Der Verdrüssliche. Eva Holzmair

Der Verdrüssliche - Eva Holzmair


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ging auf den Fremden zu und stotterte etwas von Dank nachholen. Wieder dieses eigenartige Lächeln. Sie nehmen alles viel zu schwer. Und die Hand auf ihrer Schulter.

      Jaris Knurrlaute unterbrechen ihre Gedanken. Was ist denn nun schon wieder? An der Kordel baumelt erneut ein Kärtchen. Heute übertreibt Herr Nierlich. Normalerweise schickt er höchstens einmal wöchentlich wenig freundliche Botschaften. Carola ist sich keiner Schuld bewusst. Jarolims Gedärme haben sich beruhigt, sie hat auch nichts bei offenem Fenster gekocht, nur rasch eine Käsesemmel gegessen. Was will denn der Spinner?

      Frau Dr. Broggiato!

      Es ist ein Uhr nachts, eine Zeit, zu der Menschen im Normalfall schlafen. Sie hingegen nutzen die nachmitternächtliche Stunde offenkundig dazu, Ihre Wohnung umzuräumen und im Stechschritt zu durchschreiten. Gehen Sie endlich zu Bett! Morgen ist auch noch ein Tag, den wir beide ausgeschlafen erleben sollten.

      Johannes W. Nierlich

      Perplex starrt Carola auf die Karteikarte. Sie hat Fotos gesucht, und dabei sind Erinnerungen hochgekommen. Die sind doch nicht laut! Gut, die Kästen und Schränke hat sie vielleicht etwas heftig geöffnet, aber danach ist sie nur noch … Carola bleibt stehen. Natürlich, das ist es! Sie ist auf und ab gegangen. Die lockere Holzdiele in der Mitte des Zimmers. Die muss sie mindestens hundert Mal in der letzten halben Stunde zum Knarren gebracht haben, ohne es zu bemerken. Möglichst leise geht sie zum Computer und lacht beim Anblick von Jarolims Einträgen auf. Der hellhörige Nierlich wird ihre Heiterkeit womöglich auf sich beziehen. Egal. Jari tut ihr einfach gut. Sogar das Lachen hat er ihr beigebracht. Sie hält inne.

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      Jarolim, du bist ein Genie! Wasserscheidt hieß die Frau. Grete Wasserscheidt. Genau. Das war der Name, der auf dem Kaufbeleg stand. Und Wasserscheidt hieß der grässliche Schulwart des Gymnasiums, von dem alle behaupteten, er wäre nicht ganz dicht, was angesichts seiner oft eingenässt wirkenden Hosen auch im wörtlichen Sinn gemeint war. Carola belässt Jarolims kryptischen Eintrag, verschiebt ihn per Copy und Paste und tippt von ?? bis 1960 dazu. Zufrieden fährt Carola den Computer herunter und schlendert ins Bad, sorgsam darauf achtend, nicht auf die knarzende Diele zu treten, während Jarolim wenig elegant hinter ihr herhinkt.

      XIV.

      Wie bedrückt Carl schon wieder war. Gestern hatte ich noch gedacht, sein Trübsinn wäre einer kleinen Grille geschuldet. Mein armer Freund. Hoffentlich achtet er auf den Verkehr und kommt heil nach Hause. Eine gute Stunde ist er unterwegs. Wenn er mir am nächsten Tag von den Staus erzählt, tut er sie mit einem Achselzucken und einem gemurmelten tough luck ab. Dieser sanftmütige Mensch. Wenn ihm etwas zuwiderläuft, sieht er für gewöhnlich darüber hinweg. Oder er leidet still. Zu still.

      - Man muss nicht über alles reden.

      So, so, Mister Quality Paper. Was steht denn auf Ihro Stirn? Schon seit geraumer Zeit rätsle ich. Ten hot … who destr… their loo… …stic surge… Ich glaube, ich kenne die Lösung. Zuerst dachte ich an ten hot actresses, aber das wäre für eine Headline in der seriösen Los Angeles Times doch zu einseitig. Ten hot celebrities passt schon eher. Es können ja trotzdem zehn Dämchen sein. Der Rest war dann kein Problem. Ten hot celebrities who destroyed their looks with plastic surgery. Stimmt’s? Diese Meldung über die Verschandelung von Promis durch Schönheitschirurgie ist doch gewiss etwas, worüber geredet werden muss, nicht bloß Schwarz auf Weiß, sondern, wenn ich es recht sehe, sogar mit bunten Fotos.

      …

      Ich weiß, der Herr geben es nicht gerne zu, doch dieser Punkt geht an mich.

      …

      Versteht ihr denn nicht, dass ich mir wegen Carl Sorgen mache? Kein Plausch. Kein Lachen. Einzig die Grußformel. Zudem hat Carl heute den Feuchtemesser nicht überprüft. Das ist, seit ich hier bin, noch nie geschehen. Was mag wohl der Grund sein? The why.

