Der Verdrüssliche. Eva Holzmair

Der Verdrüssliche - Eva Holzmair


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Haltung, Frau Hofrat, Haltung bewahren! Einfach ein Gespräch beenden, das zu nichts führt. Was will sie überhaupt? Die Wahrheit? Wen interessiert die schon? Carola friert nicht nur, sie ist auch müde. Warum wurde sie nicht in einem dieser baufälligen alten Denkmäler, die sie so gerne beging, von einem abbröckelnden Stein erschlagen? Aus. Vorbei. Nichts mit schön pomali. Wie sie diese plötzlichen Ermüdungsanfälle hasst. Schonung. Ein Unwort für eine wie sie. Aber es hilft nichts. Sie ist erschöpft. Von dem bisschen Stiegensteigen und einem kurzen Gespräch! Möglichst unauffällig stützt sich Carola an der Schreibtischkante ab, während sie aufsteht.

      - Danke, Toni.

      - Wofür?

      Wo, verdammt noch mal, ist ihre Konzentration geblieben? Was plappert sie denn da? Sagt Danke, statt Toni zur Schnecke zu machen! Er hätte für den Verdrüsslichen doch selbst ein Unterschutzstellungsverfahren einleiten können. Sich auf Carolas Versäumnis auszureden, ist wirklich stark. Egal. Sie kann es ja doch nicht ändern. Resigniert antwortet sie:

      - War bloß so dahingesagt.

      Im Hinausgehen stolpert sie über den Perserteppich, den sie noch nie leiden konnte. Toni springt auf und ergreift ihren Arm.

      - Alles in Ordnung?

      - Nein.

      Er will sie zur großen Flügeltür begleiten, doch dann meint er:

      - Geh lieber so, wie du gekommen bist.

      Carola versteht. Sie ist nie hier gewesen.

      - Toni, das hättest du nicht bewilligen dürfen.

      - Ich weiß. Ciao, Carola.

      Er öffnet für sie die Tapetentür. Carola lächelt. Ein bisschen traurig, ja, aber auch erleichtert. Da ist er wieder, der alte Toni, so wie sie ihn kennt. Ciao hat er gesagt. Carolas Codewort für Machenschaften, bei denen sich Staatsbedienstete besser raushalten, wollen sie keine Scherereien bekommen. Deshalb flüstert sie noch schnell durch den Türspalt:

      - Ciao, Tonio.

      IX.

      Gitta beobachtet Paul, wie er seine Reisetasche auspackt. Penibel stapelt er die Schmutzwäsche auf dem Bett: zuerst die Hemden, dann die Unterwäsche und obenauf die Socken. Nun hält er den Pyjama in der Hand und weiß nicht, was er tun soll. Diesen einfach über die Socken zu legen, widerspricht Pauls Ordnungssinn. Er runzelt die Stirn, presst die Lippen aufeinander. Wird das sein Altersgesicht werden? Tiefe Stirnfalten, zusammengekniffene Augen, freudlos schmaler Mund? Übernächtig sieht er aus. Demnächst wird er 60. Doch heute wirkt er viel älter. Das sind die vielen Reisen. Einmal zur Fortbildung nach Basel, dann wieder von einem österreichischen Krankenhaus zum nächsten. Gitta kann sich nicht vorstellen, wie das ist, wenn Paul im Auftrag seiner Firma Ärzte berät. Wie preist man Medikamente an? Die Ärzte müssen doch selbst entscheiden, was sie ihren Patienten geben. Oder lassen Mediziner sich genauso verführen wie Konsumenten? Sie hat einmal etwas gelesen. Von Geschenken und so. Macht Paul das auch? Viel ausgehen mit seinen Kunden tut er schon.

      Gitta hat keine Ahnung, ob Paul seinen Beruf liebt. Geäußert dazu hat er sich nie. Kennt er überhaupt die Begeisterung, die sie erfasst, wenn ihr eine neue Idee kommt? Die fieberhafte Anspannung aber, die darauf folgt, ist nicht gut. Da läuft ihre Fantasie Amok, während schon die Angst lauert und den Angriff vorbereitet. Solche Hochs und Tiefs sind Paul fremd. Trotzdem kann er seinen Beruf mögen. Früher hatte er ihr Anekdoten aus dem Spitalsalltag erzählt. Bei einem Glas Wein am Abend hatten sie darüber gelacht, aber nun, da sie diesen speziellen Alltag selbst erlebt hat und außerdem keinen Alkohol mehr verträgt, schweigt er. Davor hatte er auch nicht so verbissen Ordnung gehalten, nur zuweilen ihr Atelier kritisiert. Wie du in diesem Chaos arbeiten kannst! Mag schon sein, dass sich ihre Form der Ordnung nicht jedermann erschließt, aber sie findet sich darin zurecht, besser als außerhalb.

