In der Hölle der Ostfront. Arno Sauer
erhielten durch diesen Erfolg neue Nahrung, doch die politischen und militärischen Ereignisse der folgenden Jahre sorgten dafür, dass es Träume blieben. Schon am nächsten Tag war nach einer lobenden Erwähnung durch den Kommandeur der tägliche Militärdrill wieder allgegenwärtig. Die Zeit der Ausbildung näherte sich dem Ende, denn an der Ostfront wurden neue Soldaten gebraucht. Die Kaserne wurde bereits für die nächste Generation von Rekruten benötigt.
In der letzten Woche fand am Zusammenfluss von Rhein und Mosel, am heutigen Deutschen Eck, eine Parade unserer Truppen statt. Es war eine riesige abendliche Inszenierung mit Marschmusik, gespielt von einem großen Musikkorps der Wehrmacht. Unter den Klängen von »Des Großen Kurfürsten Reitermarsch« zogen wir in Sechser-Reihen am Denkmal von Kaiser Wilhelm I. vorbei, und weiter ging es im Stechschritt zum »Badenweiler« und »Yorckschen Marsch«. Während dieser Zeremonie fühlten wir uns als Teil einer großen Volksgemeinschaft und kamen uns stark, mächtig und unbezwingbar vor – ein Eindruck, der sich bald ändern sollte.
Abgesehen von dieser beeindruckenden Zeremonie hielt sich meine Begeisterung für das Militärwesen jedoch in Grenzen. Ich konnte dem Kriegshandwerk und besonders der zweijährigen allgemeinen Wehrpflicht, die durch den nicht enden wollenden Krieg später unbegrenzt verlängert wurde, keine allzu große Begeisterung abgewinnen. Die Ausbildung hatte uns zu schneidigen und hervorragend durchtrainierten Soldaten gemacht, aber in den Krieg zu ziehen, stand nicht auf unserer persönlichen Agenda, und das galt für alle meiner engsten Kameraden. Aber uns blieb nichts anderes übrig – nicht in diesem Krieg und nicht in diesem politischen System.
An einem der letzten Unterrichtsvormittage im Hörsaal unserer Kaserne erfuhren wir, dass bereits am 31. Mai 1942 durch den ersten 1000-Bomber-Angriff der britischen Royal Air Force Köln in Schutt und Asche gelegt worden war. Von der schönen Altstadt und Tausenden Wohnhäusern standen nur noch Ruinen umher, überragt von dem durch die Feuersbrunst geschwärzten gotischen Dom. Dieser erste Großangriff hatte vor allem der Zivilbevölkerung gegolten. Industrieanlagen wurden kaum getroffen. Es gab Tausende tote Frauen, Kinder und alte Menschen. Wir waren sehr betroffen und sprachen unserem Kölner Kameraden Jakob Schmitz unser Mitgefühl aus. Seine sorgenvolle Miene hellte sich erst nach Tagen wieder auf, als er erfuhr, dass zwar das Haus durch Bomben zerstört worden war, seine Familienangehörigen aber den Angriff unversehrt in einem Bunker überlebt hatten.
Am übernächsten Tag, kurz vor unserer Verlegung zum Truppenübungsplatz Baumholder, wurden wir im Sanitätsbereich unserer Kaserne gegen alle möglichen Krankheiten geimpft, die uns an der Front bedrohen konnten, wie zum Beispiel Typhus, Wundstarrkrampf und so weiter. Es war ein schnelles und kurzes Antreten. Die Rekruten standen mit freiem Oberkörper in einer Schlange, die bis nach draußen vor den Haupteingang des Gebäudes reichte, und die Impfungen erfolgten wie am Fließband.
Nur zwei Meter vor mir stand der hünenhafte Paul Severin in der Schlange. Über die Schultern der Vorderleute sahen wir unseren Stabsarzt mit einer riesengroßen Spritze hantieren. Damit stach er zügig und professionell einem nach dem anderen in die Brust – immer mit derselben Nadel wohlgemerkt. Je näher wir zum Impfen aufrückten, desto weißer wurde Pauls Gesicht. Als der Doktor die Nadel der großen Spritze dem letzten Vordermann in die Brust drückte, rollte Paul plötzlich ganz komisch die Augen, schnappte nach Luft und wedelte mit den Armen. Ich rief nur noch: »Paul, wo willst du denn hin?«, und schon lag der lange Kerl bewusstlos vor den Füßen des verdutzt dreinschauenden Militärarztes. Paul erhielt wohl auch noch alle Impfungen, aber als Letzter unseres Bataillons, nachdem er sich auf einer Pritsche von seiner Spritzenangst erholt hatte.
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