Mord im Bankhaus Lindström. Hans Hyan

Mord im Bankhaus Lindström - Hans Hyan


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nach unten ... geh du zu deinem Papa und sieh, daß du ihn ein bißchen beruhigst.“

      Das Mädchen bewegte die vollen Lippen, als wollte sie etwas erwidern, aber dann nickte sie nur und ging weiter den Gang entlang.

      4

      Kommissar Starkmann war mit Wachtmeister Vogel und Assistent Nebeltau um die Ecke nach dem Harlemer Platz gegangen. Sie wollten durch den zweiten Eingang des Hauses über den Hof in den Heizkeller. So blieben Herr Henderson und Doktor Splittericht allein im Tresorraum.

      Sie hatten auf zwei Hockern Platz genommen, und der Chef der Kriminalpolizei steckte sich noch eine von den schweren Zigarren an, die er entgegen dem Rat seines Arztes vornehmlich dann gern rauchte, wenn eine besonders schwierige Aufgabe seinen Geist beschäftigte.

      Doktor Splittericht war der Vertraute des ungemein rechtlichen und tüchtigen Henderson gewesen, solange er im Kriminaldienst stand. Als es ihm mit den Jahren immer schwerer wurde, sich in den Beamten-Rangstaat einzuordnen, litt es ihn nicht länger bei der Behörde. Sein Ruf war auch in Privatkreisen so groß, daß er als Detektiv das Zehnfache seines Beamtengehaltes verdiente. Dabei zog ihn die Kriminalpolizei noch jetzt bei besonderen Gelegenheiten gern zu Rate.

      Die Herren saßen eine Weile schweigend beieinander. Zarte blaue Wolken zogen von der großen Zigarre des Oberregierungsrates durch den Raum, bis Splittericht auf einmal sagte:

      „Wenn ich nur wüßte, wieso der Zalewski ’n Herzschlag gekriegt hat ...“

      „Wird ’n Herzfehler gehabt haben, lieber Doktor!“

      Splittericht nickte:

      „Ganz recht, Herr Oberregierungsrat ... möglich ist das schon ... aber so herzleidende Leute wenden sich selten einem so anstrengenden Beruf zu ... haben auch meist gar nicht die Energie, die dazu nötig ist ... Ich kann mir nicht helfen, Herr Oberregierungsrat, an der Sache stimmt etwas nicht ...“

      Kommissar Starkmann kam ohne seine beiden Helfer wieder herunter in den Tresor.

      „Was sagen Sie dazu, Herr Starkmann ... ich meine, zu dem Herzschlag des Zalewski?“

      Starkmann zuckte die Achseln:

      „Was soll man da sagen! Der andere hat ihm vielleicht ’ne Pille gegeben, hat ihn beerben wollen, konnte die anderthalb Millionen alleine gebrauchen!“

      Splittericht schüttelte den Kopf:

      „Ausgeschlossen. Sie kennen doch unsere schweren Jungen ebenso gut wie ich selbst, Herr Kollege. Aber Sie denken vielleicht nicht so an das psychologische Moment bei der Tat. Wenn so ein Mensch an seine doch unerhört schwierige Aufgabe herangeht, dann erfüllt ihn das ganz und gar! Daß er dabei auch noch einen so raffiniert ausgeklügelten Mordplan wälzen soll — nein!

      Übrigens hätte Doktor Rangower das ohne weiteres festgestellt ... müßte auch ein ganz besonders tückischer Geselle sein, der Täter! Nein, hier liegt irgendeine Kombination vor, die, das will ich offen gestehen, mir vorläufig selber ganz rätselhaft ist.“

      Der Doktor-Kommissar stand auf und ging nachdenklich beobachtend durch den engen Raum. Er kam dabei an einem kleinen Tisch vorbei, der neben dem Geldschrank stand. Auf der polierten Platte befand sich ein handgroßer Wasserfleck ... Wie kam er dahin?

      Splittericht ging zu den beiden Herren zurück. Er sagte kein Wort.

      Herr Henderson blickte fragend zu Kommissar Starkmann hin, der in seiner unbekümmerten Weise mit einem halben Lachen erwiderte:

      „Na, ich habe jedenfalls meine beiden Helfer zu der ‚schwarzen Alma‘ geschickt. Die hat die alte Zachowsche Kaschemme in der Boyenstraße, und da werden wir vielleicht Husaren-Albert finden. Das war der beste Freund von Zalewski. Das heißt, sie haben sich mal um ein Mädel gegenseitig halbtot geschlagen. Wer weiß, ob das Husaren-Albert dem da“ — er deutete mit der Stiefelspitze auf den bedeckten Leichnam — „nicht noch nachträglich hat eintränken wollen.“

      Doktor Splittericht war sichtlich anderer Meinung.

