Jeder stirbt für sich allein. Ханс Фаллада

Jeder stirbt für sich allein - Ханс Фаллада


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«Ach was!» sagte er dann kurz. «Es ist ausgespielt! Komm, Grigoleit!»

      Der Hochstirnige stand schon. Gemeinsam wandten sie sich dem Ausgang zu. Plötzlich aber lag eine Hand auf dem Arm des Säuglings. Er sah in das glatte, ein wenig gedunsene Gesicht eines braun Uniformierten.

      «Einen Augenblick, bitte! Was haben Sie da eben gesagt von der Auflösung der Zelle? Es würde mich doch sehr interessieren ... »

      Der Säugling riß brutal seinen Arm frei. «Lassen Sie mich zufrieden!» sagte er sehr laut. «Wenn Sie wissen wollen, was wir geredet haben, fragen Sie die junge Dame dort! Gestern ist ihr Verlobter erst gefallen, heute hat sie schon wieder einen andern auf dem Korn! Verdammter Weiberkram!»

      Er hatte immer mehr dem Ausgang zugedrängt, den Grigoleit schon erreicht hatte. Jetzt ging auch er hinaus. Der Fette sah ihm einen Augenblick nach. Dann wandte er sich dem Tisch zu, an dem das Mädchen und der Dunkle noch immer mit blassen Gesichtern saßen. Das beruhigte ihn. Vielleicht habe ich doch keinen Fehler begangen, als ich ihn laufenließ. Er hat mich überrumpelt. Aber ...

      Er sagte höflich: «Gestatten Sie, daß ich mich einen Augenblick zu Ihnen setze und ein paar Fragen stelle?»

      Trudel Baumann antwortete: «Ich kann Ihnen nichts anderes sagen, als was der Herr eben erzählt hat. Ich habe gestern die Nachricht vom Tode meines Verlobten bekommen, und heute möchte dieser Herr sich mit mir verloben.»

      Ihre Stimme klang fest und sicher. Jetzt, wo die Gefahr an ihrem Tisch saß, waren Angst und Unruhe verflogen.

      «Würden Sie etwas dagegen haben, den Namen Ihres gefallenen Verlobten zu nennen? Und seine Formation?» Sie tat es. «Und nun Ihr Name? Ihre Adresse? Ihre Arbeitsstelle? Haben Sie vielleicht irgendeinen Ausweis bei sich? Ich danke! Und nun Sie, mein Herr.»

      «Ich arbeite in demselben Betrieb. Ich heiße Karl Hergesell. Hier mein Arbeitsbuch.»

      «Und die beiden anderen Herren?»

      «Wir kennen sie gar nicht. Sie haben sich an unsern Tisch gesetzt und plötzlich in unsern Streit gemischt.»

      «Und warum stritten Sie?»

      «Ich will ihn nicht.»

      «Warum war dann dieser Herr so empört über Sie, wenn Sie ihn nicht wollen?»

      «Was weiß ich? Vielleicht glaubte er meinen Worten nicht. Es ärgerte ihn auch, daß ich mit ihm tanzte.»

      «Na schön!» sagte der Gedunsene, klappte das Notizbuch zu und sah dabei von einem zum andern. Sie sahen wirklich eher verstrittenen Liebenden als ertappten Verbrechern ähnlich. Schon die Art, wie sie ängstlich vermieden, einander anzusehen ... Und dabei lagen ihre Hände fast berührungsnah auf der Tischplatte. «Na schön. Ihre Angaben werden natürlich nachgeprüft werden, aber ich denke doch ... Jedenfalls noch eine bessere Fortsetzung dieses Abends ... »

      «Nicht ich!» sagte das junge Mädchen. «Nicht ich!» Sie stand gleichzeitig mit dem andern auf. «Ich gehe nach Haus.»

      «Ich bringe dich.»

      «Nein, danke, ich gehe lieber allein.»

      «Trudel!» bat er. «Laß mich doch noch zwei Worte mit dir reden!»

      Die Uniform sah lächelnd von einem zum andern. Sie waren wirklich Verliebte. Eine flüchtige Nachprüfung der Angaben würde genügen.

      Plötzlich hatte sie sich entschlossen: «Nun gut, aber nur zwei Minuten!»

      Sie gingen. Endlich waren sie aus diesem entsetzlichen Saal, aus dieser Atmosphäre von Gegensätzlichkeit und Haß heraus. Sie sahen sich um.

      «Sie sind fort.»

      «Wir werden sie nicht wiedersehen.»

      «Und du kannst leben. Nein, jetzt mußt du leben, Trudel! Ein unüberlegter Schritt von dir würde die andern in Gefahr bringen, viele andere – denke immer daran, Trudel!»

      «Ja», sagte sie, «jetzt muß ich leben.» Und mit einem raschen Entschluß: «Lebe wohl, Karl!»

