Eine Geschichte des Krieges. Группа авторов

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Die Konferenz weckte erstaunliche Erwartungen in der Öffentlichkeit, Tausende Briefe und Petitionen strömten nach Genf. Vergebene Mühe: Eröffnet in einer Atmosphäre, die durch den kürzlichen Einmarsch Japans in die Mandschurei bereits verdüstert war, versandete die Konferenz in den ersten Wochen in endlosen technischen Diskussionen zwischen Experten, deren Hauptaufgabe nicht darin bestand, die Abrüstung zu fördern, sondern darin, die Aufrüstung der jeweils von ihnen vertretenen Nationen zu rechtfertigen. Die »Machtübernahme« Hitlers im Januar 1933 und der folgende Rückzug Deutschlands von der Konferenz und aus dem Völkerbund schwächten die Friedensbemühungen weiter. Die Verhandlungen schleppten sich in geradezu allgemeiner Gleichgültigkeit über Monate hin. Der geringe Glaube der Staaten, dass die Abrüstung umgesetzt würde, ließ keinen Zweifel mehr aufkommen: Der »absolut letzte Krieg« würde nicht der letzte bleiben, die 1914 bis 1918 Geopferten waren sehr wohl umsonst gestorben. Der bereits seit Ende des Ersten Weltkrieges in der Entstehung befindliche »Pazifismus neuen Stils« (Norman Ingram), der in den 1930er Jahren an Fahrt aufnahm, reagierte auf diese düstere Erkenntnis: Er lehnte den Ansatz der legalistischen und moderaten Pazifist*innen ab, die seit dem 19. Jahrhundert die Herstellung des Friedens durch graduelle Entwicklung der rechtlichen Normen postuliert hatten. Die Zurückweisung der Mäßigung erklärt auch, dass ein Teil der Friedensaktivist*innen Ende der 1930er Jahre angesichts der Bedrohung durch Hitler die Flucht nach vorne antrat.

      In dieser Zeit des Massenpazifismus war die Vielfalt an Motiven so groß wie die Vielfalt an Mobilisierungsformen: ehemalige Soldaten, kommunistische Aktivist*innen oder Umstands-Pazifist*innen, die sich aus ideologischen Gründen, Angst oder schlicht politischem Kalkül gegen einen etwaigen Konflikt mit Hitler-Deutschland aussprachen und gar dem schändlichen Münchner Abkommen von 1938 applaudierten. Die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen fand nachhaltig Eingang insbesondere in die angelsächsischen Länder, als Mahatma Gandhis Gewaltfreiheitslehre zunehmend Anhänger*innen im Westen fand: War Registers’ International machte es sich zur Aufgabe, Gandhis Worte über seine diversen nationalen Ableger zu verbreiten. Vereinigungen wie die Peace Pledge Union im Vereinten Königreich forderten von ihren zukünftigen Mitgliedern, der Unterstützung des Krieges und der Beteiligung daran auf alle Zeiten zu entsagen: Ende der 1930er Jahre hatten mehr als 130 000 Briten und Britinnen einen Eid auf diese Form von absolutem und gewaltfreiem Pazifismus abgelegt.

      Die Ratlosigkeit bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war umso größer, als durch das pazifistische Ideal über zwanzig Jahre lang Massen mobilisiert worden waren. Wie immer drängte der Krieg den Friedensdiskurs vollständig an den Rand, gerade in den direkt beteiligten Ländern. Andernorts, in den Vereinigten Staaten zum Beispiel, wandte sich der Aktivismus entschieden isolationistischen Positionen zu: Zum Preis nationaler Abschottung, so die Einschätzung, ließ sich der Frieden wahren – bis das Land mit dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour am 7. Dezember 1941 selbst zum Angriffsziel wurde. In Europa verursachte der Krieg eine schwere Gewissenskrise, in der die grundsätzliche Beziehung der pazifistischen Lehre zur Gewalt und zum Handeln hinterfragt wurde. Wäre es im Namen des Weltfriedens nicht besser, dem Nationalsozialismus möglichst bald Einhalt zu gebieten, bevor er die Welt im Blut ertränkte? Zwei Intellektuelle von Weltruf, Bertrand Russell und Albert Einstein, die in den 1930er Jahren einen starken ethischen Pazifismus vertreten und der Verweigerung aus Gewissensgründen positiv gegenübergestanden hatten, unterstützten den Kampf der Alliierten. Manche entschieden sich vorübergehend für Schweigen und Isolation; andere fürs Handeln, ohne jedoch ihre Prinzipien zu verleugnen, indem sie gewaltfreien Widerstand gegen die nationalsozialistische Unterdrückung in Form von Solidaritäts- und Unterstützungsnetzwerken für Jüdinnen und Juden und andere Verfolgte organisierten. Wieder andere stellten sich weiterhin kompromisslos gegen den Krieg.

