Der Verdrüssliche. Eva Holzmair

Der Verdrüssliche - Eva Holzmair


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warum. Ihr Gesicht. Die fahle Haut. Die eingefallenen Wangen. Doch rasch fängt sich Toni, springt hoch und eilt mit weit geöffneten Armen auf sie zu.

      - Carola! Was für eine Überraschung! Wie geht’s dir?

      - Wie soll’s schon gehen. Frag lieber was anderes.

      - Das wird schwer. Ich weiß doch nichts von deinem jetzigen Leben.

      - Na, dann frag, was ich gerade mache, außer still vor mich hin zu leiden.

      - Carola, still leiden ist noch nie deine Stärke gewesen.

      - Ich hab doch niemanden, den ich ankeifen könnte.

      - Du findest immer jemanden.

      Carola lacht. Wie gut er sie kennt. Im Amt gab es genug Auswahl. Heute muss sie sich an den Arzt oder die Hausverwalterin halten. Die beiden liefern immer einen Grund zur Beschwerde, der eine aus Ohnmacht, die andere aus Inkompetenz. Wenn ihr das zu blöd ist, brüllt sie Jarolim oder die Wand an, aber raus müssen sie, die Wut, der Frust und die Angst vor dem, was kommen wird. Sie ist nicht fügsam, selbst wenn sie weiß, dass die Ungeheuer sie niederringen werden, egal, wie sehr sie sich dagegen wehrt.

      - Na, dann frag, was ich von dir will.

      Während er sie übertrieben besorgt zum Besuchersessel führt, lächelt er aufmunternd:

      - Ich höre.

      - Ich will Auskunft zu einem von Messerschmidts Charakterköpfen, der nicht mehr im Land ist.

      - Zu welchem?

      Was soll die Frage? Er weiß genau, um welchen es geht. Doch so leicht lässt sie sich nicht beirren, zumal Toni nun nach seinem Notizblock greift.

      - Na, wie viele hast denn in den letzten Jahren ausreisen lassen? Oder ausreisen lassen müssen?

      Toni schaut auf das rechteckige Blatt, das bereits einige seiner Girlanden zieren, dann auf Carola:

      - Du meinst keinen restituierten Kopf.

      - Nein. Beim Mismuthigen und dem Unfähigen Fagottisten war ich noch im Amt, g’rad noch.

      - Stimmt. Schad, dass s’ nimmer im Wien-Museum sind. Jetzt haben s’ dort nur noch einen Original-Messerschmidt.

      - Ja. Die Einfalt im höchsten Grade. Irgendwie passend. Meinst nicht, Toni?

      - ’s war halt ein klarer Fall. Die zwei anderen mussten an den Erben nach Richard Beer-Hofmann restituiert werden.

      - Und der hat s’ gleich über Sotheby’s versteigern lassen.

      - Ja.

      - Mit einem tollen Auktionsergebnis. 3,7 Millionen Euro hat der Louvre für den Mismuthigen hingeblättert und 1,9 Millionen Euro die Mailänder Etro-Sammlung für den Unfähigen Fagottisten. So haben auch andere Lust gekriegt, Messerschmidt-Büsten auf den Markt zu werfen.

      - Leute, die du gut kennst, meine Liebe.

      - Nicht mehr.

      Die letzten Worte hat Carola so bestimmt gesagt, dass Toni von seinem nahezu vollgekritzelten Notizzettel aufblickt.

      - Hast gar keinen Kontakt mehr?

      - Nein.

      Carola schielt auf das Blatt, das Toni soeben vom Block gerissen hat. Konzentrische Kreise aus Spiralen, Blättern und Zweigen, ein bisschen wie die Deckenrosette draußen im Stiegenhaus. Vielleicht hätte sie doch einmal … eine Analyse … nur so … nein, das wäre nicht recht gewesen.

      - Was ist da gelaufen, Toni?

      - Wir wurden sehr spät informiert.

      - Ja und?

      - Es konnte nicht festgestellt werden, dass die ›Erhaltung im Inland im nationalen Interesse gelegen ist‹.

      - Zitier nicht aus dem Denkmalschutzgesetz. Das kenn ich selber. Sag mir lieber, warum ein wertvoller Messerschmidt-Kopf an ein ausländisches Museum gegangen ist und alle gekuscht haben: ihr, die Museumsdirektoren, die Bildungsministerin.

      - Der Verkauf lag in aller Interesse.

