Mord im Bankhaus Lindström. Hans Hyan

Mord im Bankhaus Lindström - Hans Hyan


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ihn kaum willkommen hießen. Er ließ es sich auch nicht anfechten, als Herr Lindström deutlich sagte:

      „Wir sind genug hier unten ... Sagen Sie mir bloß, lieber Oberregierungsrat, was bedeutet das?“

      Der hob die Achseln, zeigte mit dem Finger auf den Geldschrank:

      „War viel Geld darin?“

      „Anderthalb Millionen Mark ... und was da drüben in den Einzelsafes“, er zeigte nach dem Metallschrank, der eine Kombination vieler, jetzt brutal aufgerissener Safefächer war, „was da drin gelegen hat, das wissen nur unsere Tresorkunden ... da kann es noch ganz nette Zivilprozesse geben ...“

      Konsul Lindström schwieg. Er ging an den kleinen, aber ganz modernen Kassenschrank, dessen beide Schlösser mit dem Fernholzbrenner wie mit einer Schere aus der Stahlplatte herausgeschnitten waren ... Dicht neben dem Schrank lag die Brennlampe, ein Erzeugnis modernster Konstruktion, und daneben eines jener schweren Lederetuis, in denen die kleinen Staubsauger-modelle transportiert werden. Hier hatte dieser glänzende Beutel zum Transport zweier Eisenflaschen gedient, und Herr Henderson verbreitete sich eben über ihren Zweck: sie seien mit dem modernen Disu-Gas gefüllt gewesen, mit dem der Fernholzbrenner gespeist würde. Eine ganz neue Erfindung, die das Mitschleppen der großen Sauerstoffballons überflüssig mache.

      In einer Art Trance sah der Bankier die Menschen und die Gegenstände in dem hell erleuchteten Tresorraum an sich vorüberhuschen. Der Verlust der anderthalb Millionen, die Sonnabend von der Reichsbank hereingeholt waren, um heute, am Letzten des Monats, den Ultimobedarf einer Kleinbahn, der Hauptkundin der Bank, zu decken, war gewiß schmerzlich. Doch die Diebstahlsversicherungen seiner Bank waren so ausreichend, so durchaus unanfechtbar, daß für die Firma auf keinen Fall ein allzu großer Verlust entstehen konnte. Nein, was den Konsul so schwer bedrückte, was in ihm diese widerwärtige Empfindung hervorrief, als schmecke er Blut, das war der tote Mensch dort vor ihm auf der Erde. Und in dieses grausige Bild mischte sich ein anderes. Er hörte die Stimme seiner Tochter, die ihn bat: „Du darfst mich jetzt nicht fragen, Papa, ich kann heute nichts sagen!“ — Was verbarg sich hinter dieser Weigerung ...? Die Furcht vor einem Menschen ...? Aber wer durfte seinem Kinde etwas anhaben ...? Hatte sie selbst etwas Unrechtes begangen? — Nein, er kannte Marions stolze, freie Seele! Hatte sie etwas getan, was unrecht war, so hätte sie auch den Mut gefunden, es einzugestehen.

      „Was ist nun eigentlich hier vorgegangen, meine Herren?“ wiederholte der Konsul seine Frage.

      In diesem Augenblick kam noch jemand die kurze Treppe herab und drängte sich zwischen den Beamten durch. Herr Henderson ging ihm entgegen und sagte vorstellend:

      „Sanitätsrat Rangower, unser Polizeiarzt.“

      Ein kleiner, nicht sehr adrett gekleideter Herr von fünfzig Jahren mit buschigem Schnauzbart, der einen schwarzumrandeten Kneifer vor die Augen drückte, sofort die grüne Decke wegzog und, neben dem Toten in die Knie gehend, den Körper und das Gesicht musterte.

      Er fühlte flüchtig den Puls, behorchte die Herzgegend und sagte mit heftiger Stimme:

      „Herzschlag ... gar kein Zweifel“, er lauschte nochmals an der Brust, „sogenannter Betriebsunfall ...! Is mausetot, der Mann!“

      Herr Henderson schüttelte ungläubig den Kopf.

      „Aber wieso ...? Wie soll er denn — hier ’n Herzschlag gekriegt haben?!“ Doktor Rangower sprühte ordentlich vor Sarkasmus: „Das is ganz einfach! Arbeiterrisiko bei der Nachtschicht, Herr Oberregierungsrat!“

      Henderson schien ärgerlich, aber er überwand seine Verstimmung und meinte nun seinerseits ironisch:

      „Natürlich! Wer so befreundet ist mit dem Herrn Tod wie Sie, Doktor, der muß ja alle Scheu vor ihm verlieren!“

      Der Sanitätsrat Rangower stand auf und drehte sich um:

      „Danke bestens! Übrigens kann ich hier weiter nichts tun ... kommt ja später zur Obduktion, der Knabe, habe heute auch noch zu viel anderes vor!“

      Und er ging, ohne sich um irgend jemand zu kümmern, durch den Kreis der Herren und verschwand auf der Tresortreppe.