       Ein globalisierter Pazifismus

      Mit Beginn des Atomzeitalters 1945 wurden bisherige Gewissheiten in den internationalen Beziehungen infrage gestellt. Der Krieg war gerade zu Ende gegangen, als vor den entsetzten Augen der Welt das Schreckgespenst einer Auslöschung allen menschlichen Lebens auftauchte. Außerdem verwandelten sich die ideologischen Spannungen, die infolge der Russischen Revolution 1917 entstanden waren, in einen latenten Krieg und sollten ein halbes Jahrhundert lang die Diplomatie auf globaler Ebene bestimmen. Wie konnte man sich in dieser neuen und komplexen Weltlage für den Frieden engagieren? Im Ostblock wurde jede pazifistische Aktion, die nicht unter Kontrolle des politischen Apparats stand, unterdrückt, während im Westen viele Friedensvereine, deren Aktivist*innen überwiegend links waren, zu Recht oder zu Unrecht unter dem Verdacht standen, in stillschweigendem Einverständnis mit Moskau zu stehen oder von Moskau manipuliert zu sein. Dennoch prägten zwei große Strömungen den Pazifismus nach 1945: die Antiatombewegung und der Kampf für Frieden und Gerechtigkeit.

      Eine der ersten internationalen Maßnahmen nach Ende des Zweiten Weltkrieges war die Schaffung der UNO, was bei Weitem nicht denselben Enthusiasmus hervorrief, der die Gründung des Völkerbundes 1919 begleitet hatte. In einer Welt, die sich keine Illusionen mehr machte, deren Frieden erst kurz währte und die schon wieder unruhig wurde, war Optimismus nicht an der Tagesordnung. Für die Bewegung der Weltföderalisten (World Federalist Movement, WFM), ein 1947 gegründeter internationaler Zusammenschluss pazifistischer und föderalistischer Vereinigungen, gab es für die unmittelbarste Bedrohung, die der atomaren Apokalypse, nur eine Lösung, die über den verbesserten Völkerbund, den die UNO darstellte, weit hinausging: eine Weltregierung. Das WFM machte sich die im Vorjahr veröffentlichten Vorschläge der angesehenen Federation of American Scientists zu eigen (die neben Einstein auch die Väter der Atombombe, Niels Bohr und Robert Oppenheimer, unterzeichneten) und verbreiteten sie über den Film One World or None. Die Verknüpfung des Kampfes gegen die Atombombe mit dem supranationalen Projekt, das in der Zwischenkriegszeit einen gewissen Erfolg gehabt hatte (und teilweise im europäischen Projekt wieder auflebte), bringt die Verschiebung innerhalb der pazifistischen Bewegung angesichts der neuen Problemstellungen des Zeitalters zum Ausdruck. Doch vor dem Hintergrund der Teilung Deutschlands, der Gründung der NATO und einige Jahre später des Warschauer Paktes sowie des Koreakrieges waren solche Stimmen während der ersten Nachkriegsjahre kaum zu vernehmen.

      Dennoch war der globale Charakter der atomaren Bedrohung ab den 1960er Jahren der weltweiten Verbreitung des Friedensaktivismus förderlich. Obwohl seit dem 19. Jahrhundert Beispiele internationaler Vereinigungen bekannt sind, blieben diese bis Mitte des 20. Jahrhunderts im Wesentlichen auf den Westen (Nordamerika, Europa) beschränkt. Die atomare Gefahr, die mit dem Kalten Krieg verbundene geopolitische Blockade und die Dekolonisation trugen aber nun zur Ausweitung der pazifistischen Solidarität auf den gesamten Erdball bei. Die spektakulärste Entwicklung außerhalb des Westens fand in Japan statt, das die verheerende Wirkung der Atombombe unmittelbar erlebt hatte und von der Kriegserfahrung traumatisiert war. Dort entstand ein tief verankerter Pazifismus, der sogar Eingang in die Landesverfassung fand, deren gegenwärtig wieder infrage stehender Artikel 9 festschreibt: »In aufrichtigem Streben nach einem auf Gerechtigkeit und Ordnung gegründeten internationalen Frieden verzichtet das japanische Volk für alle Zeiten auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation und auf die Androhung oder Ausübung von Gewalt als Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten.«2 Ebenso unbestreitbar ist die weltweite Wirkung von Gandhis gewaltloser Kampagne für die indische Unabhängigkeit, die insbesondere in den Ländern, die sich auf dem Weg der Dekolonisation befanden, eine Protestform bot, die mit den pazifistischen Prinzipien in Einklang stand.

      In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es zu einer engeren Verknüpfung von Frieden mit Gerechtigkeit. Der Pazifismus auf rechtlicher und technischer Ebene, der von Schlichtung, Abrüstung und dem Aufbau internationaler Organisationen geprägt ist, war bis in die Zwischenkriegszeit dominant und entwickelte sich in der Folge zu einem Pazifismus der Tat, der konkretere und zugleich tiefer wirkende Ergebnisse anstrebte, beispielsweise durch die Förderung von Diversität und Menschenrechten, des Rechts auf Bildung, sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung, der Armutsbekämpfung. Bevorzugt setzte man auf gemeinschaftliches lokales Handeln in Form von Graswurzelbewegungen, was Koordination auf globaler Ebene nicht ausschloss. Mit seinem Angriff gegen verschiedene Quellen der strukturellen Gewalt zielt dieser Pazifismus auf die Herstellung positiven Friedens, wie es seit Johan Galtung genannt wird.

      In


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