Der Verdrüssliche. Eva Holzmair

Der Verdrüssliche - Eva Holzmair


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führt Gitta die geballte Faust an ihre Schläfe.

      - Hier.

      Aufmerksam betrachtet sie der Bub.

      - Von drinnen?

      - Das kommt drauf an. Wenn es meine Gedanken sind, klopfen sie von drinnen an. Wenn es deine sind, von draußen.

      - Meine klopfen auch an?

      - Natürlich. Wenn du mir etwas erzählst, lässt du deine Gedanken raus, und ich lass sie rein. Wenn die Frau Lehrerin etwas sagt, klopfen ihre Gedanken bei dir an und du lässt sie rein. Du hast schon ganz viele da drin.

      Gitta tippt auf Bernhards Stirn.

      - Aber nun iss fertig.

      Nachdem der Bub gegangen ist und sie das Frühstücksgeschirr abgeräumt hat, ruft Gitta in der Galerie an, doch es schaltet sich nur der Anrufbeantworter ein. Klaro, vor neun ist dort niemand. Die Assistentin hat ihr nicht gesagt, wann Ivo kommen und die Bilder holen wird. Hoffentlich noch am Vormittag, sonst wird es spät und endet in einer Sauferei. Sie wird auf alle Fälle das eigene Auto nehmen. Bloß nicht von Ivo abhängig sein.

      Minuten später steht Gitta immer noch mit dem Mobiltelefon in der Hand vorm Vorzimmerspiegel. Sie betrachtet ihr Gesicht. Das straff zu einem Pferdeschwanz zusammengebundene Haar gibt den Blick frei auf die breiten Backenknochen und die niedrige Stirn unterm tiefen Haaransatz. Ohne die großen Augen hätte sie ein recht banales Mondgesicht mit spitzer Nase und kleinem Mund. Aber so? Wie würde sie das ungewöhnlich helle Braun der blaugrau umrandeten Iris malen? Durchsichtig funkelnd wie Kristall? Oder matter, wärmer? Halt! Ihre Augen. Sie sind klar, die Lider nicht verschwollen. Ha, kein neuer Arztbesuch! Gitta grinst ihr Spiegelbild an und legt das Mobiltelefon auf die Ablage.

      Sie will etwas tun, egal, was. Sie spürt, dass sie die Tür zum Atelier nicht öffnen, keinesfalls hineingehen will. Auf dem Parkettboden entdeckt sie Wasserflecken, Lurch in den Ecken, Erdklümpchen und Kieselsteine im Eingangsbereich. Sie sieht Paul, wie er mit spitzen Fingern Staubpartikel von seinem Anzug schnippt. Niemand zwingt mich zu malen, überlegt Gitta und holt Kübel, Fetzen und Besen. Zuerst das Badezimmer. Dort fischt sie Handtücher und Baumwollshirts aus dem Korb und gibt sie in die Waschmaschine. Während das Programm läuft und Gitta putzt, wird sich Ivo melden. Sie drückt auf den Einschaltknopf. Der Countdown beginnt. Gitta schrubbt Badewanne und Becken, wischt die Fliesen und poliert die Armaturen. Danach arbeitet sie sich mit dem Besen durch sämtliche Räume. Keine Fluse, kein Brotkrümelchen entgeht ihrem Blick. Bloß das eigene Atelier lässt sie aus. Sie will die Bilder nicht sehen, will sie nur zur Ausstellung bringen, und das möglichst bald. Als sie im Bad die digitale Anzeige der Waschmaschine kontrolliert, hält diese bei 0:08. Gleich wird die Trommel zum Schleudern ansetzen. Hat Gitta Ivos Anruf überhört? Nein, sie hat extra deswegen den Besen, nicht den Staubsauger genommen. Sie rennt zum Mobiltelefon, schaut nach. Nichts. Gut, dann ruft eben sie an. Diesmal antwortet die Assistentin. Ivo sei nicht da, sie wisse auch nicht, wann er komme. Gitta solle sich keine Sorgen machen, er werde zurückrufen.

      Gitta wirft das Handy auf den Küchentisch. Ein sich quer durch die Kunstszene fickender Galerist muss nicht zu einer bestimmten Zeit zu Hause sein. Shit: Bernhard. Sie hat vergessen. Bernhard kann doch nicht alleine … nicht einmal einen Schlüssel hat er.

