Jeder stirbt für sich allein. Ханс Фаллада

Jeder stirbt für sich allein - Ханс Фаллада


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Der eine griff in seine Aktentasche und fing an, in einem Aktenstück zu lesen. Sie hätte gerne gewußt, was er da las: Es konnte doch über sie nicht solch ein Aktenstück bei der Kriminalpolizei geben, denn daß diese Zivilisten irgendwas Polizeiliches waren, das hatte sie unterdes doch gemerkt.

      Dann fingen sie wieder an zu fragen, und nun erwies es sich, daß in dem Aktenstück etwas über Enno stehen mußte. Denn nun wurde sie über seine Krankheiten, seine Arbeitsscheu, seine Wettleidenschaft und über seine Weiber ausgefragt. Es fing wieder ganz harmlos an, dann plötzlich sah sie die Gefahr, schloß fest den Mund und sagte nichts mehr. Nein, auch das war privat. Es ging keinen was an. Was sie mit ihrem Mann hatte, das war ihre Sache allein. Übrigens lebte sie getrennt von dem Manne.

      Da war sie wieder erwischt. Seit wann sie getrennt von ihm lebe? Wann hatte sie ihn zum letzten Male gesehen? Hing ihr Wunsch nach Austritt aus der Partei etwa mit dem Manne zusammen?

      Sie schüttelte nur den Kopf. Aber sie dachte mit Schaudern daran, daß sie sich wahrscheinlich nun den Enno vornehmen würden, und aus dem schlappen Kerl würden sie in einer halben Stunde alles ausgequetscht haben! Dann stand sie mit ihrer Schande, von der bisher sie allein wußte, vor allen nackt und bloß da.

      «Privat! Rein privat!»

      Die Briefträgerin, die in Gedanken verloren das Zittern und Beben des blauen Gasflämmchens beobachtet hat, fährt zusammen. Sie hat vorhin einen schweren Fehler begangen, sie brauchte dem Enno nur für ein paar Wochen Geld zu geben und die Weisung, sich bei einer seiner Freundinnen zu verstecken.

      Sie klingelt bei der Gesch. «Hören Sie, Frau Gesch, ich habe es mir noch mal überlegt, ich möchte wenigstens ein paar Worte mit meinem Manne sprechen!»

      Jetzt, wo die andere ihr den Willen tut, wird die Gesch böse. «Das hätten Sie sich eher überlegen müssen. Jetzt ist Ihr Mann fort, schon gute zwanzig Minuten. Nun kommen Sie zu spät!»

      «Wo ist er denn hin, Frau Gesch?»

      «Wie soll ich das denn wissen? Wo Sie ihn rausgeschmissen haben! Bei eine von seinen Weibern wohl!»

      «Wissen Sie nicht, zu welcher? Bitte, sagen Sie es doch, Frau Gesch! Es ist wirklich sehr wichtig.

      «Auf einmal!» Und widerwillig setzt die Gesch hinzu: «Er hat was von ʼner Tutti gesagt ... »

      «Tutti?» fragt sie. «Das soll doch Trude, Gertrud bedeuten ... Wissen Sie den andern Namen nicht. Frau Gesch?»

      «Er hat ihn ja selber nicht gewußt! Er hat nicht mal genau gewußt, wo sie wohnt, er hat bloß gedacht, er find’t sie. Aber bei dem Zustand, in dem der Mann ist ... »

      «Vielleicht kommt er noch mal wieder», sagt Frau Kluge nachdenklich. «Dann schicken Sie ihn zu mir. Jedenfalls danke ich Ihnen schön, Frau Gesch. Guten Abend!»

      Aber die Gesch grüßt nicht zurück, sie knallt bei sich die Tür zu. Sie hat noch nicht vergessen, wie die andere ihr vorhin die Tür vor der Nase zugemacht hat. Das ist noch lange nicht raus, daß sie den Mann schickt, wenn er wirklich noch mal hier auftaucht. So ʼne Frau soll sich zur rechten Zeit besinnen, nachher ist es manchmal zu spät.

      Frau Kluge ist in ihre Küche zurückgekehrt. Es ist seltsam: Obwohl doch das Gespräch eben mit der Gesch ohne Ergebnis geblieben ist, hat es sie erleichtert. Die Dinge müssen eben ihren Lauf nehmen. Sie hat getan, was sie tun konnte, sich sauberzuhalten. Sie hat sich vom Vater wie vom Sohne losgesagt, sie wird sie austilgen aus ihrem Herzen. Sie hat ihren Austritt aus der Partei erklärt. Nun geschieht, was geschehen muß. Sie kann das nicht ändern, auch das Schlimmste kann sie nicht mehr sehr schrecken nach dem, was sie durchgemacht hat.

      Es hat sie auch nicht sehr erschrecken können, als die beiden vernehmenden Zivilisten vom nutzlosen Fragen zum Drohen übergegangen sind. Sie wisse doch wohl, daß solch ein Austritt aus der Partei sie ihre Stellung bei der Post kosten könne? Und noch viel mehr: Wenn sie jetzt, unter Verweigerung von Gründen, aus der Partei austreten wolle, so sei sie politisch unzuverlässig, und für solche gebe es so etwas wie ein KZ! Sie habe doch wohl schon davon gehört? Da könne man politisch Unzuverlässige sehr rasch zuverlässig machen, fürs ganze Leben seien die zuverlässig. Sie verstehe doch!