      Der Oberregierungsrat lächelte und wollte den Sanitätsrat, der im übrigen ein ganz vorzüglicher Arzt wäre, entschuldigen. Doch Konsul Lindström sah mit zerstreutem Blick an den Anwesenden vorbei:

      „Mich entschuldigen Sie wohl auch für eine Weile, lieber Henderson ... ich muß mich erst wieder ein bißchen zusammenfinden. Außerdem warten meine Herren oben auf mich mit der Post ...“

      Und er ging langsam die Treppe hinauf nach den Bankräumen.

      Dort stand er noch und sprach ein paar Worte mit dem Vorsteher der Wechselkasse, als die Eingangstür förmlich aufgerissen wurde und ein großer, gebückt gehender Herr unsicheren Schrittes schnell hereinkam. Der Mann war leichenblaß, und als er eben den Hut abnahm, sah man das dichte weiße Haar, das unordentlich um den Kopf hing. Sein Winterpaletot stand offen, in der Eile und Aufregung hatte er sogar vergessen, die Krawatte zu binden, deren beide Enden herabhingen.

      Konsul Lindström trat ihm entgegen:

      „Aber lieber Herr Reese! Um Gottes willen, was ist denn mit Ihnen?!“

      Der Hauptkassierer konnte nicht sprechen. Der Konsul nahm ihn unter den Arm und begleitete ihn die breite Treppe hinauf, die in die obere Etage der Bank führte.

      „Ich kann es ja verstehen, lieber Freund, daß Sie sich darüber aufregen, aber schließlich trifft Sie doch keine Schuld. Es ist natürlich ein Unglück für die Bank und für jeden von uns ... das obendrein noch ein Menschenleben gekostet hat ...“

      Nichts weiter als ein trockenes Schluchzen kam aus der Kehle des Hauptkassierers.

      „So beruhigen Sie sich doch nur ...! Wollen Sie vielleicht wieder nach Hause fahren, lieber Reese? Wir kommen auch so aus ... außerdem habe ich schon an Ostermann telegrafiert, der seinen Urlaub natürlich unterbrechen muß ... Ich erwarte ihn heute noch.“

      Der Hauptkassierer sah seinen Chef aus verstörten Augen an:

      „Anderthalb Millionen Mark ... anderthalb Millionen ... und die Schlüssel ... die Schlüssel ...“

      Er machte sich vom Arm des Generaldirektors los und lief fahrig mit seiner langen mageren Gestalt den Korridor hinab, der nur gedämpftes Licht aus den Deckenlampen erhielt.

      Der Konsul war stehen geblieben und wartete auf den Lehrling Winter, der beflissen näher trat:

      „Herr Reese hat sich furchtbar aufgeregt, als er es hörte. Ich dachte schon, er würde ohnmächtig werden Fräulein Gertrud kommt auch gleich.“

      Der Konsul nickte:

      „Es ist gut, Winter, gehen Sie man an Ihre Arbeit.“

      Der junge Mensch verneigte sich in dem Gefühl seiner Wichtigkeit. Nachher, während der Frühstückspause, da würde er den Kollegen, die sonst immer auf ihn herabsahen, als wenn er gar nichts wäre, mal was erzählen!

      Indem kam Gertrud Reese. Sie war ein Mensch, auf den man sich verlassen konnte. Hermann Reeses Tochter war schon ein paar Jahre in der Bank tätig und jetzt Privatsekretärin des Generaldirektors. Der Konsul kannte sie von Kind auf, er nannte sie heute noch „du“ und „Trudchen“, so daß sie von jedem in der Bank „Fräulein Gertrud“ gerufen wurde.

      „Papa ist schon oben?“ fragte sie. „Ach, Herr Konsul, er hat sich entsetzlich aufgeregt, als der Winter kam. Und war schon so fruchtbar niedergedrückt ... Willis wegen ...“

      Der Konsul sah sie fragend an, sagte aber nichts. Sie gingen nebeneinander den breiten Korridor hinauf. Der Plüschläufer dämpfte das Geräusch ihrer Schritte, und dem Konsul war, als ob dieser matt erhellte Gang sich in schattenhafte Angst und Unsicherheit verlor.

      Rudolf Lindström konnte nicht weitergehen. Ganz unmöglich, daß er jetzt mit diesem zerbrochenen Menschen, dem Reese, über das Verbrechen sprach. In dieser Stunde war er nicht wie sonst imstande, Mitgefühl für andere aufzubringen.


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