er gab einem der Wachleute einen Wink; der Mann zog seine Trillerpfeife heraus und ließ einen Pfiff ertönen. Zufrieden registrierte Demmler, wie auch die beiden Bauern an seiner Seite zusammenzuckten.

      »Antreten in einer Reihe, ihr Polenschweine! Und keinen Mucks!« Wie immer hatten nur die wenigsten die Kommandos verstanden; diese Polen waren ein ungebildetes Gesindel, dessen Interessen über Fressen und Saufen nicht hinausging. Vermutlich waren die meisten gerade einmal in der Lage, den eigenen Namen zu schreiben. Immer einmal wieder hatten sie auch Holländer und Franzmänner hier im Lager, manchmal sogar Norweger, und obwohl diese Leute meist einen rebellischen Zug hatten, waren sie Demmler doch um Längen lieber als diese Untermenschen aus dem Osten, die sich vermutlich noch nie im Leben mit Wasser und Seife gewaschen hatten. Er betrachtete die Jammergestalten vor sich und wartete. Erst, nachdem die paar zumindest ansatzweise Gebildeten die Order übersetzt hatten, kam Bewegung in die Meute, und die Leute bildeten einen Kreis. Demmler straffte die Schultern.

      »Polnische Fremdarbeiter in deutschen Landen! Ihr wisst, dass ihr hier nach Deutschland gekommen


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