Ausgewählte Wildwestromane von James Fenimore Cooper. James Fenimore Cooper
»Droht uns auf dem Felsen keine Gefahr? Kann uns das Feuer dort nicht erreichen?«
»Kann der Junge nicht sehen?« versetzte Natty mit der Ruhe eines Mannes, der an Gefahren, wie die eben bestandene, gewöhnt war. »Hättet ihr noch zehn Minuten oben gezögert, so wäret ihr beide jetzt zu Asche gebrannt; aber hier könnt ihr bleiben bis an den Jüngsten Tag, ohne daß euch das Feuer etwas anhaben wird, es sei denn, daß die Felsen ebensogut Feuer fingen wie das Holz.«
Nach dieser augenfällig wahren Versicherung begaben sie sich nach der Stelle, wo Natty seine Last ablegte, indem er den Indianer auf den Boden setzte und mit dem Rücken an ein Felsstück lehnte. Elisabeth sank zusammen und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, während ihr Herz unter einem Drang widerstreitender Gefühle schwoll.
»Lassen Sie sich bewegen, Miss Temple, etwas Stärkendes zu sich zu nehmen«, begann Edwards achtungsvoll. »Sie möchten sonst erliegen.«
»Oh, lassen Sie mich«, entgegnete sie, die strahlenden Augen für einen Moment zu dem jungen Mann erhebend, »ich empfinde zu viel, um es in Worten ausdrücken zu können! Mein Herz ist voll Danks, Oliver, für diese wunderbare Rettung, zuvörderst gegen Gott, dann gegen Sie.«
Edwards trat an den Rand des Felsens und rief: »Benjamin! wo seid Ihr, Benjamin?«
Eine heisere Stimme, die aus den Eingeweiden der Erde zu kommen schien, erwiderte:
»Hier, Meister, und zwar in dieses Stück Höhle gestaut, wo es so heiß ist wie in des Kochs Kessel. Ich bin dieser Koje herzlich müde, sehen Sie, und wenn jener Lederstrumpf noch viel zu überholen hat, ehe er nach besagten Bibern aussegelt, so will ich lieber in mein Dock zurückkehren und meine Quarantäne aushalten, bis dem Gesetz sein Recht geschehen und der Rest meiner Spanier alle ist.«
»Bringt ein Glas Quellwasser herauf«, fuhr Edwards fort, »und mischt etwas Wein darunter! Aber ich bitte, beeilt Euch!«
»Ich verstehe mich wenig auf Euer schwaches Getränk, Herr Oliver«, erwiderte der Hausmeister, dessen Stimme gerade aus der Höhle heraufkam, »und der Jamaika hielt nicht länger aus als bis zum Abschiedskuß von Billy Kirby, wie er mich in der letzten Nacht, da ich mich eurer Jagd anschloß, längs der Landstraße vor Anker legte. Aber hier ist etwas Rotes, das vielleicht einem schwachen Magen aufhilft Jener Meister Kirby gehört zwar nicht unter die Besten, wenn sich’s um die Führung eines Boots handelt, aber er laviert seinen Karren so gut durch die Baumstümpfe wie ein Londoner Lotse die Kohlenschiffe durch den Pool.«
Der Hausmeister war während dieser Worte herangestiegen und zeigte sich bald auf dem Felsen mit der gewünschten Herzstärkung; in seinem Äußeren ließen sich jedoch die Spuren seiner Zecherei nicht verkennen.
Elisabeth nahm aus Edwards’ Hand den angebotenen Trank, worauf sie ihm durch einen Wink bedeutete, er möchte sie wieder allein lassen.
Der Jüngling entsprach ihrem Wunsch, und als er sich von ihr abwandte, bemerkte er, wie liebevoll Natty ohne Unterlaß um Mohegans Person beschäftigt war. Der Bück des alten Jägers begegnete dem seinigen.
»Seine Zeit ist gekommen. Junge«, sprach er bekümmert; »ich sehe es in seinen Augen. Wenn ein Indianer den Blick immer auf eine Stelle heftet, so will er damit sagen, daß er in dieser Richtung zu gehen gedenkt; und was sich diese eigensinnigen Menschen in den Kopf setzen, das führen sie auch sicherlich aus.«
Rasch näher kommende Schritte verhinderten eine Antwort, und zum Erstaunen der ganzen Gesellschaft sah man Herrn Grant den Berg hinanklimmen, eifrig bemüht, den Ort zu erreichen, wo sie standen. Oliver sprang ihm bei, und durch ihre vereinten Anstrengungen gelang es bald, dem würdigen Geistlichen wohlbehalten in ihre Mitte zu helfen.
