Mord im Auwald. Beate Maly
erklärte Franziska Magyar.
»Oh, das tut mir leid«, sagte Ernestine betroffen.
»Das muss es nicht«, antwortete sie. »Mein Mann hat mich zu einer sehr reichen Frau gemacht. Ich habe nach seinem Tod alles in Ungarn verkauft, mein Vermögen geschnappt und bin damit zurück nach Österreich gesiedelt. Jetzt wohne ich wieder bei meinem Vater. Er ist froh über Gesellschaft, und wenn es die Zeit zulässt, besuche ich meine Nichte.«
»Ihr Vater wohnt auch hier in Kritzendorf?«
»Aber nein, er verabscheut dieses freizügige Leben in der Au. Mein Vater ist ein sehr traditionsbewusster, konservativer Mann. Wenn es nach ihm ginge, hätten wir immer noch einen Kaiser, die Frauen trügen lange Röcke, und der Walzer wäre ein unsittlicher Tanz.«
Klara Kopf kicherte. »Mein Großvater kann nicht nachvollziehen, dass Menschen den ganzen Tag über im Badekostüm herumlaufen. Das findet er abscheulich und er ist davon überzeugt, dass die verlotterten Sitten zum Untergang des Abendlandes führen werden.«
Anton konnte den Mann gut verstehen. Bis vor Kurzem hätte er sich auch nicht vorstellen können, mit vier Damen eine Nachmittagsjause einzunehmen, von denen zwei in Badeanzügen, eine im Bademantel und die Älteste in einem freizügigen Sommerkleid am Tisch saßen. Doch er war neuen Ideen gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen. Im Moment fand er die Situation durchaus erfreulich.
»Der Weichselkuchen ist köstlich«, sagte Anton zufrieden.
»Bitte, nehmen Sie doch noch ein Stück, Herr Böck.« Martha Kolarik reichte ihm erneut den Servierteller.
»Werden Sie heute Abend auch zur Gesangsdarbietung ins Strandcafé kommen?«, fragte Ernestine.
»Ja, natürlich. Das lassen wir uns nicht entgehen«, sagte Klara Kopf.
Die Damen waren alle der gleichen Meinung. Nur Anton hoffte, dass Minna ihm eine überzeugende Ausrede bieten würde. Kopfschmerzen oder Müdigkeit aufgrund der Sonne würde Ernestine niemals akzeptieren.
Und Minna verhalf Anton zu seinem wohlverdienten ruhigen Abend. Sie weigerte sich, allein in der Hütte zurückzubleiben, die sie nicht kannte, und begann zu heulen, sobald sie die Tür hinter ihr schlossen.
»Ich werde auf das Konzert verzichten und dem Hund Gesellschaft leisten«, sagte Anton tapfer.
»Wirklich, Opa? Das ist soooo lieb von dir!« Rosa umarmte ihn. »Lili darf auch hingehen.«
»Wir können Minna mitnehmen«, schlug Ernestine vor.
Aber Anton war dagegen. »So viele Menschen würden das arme Tier verängstigen.«
»Hm!« Ernestine stemmte die Hände in die Hüften und musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen. Anton errötete, er fühlte sich durchschaut.
»Wenn ihr mir hinterher alles genau erzählt, dann ist es fast so, als wäre ich dabei gewesen«, sagte er.
Am Gartenzaun warteten Lili und ihre Mutter bereits.
»Schnell, sonst bekommen wir keine Plätze mehr, wir müssen uns beeilen«, drängte Violetta Mader.
Rasch liefen Ernestine und Rosa los.
Sobald sie außer Sichtweite waren, holte sich Anton ein Glas Ribiselwein aus der Küche. Das Getränk erfreute sich in Kritzendorf großer Beliebtheit. Seit die aus Amerika eingeschleppte Reblaus den Weingärten der Gegend zusetzte, war man auf diese süße Alternative zum Wein umgestiegen. Die Reblaus konnte den robusten Pflanzen, die in großen Mengen angebaut wurden, nichts anhaben. Anton klappte den Liegestuhl erneut auf und machte es sich darin bequem. Minna legte sich mit einem zufriedenen Schnaufen zu ihm. Konnte es eine bessere Art geben, den Abend ausklingen zu lassen? Endlich war Anton in der Sommerfrische angekommen.
SIEBEN
Schon von Weitem konnte man das bunte Treiben im Strandcafé hören. Lautes Stimmengewirr, ausgelassenes Lachen und das Scheppern von Geschirr waren zu vernehmen. Rosa und Lili liefen aufgeregt darauf zu. Die beiden kannten sich erst seit Stunden, aber es hatte den Anschein, als wären sie seit Jahren eng befreundet. Ernestine und Violetta Mader folgten in einigem Abstand.