      Starkmann meinte rasch und nicht allzu höflich:

      „Na, eine Erklärung haben Sie doch auch nicht, Herr Doktor?“

      „Nein, aber ich werde sie finden, Herr Kollege ... Sie verzeihen, Herr Oberregierungsrat, ich will mir nur einmal die oberen Räume ansehen.“

      5

      In der Liguster-Allee in Westend, nahe dem großen Rondell, das mit seinem Alpenrosenschmuck und den gewaltigen Fliederhecken im Frühsommer das Entzücken der ganzen Gegend ist, lag die Villa des Konsuls. Heute war in dieser so stillen Gegend ein emsiges Kommen und Gehen. Lieferanten aller Art brachten Blumen und Eßwaren für die Verlobungsfeier der einzigen Tochter.

      Marion Lindström stand im Erker ihres kleinen Musiksalons und blickte auf die winterliche Straße hinaus.

      „Gnädiges Fräulein ...“

      Marion sah sich rasch um:

      „Ja, Annette, was ist denn?“

      Eine Zofe, ungewöhnlich hübsch mit ihren dunklen Locken und Augen, war eingetreten.

      „Ach, Fräulein Marion“, die Zofe sah sich besorgt um, obwohl niemand im Zimmer war, und sagte ganz leise:

      „Ich habe wieder einen ... einen Brief ...“

      In das schöne, helle Oval der Blonden kam ein Ausdruck, als erstarrte sie zu Eis:

      „Ich will ihn nicht ...! Ich nehme keinen Brief mehr an!“

      „Was soll ich denn aber damit machen, gnädiges Fräulein?!“

      „Zerreißen! Verbrennen!“ kam es zwischen den weißen Zähnen hervor. „Ich will das nicht mehr! Ich kann nicht!“

      „Aber, Fräulein Marion ...!“

      „Nein! Geh weg ...! Scher dich ...!“

      Annette wollte ängstlich geduckt aus dem Zimmer. Da war Marion an ihrer Seite und streichelte der um einen Kopf Kleineren das dunkle Gelock:

      „Du kannst ja nichts dafür, Mädchen ...! Gib mir den Brief ...! Gib her ...!“

      Sie nahm den Umschlag aus bläulichem Überseepapier:

      „Auch wieder per Post ... natürlich ...! So ein Schuft! Immer auf Schleichwegen ... hinten herum. Also geh, Annette ... und ...!“ Die Bankierstochter drückte den Finger an die Lippen.

      „Du wirst nicht mehr viel solche Briefe bringen .. einmal versieht er’s doch, der ...“

      Sie riß den Umschlag auf, und lesend winkte sie der Zofe zu gehen.

      Marion stand noch am Fenster und sah hinaus. Vor ihrem inneren Auge kamen drüben Stefan von Wieland und ihr Vater die Straße herauf. Die beiden gingen Arm in Arm, plaudernd und lachend ... Sie sah sie beide so deutlich, den geliebten Papa und ihren Stefan ... Stefan war nicht so sehr viel jünger als der Vater; der Konsul hatte schon die Fünfzig überschritten, aber er sah aus, als wenn er in der Mitte der Dreißiger stünde. Stark, gefestigt und durch und durch gesund war er mit seiner breitbrüstigen, gerade gewachsenen Gestalt. Und stark und fest waren auch die Züge von Stefans durchgeistigtem Angesicht.

      Und ihn, den Mann, an dem ihr ganzes Herz hing, sollte sie aufgeben, ihren Stefan nicht mehr sehen, seine liebe warme Stimme nicht mehr hören ...! Vielleicht nie mehr an seiner Seite gehen, wenn der Frühling kam, wenn es wieder grün wurde und die Vögel in den Büschen sangen ... Was war dann ihr Leben noch? Wofür sollte sie dasein, welchen Sinn sollte ihr Leben noch haben, wenn sie ihm nicht mehr gehörte ...?! Ach, das, was sie für Stefan empfand, das war nicht nur Liebe, das war viel, viel mehr! Ein schrankenloses Vertrauen, ein Fest-an-ihn-Gebundensein für alle Zeiten ... Und doch wollte sie ihn verlassen? — Nein, sie wollte nicht ..! Niemals ..! Weshalb denn ...? Weswegen? Hatte sie sich denn etwas vorzuwerfen —? Einmal in ihrem Leben war sie leichtherzig gewesen, und das viel mehr aus Interesse und Mitgefühl mit dem Menschen,


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