      Sarena? Was für ein Sprung vom bescheidenen Heim in Compton zur University of California. Neue Umgebung, neue Menschen, auch wohl neue Freunde. Der Weg ist weit, aber nicht fremd, sind doch die UCLA und unser Museum in benachbarten Vierteln. Nun überwinden die Eltern gemeinsam mit Sarena die vielen Meilen, setzen sie am Campus ab, ehe sie hierherfahren. Aber immer öfter nimmt Sarena Metro und Bus. Weil sie sich für die Eltern geniert? Fürs alte Auto? Wenn Carl von seiner old lady spricht, weiß ich zuweilen nicht, ob Prescence oder der Ford F-150 gemeint ist. Sarena. Wenigstens beeindrucken konnte Carl sie mit meiner Geschichte. Wer kennt schon Landok. Ihr Pappköpfe?

      - Nie gehört.

      Dacht ich’s mir. Landok in der Gespanschaft Zips war ein Castel der lusinskyschen Familie unten am carpathischen Gebirge. Dort wurde Alabaster gebrochen. Einer dieser Gesteinsbrocken war ich. Das ist lange her. Es gab keine Automobile, dafür Ochsen- und Pferdefuhrwerke, die nicht von traffic jams am Weiterkommen gehindert wurden, sondern von gebrochenen Deichseln, störrischen Zugtieren oder bis zur Bewusstlosigkeit betrunkenen Fuhrknechten. In einem solchen Karren, vor den zwei träge Ackergäule gespannt waren, die sich vom Kutscher weder durch Fluchen noch durch Peitschenknallen aus dem einmal gewählten müden Trott bringen ließen, kam ich nach mehreren Tagesreisen vom Zipser Komitat zu einem Händler nach Preßburg, der die gesamte Ladung übernahm. Er zeigte auf ein erlesenes Stuckh, befahl einem Gesellen, dasselbe auf einen Leiterwagen umzuladen, und einem Buben, damit zum Meister zu fahren. Schon allein an der Art, wie er das Wort ›Meister‹ aussprach, erkannte ich noch unbehauener Bauernschädel – das erlesene Stuckh war natürlich ich, who else –, dass es sich dabei um einen besonderen Mann handeln musste. Genau das war er, und das weiß ich aus erster Hand, Mister Belisarius Los Angeles Times. Er hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin. In seiner Werkstatt.

      Akkurat dorthin brachte mich der rachitische Bube. Über holprige Wege und bucklige Gassen ging es zu einem stattlichen Haus an einem Platz, der sich Grüner Markt nannte. Mit seinen mageren Fäusten hämmerte der Kleine gegen das Tor und wartete, bis ein properes Weibsbild mit üppig unter einem Häubchen hervorquellendem Haar öffnete und ihn hieß, mich in die Werkstatt zu tragen. Belustigt sah sie zu, wie er sich abmühte, mich aus dem Leiterwagen zu heben. Erst als ich dem Jungen aus den Ärmchen zu fallen drohte, half sie, mich in den hinteren Teil des Hauses zu schleppen. In einem großen Raum, wo Gestein in vielerlei Gestalt auf Werkbänken oder auf dem Boden lag, stellten sie mich in einer Ecke ab. Schüchtern hielt ihr der Bub seine geöffnete rechte Hand hin. Sie lachte und meinte, dass wohl mehr sie als er gearbeitet hätte, aber wenn er ihr hülfe, die zwei Schock Eier in die Vorratskammer zu bringen, dann würde er schon etwas kriegen.

      Da war ich nun und beileibe nicht allein. Neugierig beäugten mich meine Zipser Brüder aus Oberungarn, aber auch entferntere Verwandte aus Niederungarn, Galizien, Salzburg, Tirol und der Toskana. Wir sind eine weit verbreitete Sippe. Uns findet man überall dort, wo Meere in isolierten Becken verdunstet oder sulfidische Erzlagerstätten durch Oxidation verwittert sind. Ach, wie töricht! Von der Oxidation habe ich Carl nichts erzählt. Das muss ich unbedingt nachholen. Mit dem Wissen kann er Sarena nicht bloß beeindrucken, sondern geradezu verblüffen. Er braucht das. Stolz sein auf die Kinder, das will ein Vater durchaus, sich unterlegen fühlen, das will er just nit. Freiherr von Szegety konnte höchst unangenehm werden, wenn seine Söhne ihm über den Kopf zu wachsen drohten. Trotzdem musste er sich schließlich fügen.

      Pardon, ich bin schon wieder abgeschweift. Und dabei erzähle ich mit Vorlieb von meiner Ankunft in Preßburg anno 1780. Wo bin ich stehengeblieben?

      - Bei der Verwitterung.

      Danke, Belisarius. Du hörst zu. Erstaunlich. Vielleicht ist das der Beginn einer wunderbaren, allerdings kurzen Freundschaft. Ich habe so viel erlebt, dass deiner Los Angeles Times die Seiten ausgehen würden, wollte sie über mich schreiben. Ich stamme nicht nur aus der Alten Welt, ich selbst bin Jahrmillionen alt.

      - Ich dachte, du wurdest im 18. Jahrhundert geschaffen.

      Richtig, als Kunstwerk stamme ich aus dieser Zeit, indes der Stein, aus dem ich gehauen wurde, zählt einige Lenze mehr. Schon im Gilgamesch-Epos ist von ihm die Rede. Von seinem Glanz, seiner außergewöhnlichen Schönheit. Neben dem Speckstein ist Alabaster das älteste Bildhauermaterial der Menschheit, der Gyps


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