      Einen Augenblick lehnte sie an seiner Brust, ihr Mund streifte den seinen. Ehe er sich noch entschlossen hatte, lief sie schräg über die Fahrbahn auf eine haltende Elektrische zu. Der Wagen fuhr an.

      Er machte eine Bewegung, als wollte er ihr nachlaufen. Aber er besann sich.

      Ich werde sie dann und wann im Betrieb sehen, dachte er. Ein ganzes Leben liegt vor uns. Ich habe Zeit. Jetzt weiß ich doch, daß sie mich liebt.

      14

       Sonnabend: Unruhe bei Quangels

      Auch den ganzen Freitag hatten die Eheleute Quangel kein Wort miteinander gesprochen – drei Tage Schweigen unter ihnen, nicht einmal Bieten der Tageszeiten, das war in ihrer ganzen Ehe noch nicht vorgekommen. So wortkarg Quangel auch gewesen war, er hatte doch hin und wieder einen Satz gesprochen, etwas über einen Arbeiter in der Werkstatt oder wenigstens über das Wetter, oder daß ihm heute das Essen besonders gut geschmeckt habe. Und nun nichts!

      Anna Quangel spürte es je länger je stärker, daß die tiefe Trauer, die sie um den verlorenen Sohn empfand, sich zu zerstreuen anfing vor der Unruhe über den so veränderten Mann. Sie wollte nur an den Jungen denken; aber sie konnte es nicht mehr, wenn sie diesen Mann beobachtete, ihren langjährigen Ehemann Otto Quangel, immerhin den Mann, dem sie die meisten und besten Jahre ihres Lebens gewidmet hatte. Was war in diesen Mann gefahren? Was war los mit ihm? Was hatte ihn so verändert?

      Am Freitag um die Mittagszeit war bei Anna Quangel aller Zorn und aller Vorwurf gegen Otto vergangen. Hätte sie sich den geringsten Erfolg davon versprochen, so hätte sie ihn wegen ihres vorschnellen Wortes «Du und dein Führer» um Verzeihung gebeten. Aber es war klar zu sehen, daß Quangel nicht mehr an diesen Vorwurf dachte, ja, anscheinend dachte er auch nicht mehr an sie. Er sah an ihr vorbei, er sah durch sie hindurch, er stand am Fenster, die Hände in den Taschen seines Arbeitsrocks und pfiff langsam, nachdenklich, mit großen Pausen dazwischen, vor sich hin, was er sonst nie getan hatte.

      An was dachte der Mann? Was machte ihn innerlich so erregt? Sie setzte ihm das. Essen auf den Tisch, er fing an zu löffeln. Einen Augenblick beobachtete sie ihn so von der Küche aus. Sein scharfes Gesicht war über den Teller geneigt, aber den Löffel führte er ganz mechanisch zum Munde, seine dunklen Augen blickten auf etwas, das nicht da war.

      Sie wandte sich in die Küche zurück, einen Rest Kohl zu wärmen. Gewärmten Kohl aß er gerne. Sie war nun fest entschlossen, ihn gleich jetzt ânzusprechen, wenn sie mit dem Kohl hereinkam. Er mochte ihr noch so scharf antworten, sie mußte dieses unheilvolle Schweigen brechen.

      Aber als sie mit dem gewärmten Kohl wieder in die Stube kam, war Otto gegangen, der Teller stand halb leer gegessen auf dem Tisch. Entweder hatte Quangel ihre Absicht gemerkt und sich fottgeschlichen wie ein Kind, das weiter trotzen will, oder er hatte über dem, das ihn innerlich so unruhig machte, das Weiteressen einfach vergessen. Jedenfalls war er fort, und sie müßte bis in die Nacht auf ihn warten.

      Aber in der Nacht vom Freitag zum Sonnabend kam Otto so spät von der Arbeit, daß sie trotz all ihrer guten Vorsätze schon eingeschlafen wär, als er sich ins Bett legte. Sie wachte erst später auf von seinem Husten; sie fragte behutsam: «Otto, schläfst du schon?»

      Der Husten hörte auf, er lag ganz still. Noch einmal fragte sie: «Otto, schläfst du schon?»

      Und nichts, keine Antwort. So lagen sie beide sehr lange still. Jeder wußte von dem andern, er schlief noch nicht. Sie wagten nicht, ihre Stellung zu ändern, um sich nicht zu verraten. Endlich schliefen sie beide ein.

      Der Sonnabend ließ sich noch schlimmer an. Otto Quangel war ungewohnt früh aufgestanden. Ehe sie ihm noch seinen Muckefuck auf den Tisch setzen konnte, war er schon wieder fortgelaufen zu einem jener hastigen, unbegreiflichen Gänge, die er früher nie unternommen hatte. Er kam zurück, von der Küche her hörte sie ihn in der Stube auf und ab gehen. Als sie mit dem Kaffee hereinkam, faltete er sorgfältig ein großes weißes Blatt, in dem er am Fenster gelesen,


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