      Frau Kluge hatte keine Angst bekommen. Sie ist dabei geblieben, daß privat privat bleibt, und über Privates redet sie nicht. Schließlich hat man sie gehen lassen. Nein, ihr Austritt aus der Partei ist vorläufig nicht angenommen, sie wird noch darüber hören. Aber vom Postdienst ist sie suspendiert. Sie hat sich aber in ihrer Wohnung zur Verfügung zu halten ...

      Während Eva Kluge den solange vergessenen Suppentopf endlich auf die Gasflamme rückt, beschließt sie plötzlich, auch in diesem Punkte nicht zu gehorchen. Sie wird nicht ewig tatenlos in der Wohnung sitzen und auf die Quälereien der Herren warten. Nein, sie wird morgen früh mit dem Sechs-Uhr-Zug zu ihrer Schwester bei Ruppin fahren. Da kann sie zwei, drei Wochen unangemeldet leben, die füttern sie schon so durch. Die haben da Kuh und Schweine und Kartoffelland. Sie wird arbeiten, im Stall und auf dem Felde arbeiten. Das wird ihr guttun, besser als diese Briefträgerei für ewig: trabtrab!

      Ihre Bewegungen sind, seit dem Beschluß, aufs Land zu gehen, frischer geworden. Sie holt einen Handkoffer hervor und fängt an zu packen. Einen Augenblick überlegt sie, ob sie Frau Gesch wenigstens sagen soll, daß sie verreist ist, das Wohin braucht sie ihr ja nicht zu sagen. Aber sie beschließt: nein, sie will lieber nichts sagen. Alles, was sie nun tut, tut sie ganz für sich allein. Sie will keinen Menschen dareinziehen. Sie wird auch der Schwester und dem Schwager nichts sagen. Sie wird jetzt so allein leben wie noch nie. Immer war bisher jemand da, für den sie zu sorgen hatte: die Eltern, der Mann, die Kinder. Nun ist sie allein. Es scheint ihr im Augenblick sehr möglich, daß ihr dieses Alleinsein gut gefallen wird. Vielleicht wird, wenn sie ganz allein mit sich ist, noch etwas aus ihr, jetzt, wo sie endlich Zeit für sich selber hat, das eigene Ich nicht immer über all dem andern vergessen muß.

      In dieser Nacht, die Frau Rosenthal mit ihrer Einsamkeit so ängstet, lächelt die Briefträgerin Kluge zum erstenmal wieder im Schlaf. Träumend sieht sie sich auf einem riesigen Kartoffelacker stehen, die Hacke in den Händen. So weit sie sieht, nur Kartoffelland, und sie dazwischen allein: Sie muß das Kartoffelland sauberhacken. Sie lächelt, sie hebt die Hacke, hell klingt ein getroffener Stein, ein Meldenstengel sinkt um, sie hackt weiter und weiter.

      12

       Enno und Emil nach dem Schock

      Der kleine Enno Kluge hat es viel schlechter getroffen als sein «Kumpel» Emil Borkhausen, den nach den Erlebnissen dieser Nacht eine Frau, sie mochte sein, wie sie wollte, doch immerhin in ein Bett gepackt hatte, wenn sie ihn auch sofort danach bestahl. Der schwächliche Rennwetter hat auch viel mehr Schläge bekommen als der lange, knochige Gelegenheitsspitzel. Nein, dem Enno ist besonders übel mitgespielt worden.

      Und während er durch die Straßen läuft und angstvoll nach seiner Tutti sucht, ist der Borkhausen aus seinem Bett aufgestanden, hat sich in der Küche was zu essen gesucht und ißt sich finster und nachdenklich satt. Dann findet Borkhausen im Kleiderspind eine Schachtel Zigaretten, er brennt sich eine an, steckt die Schachtel in seine Tasche und sitzt wieder finster grübelnd am Tisch, den Kopf in der Hand.

      So findet ihn seine Otti, als sie von ihren Besorgungen zurückkommt. Natürlich sieht sie gleich, daß er sich Essen genommen hat, sie weiß auch, er hat nichts zu rauchen in der Tasche gehabt, als sie ging, und sie entdeckt sofort den Diebstahl aus ihrem Kleiderspind. Sofort bricht sie einen Streit vom Zaun, so verängstigt sie auch ist. «Jawohl, so was liebe ich, einen Kerl, der mir mein Essen frißt und mir meine Zigaretten klaut! Gleich gibst du mir sie wieder, auf der Stelle gibst du mir sie wieder! Oder du bezahlst sie mir! Gib Geld her, Emil!»

      Sie wartet gespannt, was er sagen wird, aber sie ist ihrer Sache ziemlich sicher. Die achtundvierzig Mark hat sie schon fast ganz ausgegeben, da kann er wirklich nicht mehr viel machen.

      Und sie sieht aus seiner Antwort, so böse sie auch klingt, daß er von dem Gelde wirklich nichts weiß. Sie fühlt sich diesem doofen Kerl von einem Manne weit überlegen, sie hat ihn ausgenommen, und der Affe merkt es nicht mal!

      «Halt


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