James Bond 18: Eisbrecher. John Gardner

James Bond 18: Eisbrecher - John  Gardner


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der Schlange war. Auf dem Finnair-Flug 831 um zehn nach neun gab es noch jede Menge freie Plätze.

      Der Schneefall setzte gegen acht Uhr ein. Er war recht heftig geworden, als die große DC9-50 um zwölf nach neun unter lautem Getöse von der Rollbahn abhob. Helsinki verschwand schnell in einem Sturm aus weißem Konfetti, der schon bald einer aufgetürmten Wolkenlandschaft unter einem strahlend blauen Himmel wich.

      Um genau zehn nach zehn Londoner Zeit brauste dasselbe Flugzeug über die Schwelle von Rollbahn 28 Links in Heathrow. Die Störklappen wurden aktiviert, als sie sich dem Boden näherten, und die jaulenden Turboturbinen von Tratt & Whitney stellten auf Rückwärtsgang, woraufhin sich die Geschwindigkeit des Flugzeugs langsam verringerte, nachdem die Maschine aufgesetzt hatte.

      Eine Stunde später kam James Bond an dem hohen Gebäude am Regent’s Park an, in dem sich das Hauptquartier des Service befand. Mittlerweile pochte seine Schulter wie ein örtlich versetzter Zahnschmerz, Schweiß tropfte von seiner Stirn, und er fühlte sich krank.

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      ZUCKERSCHLECKEN

      »Es handelte sich eindeutig um Profis?« M hatte die Frage bereits drei Mal gestellt.

      »Daran besteht kein Zweifel«, antwortete Bond, genau wie er es zuvor getan hatte. »Und ich betone noch einmal, Sir, dass ich das Ziel war.«

      M schnaubte.

      Sie saßen in Ms Büro im neunten Stock des Gebäudes: M, Bond und Ms Stabschef, Bill Tanner.

      Sofort nach Betreten des Gebäudes hatte Bond ohne Umwege den Fahrstuhl in den neunten Stock genommen, wo er sich ins Vorzimmer geschleppt hatte. Es war das Reich von Ms ordentlicher und effizienter persönlicher Assistentin, Miss Moneypenny.

      Sie schaute auf und lächelte zuerst erfreut. »James …«, begann sie. Dann sah sie, wie Bond taumelte, und sprang von ihrem Schreibtisch auf, um ihm auf einen Stuhl zu helfen.

      »Das ist wundervoll, Penny«, murmelte Bond, der vor Schmerz und Erschöpfung ganz benommen war. »Sie riechen toll. Ganz nach Frau.«

      »Nein, James, ganz nach Chanel. Während Sie nach einer Mischung aus Schweiß, Antiseptikum und einem Hauch von etwas von Patou riechen, denke ich.«

      M war außer Haus bei einer Besprechung der Vereinten Geheimdienstkomitees, daher befand sich Bond innerhalb von zehn Minuten und mit Miss Moneypennys Hilfe unten in der Krankenstation und wurde von den zwei fest angestellten Krankenschwestern umsorgt. Der diensthabende Arzt war bereits auf dem Weg.

      Paula hatte recht gehabt: Die Wunde musste behandelt werden, mit Antibiotika und Stichen. Gegen fünfzehn Uhr fühlte sich Bond schon sehr viel besser, gut genug, um sich zurückbringen zu lassen und sich einer Befragung durch M und den Stabschef zu stellen.

      M fluchte nur selten, doch sein aktueller Gesichtsausdruck war der eines Mannes, der bereit war, der Versuchung nachzugeben. »Erzählen Sie mir noch mal von der Frau. Diese Vacker.« Er lehnte sich über den Schreibtisch, stopfte seine Pfeife, ohne hinzusehen, und starrte den jüngeren Mann mit seinen harten grauen Augen an, als wäre Bond nicht vertrauenswürdig.

      Bond erzählte detailgenau noch einmal alles, was er über Paula wusste.

      »Und die Freundin? Die, die sie erwähnte?«

      »Anni Tudeer. Sie arbeitet für dieselbe Agentur und hat einen ähnlichen Posten wie Paula inne. Offenbar arbeiten sie momentan im Rahmen eines besonderen Auftrags zusammen. Sie unterstützen eine Organisation für chemische Forschung oben in Kemi. Das ist im Norden, aber auf dieser Seite des Polarkreises.«

      »Ich weiß, wo Kemi liegt«, knurrte M fast. »Dort muss man auf dem Weg nach Rovaniemi und allen anderen Orten im Norden Zwischenstation machen.« Er neigte den Kopf in Tanners Richtung. »Stabschef, würden Sie die Namen für mich durch den Computer jagen? Finden Sie heraus, ob wir irgendetwas über sie haben. Sie können sogar mit dem MI5 zusammenarbeiten. Fragen Sie sie, ob sie irgendetwas wissen.«

      Bill Tanner nickte bestätigend und verließ das Büro.

