James Bond 18: Eisbrecher. John Gardner

James Bond 18: Eisbrecher - John  Gardner


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dass es im Sommer mit den Bäumen, den Steingärten und den Wegen ein sehr idyllisches Plätzchen sein dürfte. Jetzt, mitten im Winter, erfüllte der Esplanade Park eine neue, originelle Funktion. Künstler aller Altersstufen und Fähigkeiten hatten den Ort in eine Freiluftgalerie mit Schneeskulpturen verwandelt. Aus dem frischen Schnee der vergangenen Tage erhoben sich liebevoll gestaltete Formen und Figuren: abstrakte Gebilde, Kunstwerke von solcher Feinheit, dass man glauben könnte, sie seien aus Holz geschnitzt oder mit viel Geduld aus Metall hergestellt worden. Gezackte aggressive Formen standen neben nachdenklichen runden, friedlichen Kunstwerken, während sich Tiere – naturalistisch oder nur in kantigen Blöcken angedeutet – aneinanderdrückten oder den vorbeieilenden Passanten, die sich unter ihren warmen Pelzmänteln zusammenkauerten, ihre leeren winterlichen Mäuler entgegenreckten.

      Das Taxi hielt fast direkt gegenüber einer lebensgroßen Skulptur eines Mannes und einer Frau, die sich in einer innigen Umarmung umschlungen hielten, aus der sie nur die Wärme des Frühlings befreien konnte.

      Die Gebäude um den Park herum waren fast alle alt. Die wenigen neuen Bauwerke sahen wie neu erschaffene Pufferstaaten aus, die die Lücken in der lebendigen Geschichte überbrücken sollten.

      Aus keinem logischen Grund heraus hatte sich Bond vorgestellt, dass Paula in einem neuen und schicken Wohnblock leben würde. Stattdessen musste er feststellen, dass ihre Adresse zu einem vierstöckigen Haus mit frisch gestrichenen grünen Fensterläden gehörte. Eisblumen zierten die Fassade wie hängende Blumenkästen und schmückten mit ihren frostigen Spuren das Schweifwerk und die Dachrinnen, als wären im Dezember Vandalen eingefallen, um die leicht zu erreichenden Stellen mit Sprühfarbe zu bearbeiten.

      Zwei geschwungene, halb mit Holz gedeckte Giebel teilten das Haus, das einen einzigen verglasten und unverschlossenen Eingang hatte. Direkt hinter der Tür zeigte eine Reihe metallener Briefkästen an, wer hier lebte. Die Namensschilder befanden sich in winzigen Fenstern. Im Flur und auf der Treppe lag kein Teppich, und der Geruch guter Politur vermischte sich mit verlockenden Küchendüften.

      Paula wohnte im dritten Stock – 3A –, und Bond öffnete die Knöpfe seines dicken Mantels und machte sich daran, die Treppe zu erklimmen. Auf jedem Treppenabsatz entdeckte er zwei Türen, eine rechts, eine links. Sie waren solide gebaut, mit Klingelknöpfen versehen und wiesen die gleichen kleinen Namensschilder wie die Briefkästen im Erdgeschoss auf.

      Auf dem dritten Treppenabsatz sah er Paula Vackers Namen, der in eleganter Schrift auf einem Schild unter der Klingel von Wohnung 3A stand. Aus Neugier warf Bond einen Blick zu Wohnung 3B. Der Bewohner war ein gewisser Major A. Nyblin. Er stellte sich einen Militär im Ruhestand vor, der umgeben von Militärgemälden, Büchern über Strategie und Kriegsromanen – ein enorm gut gehendes Geschäft für finnische Verleger – lebte und die Erinnerungen an jene drei Unabhängigkeitskriege der Nation gegen Russland am Leben hielt: zuerst gegen die Revolution, dann gegen die Invasion und schließlich Seite an Seite mit der Wehrmacht.

      Bond drückte hart und lang auf Paulas Klingel. Dann stellte er sich direkt vor den kleinen Türspion im mittleren Teil der Tür. Im Inneren erklang das Rasseln von Ketten, dann wurde die Tür geöffnet und da war sie. Sie trug einen langen seidenen Morgenmantel, der locker mit einem Band zugebunden war. Sie war dieselbe Paula, so einladend und attraktiv wie immer.

      Er sah, wie sich ihre Lippen bewegten, als wollte sie ihn willkommen heißen. In diesem Augenblick erkannte er, dass dies nicht dieselbe Paula war. Ihre Wangen waren blutleer und weiß, die Hand an der Tür zitterte. Und tief in den grau gefleckten Augen saß das unmissverständliche Flackern der Angst.

      Intuition, so lehrte man es in der Ausbildung des Service, war etwas, das man durch Erfahrung lernte: Man wurde nicht damit geboren, als wäre es ein zusätzlicher Sinn.

      Laut sagte Bond: »Ich bin’s nur, der Mann von der anderen Seite des Meeres.« Gleichzeitig schob er einen Fuß vor und drückte die Seite seines Schuhs gegen die Tür. »Freust du dich, dass ich gekommen bin?« Während er sprach, packte Bond Paulas Schulter mit der linken Hand, wirbelte sie herum und zerrte sie auf den Treppenabsatz. Mit der rechten Hand hatte er bereits die Automatik gezogen. In weniger als drei Sekunden stand Paula an der Wand neben Major Nyblins Tür und Bond betrat ihre Wohnung mit der gezückten Heckler & Koch.