      Ich komm, wenn du mich brauchst. Aber gleich am nächsten Tag? Das wäre eine Bankrotterklärung. Außerdem würde Paul sie erneut damit nerven, die Ausstellung abzusagen. Ihre Mutter? Zu kurzfristig. Außerdem würde Mutter nach Paul fragen. Und Gitta will nichts erklären. Nicht jetzt. Sie merkt, wie sie ihre Zähne aufeinanderpresst. Nur nicht verkrampfen! Sie muss eine andere Lösung finden. Michi! Wo ist bloß die eingespeicherte Nummer? Unter M kann Gitta sie nicht finden. Michi hat sie doch erst unlängst angerufen. Gitta schaut in den Gesprächsprotokollen nach, wo zwischen der Endlosreihe der Ivo-Versuche einmal Iggi aufscheint. Natürlich, wie konnte sie das nur vergessen! Iggi. So hat sie Bernhard gerufen, als er Michi noch nicht aussprechen konnte. Schmetterling war Mekasing. Opa Hausladen war Opa Asaden. Und Michi war Iggi. Erleichtert tupft Gitta auf den Eintrag.

      - Michi, ein Notfall!

      - Gitta! Geht’s dir nicht gut?

      - Nein.

      - Was nein?

      - Ich nehm Tabletten, seh keine Gespenster, zumindest heute nicht, wenn du das meinst, aber sonst hab ich ein Problem. Michi, bitte! Kannst du herkommen und auf Bernhard aufpassen?

      - ¿Ist er krank, tu pequeñito?

      - Nein. Er kommt um eins aus der Schule, aber da bin ich hoffentlich schon weg und helfe beim Hängen der Bilder.

      - Gitta, wie stellst du dir das vor? Ich sitz in einem Büro mit Bossen, die Leistung einfordern. Ich muss performen, from nine to five, am besten noch länger.

      - Was soll ich denn tun?

      Gittas Stimme kippt ins Weinerliche.

      - Wie alt bist du?

      - 36. Warum?

      - Dann überleg auch mal wie ein erwachsener Mensch.

      - Red nicht so mit mir!

      - Du forderst es heraus. Apropos, wo ist Paul? Du hast doch gesagt, dass er die nächsten Tage hier ist.

      - Er ist aber weg.

      - Was heißt weg?

      - Er hat mich verlassen.

      Das ist ihr so rausgerutscht. Gitta will doch gar nicht über Paul reden, sondern darüber, dass jemand da sein muss, wenn Bernhard heimkommt.

      - Und dir geht’s gut, sagst du?

      - Ja, schon. Paul braucht bloß Abstand, wird aber wiederkommen, denk ich, nicht gleich, bald, und ich brauche jemanden für Bernhard, weil der um eins kommt, heute. Ist das so schwer zu verstehen?

      - Deine Prioritätensetzung ist bestechend. Ich komme gleich nach der Arbeit zu dir.

      - Dann ist es zu spät.

      - Für Davor versuch ich was zu organisieren. Der Joe kennt jemanden.

      - Wer ist Joe?

      - Sitzt im Nebenzimmer. ¡Espérate un momentito!

      Gitta hört Gemurmel im Hintergrund.

      - Sie verlangt acht Euro die Stunde.

      - Wer?

      - Seine Babysitterin.

      - Bernhard ist kein Baby.

      - Joes Sohn auch nicht mehr. Halt die Daumen, dass sie Zeit hat.

      - Danke, Michi.

      Einige Minuten später die beruhigende Nachricht:

      - Sie kommt! Wann kann sie sich den Schlüssel holen?

      - Am besten gleich.

      - Fahrt ihr schon los?

      - Nein.

      - Wann werden denn die Bilder geholt?

      - Ich weiß es nicht. Ich warte schon die ganze Zeit, womöglich bin ich sogar noch selbst da, wenn Bernhard nach Hause kommt. Ivo meldet sich nicht. Und ich kann doch nicht alles alleine machen, kenn nicht einmal den Weg.

      - Na, die Adresse der Galerie weißt du doch!

      - Ich werde aber in einen Golfclub ausgesiedelt. Gemeinsam mit dem Reinhard Schöller.

      Michis Empörung überträgt sich auf Gitta. Was glaubt denn dieser Ungemach? Verspricht eine Personale und hat nun die Stirn, sie mit diesem Nichtskönner in einem Provinzkaff zusammenzuspannen. Golfclub! Eine Frechheit! Gerade, als sie sich in eine wohltuende Wut hineingeredet hat, läutet es an der Tür.

      - Hast du gehört? Der Arsch ist nun da.

      - Sei nicht zu freundlich. Ich sag der Babysitterin, dass sie sich beeilen soll. Sie heißt übrigens Daniela. Ich komm dann nach der Arbeit zu dir und lös sie ab, falls du noch nicht zurück bist.

      - Danke, Michi. Bis dann!


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