Ausgewählte Wildwestromane von James Fenimore Cooper. James Fenimore Cooper
Stückchen losen Zeugs hinter dem Baum zum Vorschein, auf welches sich Nattys Büchse mit Blitzesschnelle richtete. Ein weniger erfahrener Mann würde auf das leere Gewand gezielt haben, das wie eine Girlande halb zur Erde hinunterhing; Lederstrumpf kannte jedoch sowohl den Mann als auch dessen weiblichen Schneider zu gut, und als sich der rasche Knall der Büchse vernehmen ließ, sah Kirby, der das ganze Manöver in atemloser Erwartung beobachtet hatte, die Rinde von der Buche fliegen und zu gleicher Zeit das Kleid etwas oberhalb der losen Falten sich bewegen. Nie wurde eine Batterie schneller demaskiert, als Hiram nach dieser Begrüßung aus seinem Versteck hervortrat.
Er bewegte sich mit großer Bestimmtheit zwei oder drei Schritte vorwärts, legte eine Hand auf den verletzten Teil, streckte die andere mit drohender Gebärde gegen Natty aus und rief laut:
»Der Teufel gesegne es Euch! Das soll Euch nicht so leicht hingehen. Ich will gegen Euch klagbar werden durch alle Instanzen.«
Eine solch herzbrechende Verwünschung aus dem Munde eines Beamten, wie Squire Doolittle, zusammen mit der Furchtlosigkeit, womit der Mann hervorgetreten, und vielleicht auch mit der Zuversicht, daß Nattys Büchse noch nicht wieder geladen sein konnte, ermutigte die hinten stehenden Truppen, die jetzt laut zu schreien begannen und eine volle Salve nach den Baumwipfeln entsandten, wo zuvor der Inhalt der Feldschlange niedergegangen war. Durch ihr eigenes Geschrei angefeuert, stürmte die Mannschaft bald allen Ernstes vorwärts, und Billy Kirby, der denken mochte, der Spaß, so gut er auch sei, führe doch zu weit, war eben im Begriff, die Werke zu ersteigen, als Richter Temple von der anderen Seite erschien und rief:
»Ruhe und Frieden! Warum wollt Ihr hier Blut vergießen? Ist das Gesetz nicht in der Lage, sich selbst zu schützen, daß man, wie in Krieg und Aufruhr, Bewaffnete versammelt, um die Gerechtigkeit durchzusetzen?«
»Es ist der Landsturm«, schrie der Sheriff von einem fernen Felsen, »der – –«
»Sag lieber ein Teufelssturm. Ich gebiete Frieden!«
»Halt! Kein Blutvergießen!« rief eine Stimme von der Spitze des Visionsberges herab. »Um Gottes willen. – Halt! schießt nicht mehr! Wir geben nach! Ihr könnt in die Höhle gehen!«
Das Erstaunen brachte jetzt die gewünschte Wirkung hervor. Natty, der sein Gewehr wieder geladen hatte, setzte sich ruhig auf die Baumstämme und ließ den Kopf auf seine Hand sinken, während die leichte Infanterie ihre militärischen Bewegungen einstellte und in größter Spannung den Ausgang erwartete.
In weniger als einer Minute stürzte Edwards den Berg herunter, und Major Hartmann folgte ihm mit einer für seine Jahre überraschenden Schnelligkeit. Sie hatten bald die Terrasse erreicht, von wo aus der Jüngling in die Höhle voranging, während die Außenstehenden stumm und verwundert nachblickten.
XL
Ich verstumme.
Wart Ihr der Doktor, und ich kannt’ Euch nicht?
Shakespeare
Während der fünf oder sechs Minuten, die vergingen, bis der Jüngling und der Major wieder erschienen, erstiegen der Richter Temple, der Sheriff und die meisten Freiwilligen die Terrasse, wo die letzteren sich in Vermutungen über das, was jetzt kommen könne, ergingen und ihre verschiedenen Kampfesleistungen zu erzählen begannen. Aber die Rückkehr der Friedensstifter aus der Höhle verschloß jedem den Mund. Sie brachten auf einem rohen, mit ungegerbten Hirschhäuten bedeckten Stuhl die Gestalt eines Greises zum Vorschein, den sie sorgfältig und achtungsvoll in der Versammlung niedersetzten. Sein Haupt war mit langen, weichen, silberweißen Locken bedeckt. Der ungemein saubere und reinliche Anzug bestand aus Stoffen, wie sie nur die wohlhabendsten Klassen zu tragen pflegen, obgleich er jetzt abgetragen und geflickt war, und seine Füße staken in einem Paar Mokassins, so schön, wie sie nur der indianische Kunstfleiß zu schaffen vermochte. Die Züge seines Antlitzes waren ernst und würdevoll, obgleich das ausdruckslose Auge, welches der Reihe nach die Gesichter der Umherstehenden betrachtete, nur zu deutlich bekundete, er habe das Alter erreicht, das die geistigen Schwächen der Kindheit wiederbringt.