      Sie waren zu zweit. Ein kleiner Wicht mit einem dünnen, pockennarbigen Gesicht versteckte sich links von Bond. Er drückte sich flach gegen die Wand, wo er Paula mit einem Revolver bedroht hatte, der wie ein Charter Arms Undercover .38 Special aussah. Am anderen Ende des Raums – es gab keinen Flur – hatte sich ein großer Mann mit gewaltigen Händen und dem Gesicht eines gescheiterten Boxers neben einer schönen, in Leder und Chrom gehaltenen Wohnzimmergarnitur aus Sessel und Sofa aufgebaut. Zu seinen auffälligen Gesichtsmerkmalen zählte eine Nase, die wie ein Karbunkel in fortgeschrittenem Stadium aussah. Er trug keine sichtbare Waffe bei sich.

      Links von Bond hob der Wicht seine Waffe, und der Boxer setzte sich in Bewegung. Bond setzte seine Waffe ein. Die große Heckler & Koch schien sich in Bonds Hand nur minimal zu bewegen, als sie mit voller Kraft auf das Handgelenk des Wichts hinabsauste. Der Revolver wurde aus seiner Hand geschleudert, und ein schmerzerfüllter Aufschrei begleitete das laute Knacken der Knochen.

      Bond hielt die Heckler & Koch auf den größeren Mann gerichtet und benutzte seinen linken Arm, um den Wicht wie einen Schutzschild vor sich zu zerren. Gleichzeitig rammte Bond sein Knie hart nach oben. Der kleine Schütze sackte zusammen, seine unverletzte Hand tatschte halbherzig umher, um seine Leistengegend zu schützen. Er quiekte wie ein Schwein und wand sich zu Bonds Füßen.

      Den größeren der beiden schien die Waffe nicht zu beeindrucken, was entweder für großen Mut oder einen Mangel an geistiger Gesundheit sprach. Eine Heckler & Koch konnte auf diese Entfernung ein großes Loch in einen menschlichen Körper reißen.

      Bond stieg über den Körper des Wichts und trat noch einmal mit seiner rechten Hacke zu. Dann hob er mit ausgestreckten Armen die Automatik und rief seinem näher kommenden Gegner zu: »Stehen bleiben oder Sie sind ein toter Mann.« Es war eher ein Befehl als eine Warnung, denn Bonds Finger spannte sich bereits am Abzug.

      Der Mann mit der Karbunkelnase kam der Aufforderung nicht nach. Stattdessen schlug er in schlechtem Russisch vor, dass Bond Inzest mit seinem weiblichen Elternteil begehen solle.

      Bond nahm die Bewegung seines Gegners kaum wahr. Der Mann war besser, als er vermutet hatte, und sehr schnell. Als er sich herumdrehte, setzte sich Bond in Bewegung, um ihm mit der Automatik zu folgen. Erst dann verspürte er den heftigen, unnatürlichen Schmerz in seiner rechten Schulter.

      Für eine Sekunde brachte die plötzliche Pein Bond aus dem Gleichgewicht. Seine Arme sackten nach unten, Karbunkelnases Fuß hob sich. Bond wurde klar, dass man mit seiner Einschätzung nicht immer bei allen Menschen richtigliegen konnte. Dieser hier war eine echte Bedrohung – ein Mörder, ausgebildet, präzise und erfahren.

      Zu dieser Erkenntnis gesellten sich gleichzeitig drei andere Dinge: der Schmerz in Bonds Schulter, dass ihm die Waffe aus der Hand getreten wurde – die davonflog und gegen die Wand knallte – und hinter ihm das leiser werdende Jammern des Wichts, der die Treppe hinunterrannte und floh.

      Karbunkelnase kam schnell näher. Er hatte eine Schulter gesenkt und hielt den Körper seitlich.

      Bond machte einen schnellen Schritt zurück und nach rechts zur Wand. Als er sich bewegte, entdeckte er, was den Schmerz in seiner Schulter verursacht hatte. Im Türsturz steckte ein zwanzig Zentimeter langes Messer mit einem Horngriff und einer Klinge, die sich zur Spitze hin krümmte. Es war ein Häutungsmesser, wie jene, die die Lappen einsetzten, um das Fell vom Kadaver eines Rentiers zu trennen.

      Bond griff nach oben und schloss die Finger um den Griff. Seine Schulter war mittlerweile taub vor Schmerz. Er kroch schnell zu einer Seite und hielt das Messer fest in der rechten Hand. Die Klinge hatte er nach oben gerichtet, und Daumen und Zeigefinger ruhten in Kampfhaltung ganz weit vorne am Griff. Man musste immer, so hieß es in der Ausbildung, eine Position zum Zustoßen einnehmen und das Messer niemals in einer abwärts zustechenden Bewegung halten. Wenn man ein Messer hatte, durfte man nie in Verteidigungshaltung gehen, sondern musste immer angreifen.

      Bond


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