      Interessiert verfolgt Gitta, wie Paul den Wäschestoß mit der einen Hand hochnimmt, ihn auf den Pyjama in der anderen Hand legt und damit ins Badezimmer geht. Warum tut er das? Im Wäschekorb purzelt ja doch wieder alles durcheinander. Absurd das, aber ein witziges Motiv: Auf einem wirren Haufen aus Kindersocken und Frauenkleidern thront Pauls Pyramide. Eine Familienaufstellung der besonderen Art. Gitta beginnt zu kichern.

      - Was ist denn so lustig?

      Mit leeren Händen steht Paul in der Schlafzimmertür. Seine Gereiztheit stachelt sie noch mehr an. Das fertige Bild müsste sie der Psychotante in der Schule zeigen. Verstehen Sie, die kleinen Socken da, die verstecken sich, damit die Mumie in der Pyramide sie nicht sieht und mit dem bösen Blick bestraft. Die Frauensachen können nicht helfen. Die sind zu unordentlich, wabern durch die Gegend und erledigen keine Hausaufgaben.

      - Hör auf damit!

      - Womit?

      - Mit deinem hysterischen Lachen!

      Prustend wehrt Gitta ab:

      - Lass mich doch. Ich hatte einen lustigen Tag.

      - Schön für dich. Meiner war anstrengend.

      Seiner! Als ob nur er etwas vorzuweisen hätte. Gittas Lachflash erstirbt.

      - Das eine schließt das andere nicht aus. Mein Tag war auch anstrengend.

      - Du meinst, weil du mich abgeholt hast.

      Gitta reckt den Kopf, um an Größe zu gewinnen. Schließlich hat sie etwas geleistet.

      - Weil ich heute bei Bernhards Lehrerin war.

      Irritiert blickt Paul auf sie herab.

      - Du warst in der Schule?

      27 Zentimeter Größenunterschied. Sie müsste schon die Wäschepyramide auf ihrem Kopf balancieren, um Paul zu überragen. Wieder beginnt sie zu kichern, ein bisschen, mehr traut sie sich nicht.

      - Ja-haha. Die Lehrerin wollte doch einen Elternteil sprechen. Einen, nicht zwei.

      - Oh Gott, das hab ich verschwitzt. Und du warst dort?

      - Ja.

      - Na, toll.

      Paul lässt sich auf die Bettkante plumpsen und starrt vor sich hin.

      - Hab ich was falsch gemacht?

      Nun ist Pauls Blick von unten auf sie gerichtet.

      - Das weiß ich nicht.

      - Was heißt, du weißt es nicht?

      - Erzähl einfach.

      Gitta schluckt. Schon wieder kommt sie sich vor wie bei einer Prüfung. Gitta, an die Tafel! Das hat sie gehasst. Schriftliche Arbeiten, Multiple-Choice-Fragen, wunderbar, Zeichnen sowieso, doch vorne stehen und reden, schlimm. Einem ersten Impuls folgend, will sich Gitta neben Paul aufs Bett setzen, nur dann würde er sie schon wieder überragen, ohne dass sie ein Wort gesagt hat. Das wäre nicht gut, doch vor ihm stehen fühlt sich genauso verkehrt an. Sie kann nichts richtig machen, egal, wie sie es anpackt, und nun beginnt sie auch noch zu zittern. Kaum hörbar stößt sie hervor:

      - Bernhard hat Probleme.

      Gleich wird Paul, nein die Lehrerin – sprich lauter! – sagen, aber Paul meint nur ebenso leise:

      - Klar hat er die.

      - Wieso?

      - Begreifst du’s nicht oder willst du’s nicht begreifen?

      - Was?

      - Wie es ihm, wie es mir geht. Ständig in Bereitschaft. Steht sie’s durch? Oder kommt der nächste Schub?

      - Aber ich hab mich doch wieder im Griff?

      Gitta ärgert sich über die Angst in ihrer Stimme und über Pauls prüfenden Blick. Sie will nicht ständig Tests bestehen. Sie will so sein dürfen, wie sie ist. Ohne Angstzustände, das schon. Draußen im Flur hört sie Bernhard trällern. Ach ja, er ist zurück aus der Schule. Vor wenigen Minuten erst hat sie ihn hereingelassen. Angestrahlt hat er sie, weil die Lehrerin ihn gelobt hatte. In Rechnen! Mama, stell dir vor … So redet doch kein Kind,


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