      Sobald sich die Tür geschlossen hatte, lehnte sich M auf seinem Stuhl zurück. »Also, wie lautet Ihre persönliche Einschätzung, 007?« Die grauen Augen funkelten, und Bond dachte bei sich, dass M die Wahrheit vermutlich bereits irgendwo in seinem Kopf versteckt hatte – zusammen mit vielen Tausend anderen Geheimnissen.

      Bond wählte seine Worte mit Bedacht: »Ich glaube, ich wurde markiert – ausgesucht –, entweder während der Übung in der Arktis oder bei meiner Rückkehr nach Helsinki. Irgendwie haben sie mein Hoteltelefon verdrahtet. Entweder das oder es war Paula – was ich nur schwer glauben könnte – oder jemand, mit dem sie gesprochen hat. Es war zweifellos eine zufällige Operation, denn selbst ich wusste nicht, dass ich noch bleiben würde, bis wir in Helsinki landeten. Aber sie handelten schnell und hatten definitiv vor, mich auszuschalten.«

      M nahm die Pfeife aus dem Mund und stocherte damit in Bonds Richtung wie mit einem Schlagstock. »Wer sind sie

      »Leute, die in der Lage sind, ortsansässige Experten anzuheuern, die nicht aus Finnland stammen – professionelle Beseitiger.«

      »Aber warum sollten sie sie anheuern?« M saß ganz still da, seine Stimme war ruhig.

      »Ich freunde mich nicht leicht mit Leuten an.«

      »Sparen Sie sich die Frivolität, 007.«

      »Tja.« Bond seufzte. »Ich vermute, es könnte ein Auftragsmord gewesen sein. Überreste von SPECTRE. Sicherlich nicht der KGB – das wäre sehr unwahrscheinlich. Es gibt ein halbes Dutzend unausgegorener Gruppen, die dahinterstecken könnten.«

      »Würden Sie die Nationalsozialistische Aktionsarmee als unausgegorene Gruppe bezeichnen?«

      »Das ist nicht ihr Stil, Sir. Die konzentrieren sich auf kommunistische Ziele – auf den großen Knall, einschließlich Informationsmaterial für die Öffentlichkeit.«

      M gestattete sich ein schmales Lächeln. »Sie könnten eine Agentur benutzen, nicht wahr, 007? Eine Werbeagentur, wie die, für die Ihre Ms Vacker arbeitet.«

      »Sir.« Bonds Stimme war tonlos, als wäre M verrückt geworden.

      »Nein, Bond. Das ist nicht ihr Stil, es sei denn, sie wollten die schnelle Beseitigung einer Person, die sie als Bedrohung ansehen.«

      »Aber ich bin nicht …«

      »Das hätten sie nicht wissen dürfen. Sie hätten nicht wissen dürfen, dass Sie wegen irgendeines Playboy-Unsinns Zwischenstation in Helsinki gemacht haben – eine Rolle, die zunehmend ermüdend wird, 007. Sie hatten Anweisung, direkt nach London zurückzukehren, sobald Ihre Übung in der Arktis beendet war, oder etwa nicht?«

      »Niemand bestand darauf. Ich dachte …«

      »Mir ist völlig egal, was Sie dachten, 007. Wir wollten Sie hier haben. Stattdessen stromern Sie durch Helsinki. Sie hätten den Service und sich selbst in Schwierigkeiten bringen können.«

      »Ich …«

      »Sie konnten es nicht wissen.« M schien ein wenig milder zu werden. »Immerhin habe ich Sie einfach zu einer Übung in kalten Wetterbedingungen geschickt, eine Akklimatisierung. Ich übernehme die Verantwortung. Ich hätte deutlicher sein sollen.«

      »Deutlicher?«

      M schwieg eine ganze Minute lang. Über ihm verbildlichte die Originalversion von Robert Taylors Gemälde Trafalgar die Grundlagen von Ms Entschlossenheit und Persönlichkeit. Dieses Gemälde hing nun schon seit zwei Jahren dort. Davor war es Coopers Seeschlacht bei Kap St. Vincent gewesen, eine Leihgabe des National Maritime Museums, und davor … Bond konnte sich nicht erinnern, aber es waren immer Gemälde von britischen Marinesiegen. M besaß jene grundlegende Arroganz, die die Loyalität zum eigenen Land über alles andere stellte, sowie einen festen Glauben an die Unbesiegbarkeit


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