»Für Lili ist es ein Segen, dass Sie hier Urlaub machen«, sagte Violetta Mader.
Sie hatte Schminke aufgetragen und ihre Falten damit geschickt kaschiert. Die untergehende Sonne tat ihr Übriges. Sie sah nicht wie über vierzig, sondern wie eine gerade erst dreißig gewordene Frau aus.
»Mein Mann ist im letzten Kriegsjahr gefallen. Als alleinerziehende Mutter hat man es nicht leicht. Ständig steht das Sozialamt vor der Tür und kontrolliert, ob alles in Ordnung ist. Die Fürsorgerin fragt, ob Lili genug zu essen bekommt und regelmäßig zur Schule geht.«
Ernestine hatte davon gehört, dass man alleinstehenden Müttern die Obsorge ihrer Kinder nicht zutraute und ihnen daher Fürsorgerinnen zur Seite stellte. Was als Unterstützung gedacht war, wurde oft als unangenehme Kontrolle erlebt. Antons Tochter, Heide, war von dieser Überwachung verschont geblieben, weil sie mit ihrem Vater zusammenlebte.
»Als ob die Geldsorgen nicht schlimm genug wären«, schnaufte Violetta Mader.
»Sind Sie in finanziellen Schwierigkeiten?«, fragte Ernestine.
»Einfach war es noch nie«, gab sie zu. »Vor dem Krieg hatte ich mehr Engagements, bald komme ich nur noch für die Rollen der bösen Schwiegermütter in Frage.« Sie lachte bitter. »Zum Glück habe ich während der Sommermonate jemanden gefunden, der in unserer Wohnung in Wien wohnt. So kommen Lili und ich einigermaßen über die Runden.«
»Haben Sie die Badehütte hier ebenfalls gemietet?«
»Nein, ich habe sie schon vor dem Krieg gekauft. Meine Freundin hat mir damals hilfreich unter die Arme gegriffen.«
»Emma Kopf?«, fragte Ernestine.
»Ja. Ihr geldgieriger Mann ist letztes Jahr dahintergekommen und hat jetzt einen Anwalt damit beauftragt, das Geld von mir zurückzufordern. Das ist doch lächerlich. Emma hätte das nie gewollt. Es war ihr Geld und nicht seines, das sie mir geschenkt hat.«
Sie hatten das Strandcafé erreicht. Zusätzliche Tische und einfache, lange Holzbänke waren aufgestellt worden. Einige Gäste saßen auf Picknickdecken im Gras. In einem Holzpavillon in der Mitte des Platzes hatten fünf Männer in dunklen Anzügen Aufstellung genommen. Sie waren die Einzigen hier in Abendkleidung. Die meisten Zuschauer trugen legere Hosen, Hemden und Kleider. Einige waren immer noch im Badekostüm. Beim Büfett hatte sich eine lange Schlange gebildet. Die Leute standen für Limonade, Ribiselwein, Bier und Schmalzbrote an. Lili und Rosa hatten einen winzigen Tisch entdeckt, der noch frei war. Geschickt drängten sie sich durch die Menge, flitzten an sitzenden Menschen vorbei und nahmen ihn in Beschlag.
»Dem Himmel sei Dank, dass wir noch freie Plätze bekommen haben«, sagte Ernestine. Alle anderen Stühle und Bänke rundherum waren besetzt.
»Die Mädchen waren schnell«, lachte der Herr ihnen vom Nebentisch zu. »Die Leute, die eben noch hier gesessen haben, sind gerade erst gegangen. Es ist ihnen wohl die Lust auf das Konzert vergangen.«
»Warum denn?«, wollte Ernestine wissen.
Der Mann zuckte mit den Schultern. Er hatte nur eine Badehose an, die unter seinem dicken Bauch aber kaum sichtbar war. Auf den ersten Blick sah er nackt aus. Ernestine bemühte sich, nur in sein Gesicht zu schauen.
»Die haben sich wegen irgendeinem Schmuckstück in die Haare bekommen. Reichlich übertrieben, wenn Sie mich fragen. Als ich mir mein Bier geholt habe, sind sie alle aufgesprungen und davongelaufen.«
»Vielleicht ging es um wertvollen Schmuck«, meinte Ernestine.
»Darauf können Sie Gift nehmen«, lachte der dicke Mann. »Die Herrschaften haben alle sehr betucht ausgesehen.«
»Herbert, das war doch der berühmte Künstler. Wie heißt er noch schnell …?« Die Frau neben ihm war mindestens genauso dick und trug ein gewagtes Badekostüm.