»Wie kommt es, daß wir Sie hier sehen?« rief Edwards. »Ist das jetzt wohl eine Zeit, den Berg zu besuchen?«
Die hastigen und frommen Dankgebete des Geistlichen waren bald beendet und als es ihm gelungen war, seine verwirrten Sinne zu sammeln, versetzte er:
»Ich hörte, daß man mein Kind am Gebirge gesehen habe, und als das Feuer auf dem Gipfel ausbrach, trieb mich meine Unruhe ins Freie, wo ich Luise in Todesängsten um Miss Temple fand. Ich bin an diesen gefährlichen Ort gekommen, um sie aufzusuchen, und ich glaube, ohne den Schutz Gottes und ohne Nattys Hunde wäre ich wohl in den Flammen umgekommen.«
»Ja, den Hunden darf man nachgehen; denn wenn irgendwo noch eine Öffnung da ist, so werden sie diese sicher auswittern«, entgegnete Natty. »Dem Hund ist die Nase, was dem Menschen die Vernunft ist.«
»Ich machte es so, und sie führten mich an diese Stelle; aber Gott sei gelobt, daß ich euch alle wohl und sicher sehe!«
»Ei nein«, erwiderte der Jäger, »wir sind zwar sicher, aber was das Wohlsein betrifft, so läßt sich das auf John nicht anwenden, wenn Sie nicht allenfalls einen Abschied vom Irdischen darunter verstehen.«
»Der Mann hat recht«, sagte der Geistliche mit der heiligen Würde, mit der er sich Sterbenden zu nähern pflegte, – »ich bin schon zu oft an Sterbebetten gewesen, um nicht zu sehen, daß der große Sieger über das Leben Hand an diesen alten Krieger gelegt hat. Oh, wie tröstlich ist es, zu wissen, daß er den liebenden Arm der Gnade nicht zurückgewiesen hat in der Stunde der Kraft und der weltlichen Versuchung! Der Abkömmling eines heidnischen Stammes ist in Wahrheit wie ein Brand aus dem Feuer gerettet worden.«
»Nein, nein«, versetzte Natty, der allein mit ihm an der Seite des sterbenden Kriegers stand, »das Feuer ist’s nicht, was ihm zu Herzen ging, denn um dessentwillen rührt sich ein Indianer nicht, es müßte denn das Feuer sein, was die bösen Gedanken von beinahe achtzig Jahren verzehren soll; aber seine Natur erliegt einer Jagd, die schon zu lange gedauert hat. Nieder mit dir, Hektor! Nieder mit dir! sage ich. – Fleisch ist nicht Eisen, daß ein Mensch ewig leben kann, zumal wenn er sieht, daß all die Seinigen in ein fernes Land getrieben worden sind und er allein zurückgeblieben ist, um zu klagen, ohne daß ihm jemand Gesellschaft leistete.«
»John«, sprach der Geistliche mit Zartgefühl, »hörst du mich? Wünschst du, in diesem Augenblick der Prüfung die vorgeschriebenen Kirchengebete zu hören?«
Der Indianer wandte das gespenstische Antlitz dem Sprecher zu und heftete seine dunklen Augen fest, aber mit leerem Ausdruck auf ihn. Er schien ihn nicht zu erkennen; dann bewegte er sein Haupt langsam wieder nach dem Tal und begann in den tiefen Kehllauten der Delawaren zu singen, wobei sich im Verlauf seines Liedes die Worte immer bestimmter und bestimmter vernehmen ließen:
»Ich will kommen! Ich will kommen! Ins Land der Gerechten will ich kommen! Ich hab’ die Maquas erschlagen! Ich habe die Maquas erschlagen, und der Große Geist ruft seinem Sohn. Ich will kommen! Ich will kommen! Ins Land der Gerechten will ich kommen!«
»Was sagt er, Lederstrumpf?« fragte der Geistliche mit warmer Teilnahme. »Singt er das Lob des Erlösers?«
»Nein, nein, – er spricht jetzt von seinem eigenen Ruhm«, antwortete Natty, indem er sich trauernd von jenem sterbenden Freund abwandte, »und er hat ein Recht dazu; denn ich weiß, daß jedes seiner Worte wahr ist.«
»Möge Gott eine solche Selbstgerechtigkeit ferne von seinem Herzen halten! Demut und Reue besiegeln den Bund der Christenheit, und wenn diese Gefühle nicht tief in der Seele wurzeln, so ist alle Hoffnung eitel. Wie kann er sich selbst rühmen, wenn Seele und Leib sich vereinigen sollen, den Schöpfer zu preisen? John, du hast den Segen des Evangeliums erfahren und bist aus einer Menge von Sündern und Heiden berufen worden, wie ich nicht zweifle, zu weisen und gnädigen Zwecken. Fühlst du jetzt, was es ist, gerechtfertigt zu sein durch den Tod unseres Heilandes: fühlst du, wie sehr uns die Zuversicht auf gute Werke im Stich läßt, die aus dem Stolz und dem eitlen Ruhm des Menschen entspringt?«
Der Indianer antwortete nicht auf die Worte des Fragers und sprach mit leiser, aber deutlicher Stimme:
»Wer kann sagen, daß die Maquas Mohegans Rücken gesehen haben? Welcher Feind, der Vertrauen in ihn setzte, hat nicht den Morgen wiedergesehen? Welcher Mingo, dem er nachsetzte, sang je das Siegeslied? Hat Mohegan