      - Was heißt das?

      - Es wurde ein bisserl interveniert. Ein bisserl sehr.

      - Von wem?

      - Von höchster Stelle.

      Carola weiß, dass sie Toni in einen Loyalitätskonflikt treibt. Hier die ehemalige Förderin und irgendwo da oben, da draußen, vielleicht bloß ein paar Zimmer weiter diejenigen, die sich eingemischt und ein Geschäft begünstigt haben, das so nie hätte stattfinden dürfen. Diese Bewilligung hat ihm sicher schlaflose Nächte beschert. Und nun kommt auch sie noch daher, erinnert ihn an etwas, an das er nicht erinnert werden möchte.

      - Wieso hast dich nicht früher erkundigt?

      Tonis aggressiver Tonfall lässt sie zusammenzucken. War das jetzt ein Vorwurf oder aber eine simple Frage?

      - Toni, ich hab’s erst gestern erfahren. Im Internet war ein Bericht über die geplante Ausstellung Messerschmidt and Modernity im Getty Museum. Ich dachte, ich seh nicht recht, als mir der Verdrüssliche, The Vexed Man, vom Plakat entgegengrantelt. So wie mir wird’s auch anderen ergehen.

      - Wieso? Davor haben s’ den Verdrüsslichen schon im Pariser Louvre und in der Neuen Galerie in New York gezeigt. Der war auf Tournee. Für jedermann sichtbar.

      Tonis Stimme klingt immer noch angriffig. Verunsichert fragt Carola:

      - Wann?

      - Letztes Jahr.

      Das wäre ihr früher nie passiert, sich so konfus, so unvorbereitet auf ein Gespräch einzulassen. Davor gehört recherchiert, ein Akt angelegt und erst dann gehandelt. Ganz heiß wird ihr plötzlich, so sehr geniert sie sich.

      - Carola, niemand hat sich aufgeregt. Ein Kunstwerk ist vor ein paar Jahren aus einer österreichischen Privatsammlung in ein amerikanisches Museum gewandert.

      Privatsammlung! Ein Witz! Wilfried hatte nie eine Sammlung, sondern ein Geschäft. Vielleicht haben es die Erben so genannt. Sie muss sich zusammenreißen, dem etwas entgegensetzen. Irgendetwas.

      - Vor vier Jahren, um genau zu sein.

      - Eben. Das ist schon eine Weile her. Wo ist das Problem?

      - Das ist jetzt nicht dein Ernst!

      Entgeistert schaut Carola in Tonis verschlossenes Gesicht. Und sie dachte immer, sie könne in seinen wasserblauen Augen lesen. Doch heute hat er keine Augen, nur Brillen.

      - Es ist mein voller Ernst.

      - Du weißt, dass ein Ausfuhransuchen für den Verdrüsslichen schon einmal auf diesem Schreibtisch gelegen ist.

      - Ja. Damals wurde keine Bewilligung erteilt. Aus … wie soll ich sagen …

      - Sag’s ruhig.

      - Aus persönlichen Gründen.

      - Nicht nur. Außerdem hab nicht ich die Bewilligung verweigert, sondern der Antragsteller hat sein Ansuchen zurückgezogen.

      - Dafür hast du den Kopf nicht unter Denkmalschutz gestellt und damit ein Hintertürl für eine spätere Ausfuhr offen gelassen.

      Ist das nun ein mitleidiger Blick, den Toni auf sie richtet, auf sie, die einen faulen Kompromiss schloss? Wilfried war fuchsteufelswild. Schon davor hatte sie begonnen, sich zu emanzipieren, seine Wünsche zu ignorieren. Der Verdrüssliche war nicht das erste Kräftemessen, aber ein entscheidendes. Mit dem Ausfuhrantrag für diesen Kopf hätte Wilfried sie nie behelligen dürfen. Reichte es nicht, dass er sein Versprechen gebrochen hatte? Musste er noch weitergehen? Vom Vertrauensbruch zum Verrat? Die Genugtuung, ihm erneut und gerade hier Grenzen aufgezeigt zu haben, war groß. Auch seine Drohungen beeindruckten sie nicht. Ich zeig dich an. Anonym. – Und ich zeige mit dem Finger auf dich. Offiziell. Hat da nicht soeben eine Tür geknallt? Nein. Wilfried ist tot. Er stürmt nicht mehr aus diesem Raum. Ihre soeben noch verspürten Hitzewallungen


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