Natty folgte den Trägern dieser unerwarteten Erscheinung, lehnte sich inmitten seiner Verfolger und etwas hinter dem Stuhl auf seine Büchse und legte dabei eine Furchtlosigkeit an den Tag, die zeigte, daß jetzt wichtigere Interessen als die ihn selbst berührenden zur Entscheidung kommen sollten. Major Hartmann stand mit unbedecktem Haupt an der Seite des alten Mannes, und in seinen Augen, die sonst nur von Fröhlichkeit und Heiterkeit strahlten, sprach sich jetzt die ganze Seele des Veteranen aus. Edwards ließ die eine Hand mit zärtlicher Vertraulichkeit auf dem Stuhl ruhen, während sein Herz von Bewegungen schwoll, die er nicht auszusprechen vermochte
Die gespannteste Erwartung beherrschte die stummen Zuschauer. Endlich versuchte der greise Fremde, nachdem er die Anwesenden mit leeren Blicken betrachtet, von seinem Sitze aufzustehen, und ein schwaches Lächeln – der Ausdruck der Höflichkeit – flog über seine verfallenen Züge, als er mit hohler, bebender Stimme sprach:
»Ist es gefällig, Platz zu nehmen, meine Herren? Der Kriegsrat wird sogleich beginnen. Jeder, der den guten und tugendhaften König liebt, wünscht, daß diese Kolonien ihre Treue bewahren. Setzen Sie sich, setzen Sie sich – ich bitte, meine Herrn. Die Truppen brauchen für heute nicht weiterzumarschieren.«
»Das ist die Sprache des Irrsinns«, sagte Marmaduke. »Wer erklärt uns diese Szene?«
»Nicht doch, Sir«, entgegnete Edwards mit Festigkeit, »es ist nur die Hinfälligkeit der Natur, und uns bleibt allein noch übrig, zu zeigen, wer für diesen bedauernswürdigen Zustand verantwortlich ist.«
»Wollen die Herren mit uns speisen, mein Sohn?« fragte der alte Fremde, indem er sich der Stimme zuwandte, die er kannte und liebte. »Laß ein geeignetes Mahl für die Offiziere Seiner Majestät bereiten. Du weißt, es steht uns immer das beste Wildbret zu Gebot«
»Wer ist dieser Mann?« fragte Marmaduke hastig; denn mit dem Anteil, den er an dem Auftritt nahm, schien sich eine Ahnung der Wahrheit zu verbinden.
»Dieser Mann?« erwiderte Edwards ruhig, obgleich sich seine Stimme im Verlauf der Rede steigerte, »dieser Mann, Sir, den Sie in Höhlen versteckt und alles dessen beraubt sehen, was das Leben wünschenswert machen kann, war einst der Gefährte und Ratgeber derjenigen die dieses Land beherrschten. Der Mann, den Sie hier schwach und hilflos sehen, war einst ein so braver und furchtloser Krieger, daß selbst die unerschrockenen Eingeborenen ihm den Namen des Feueressers gaben. Der Mann, den Sie hier obdachlos sehen, war einst der Besitzer großer Reichtümer, – ja, Richter Temple, und noch dazu der rechtmäßige Eigentümer des Bodens, auf dem wir stehen. Dieser Mann war der Vater von –«
»So ist er also«, rief Marmaduke in heftiger Bewegung, »so ist er also der verloren geglaubte Major Effingham?«
»Jawohl, verloren«, entgegnete der Jüngling, einen durchbohrenden Blick auf den Richter heftend.
»Und Sie? Und Sie?« fuhr der Richter kaum verständlich fort. »Ich bin sein Enkel.«
Eine tiefe Pause folgte. Alle Augen hafteten an den Sprechern, und selbst der alte Deutsche schien den Ausgang in höchster Spannung zu erwarten. Aber der Augenblick der Erregung war bald vorüber. Marmaduke erhob sein Haupt, das – nicht aus Scham, sondern in demütigem Dank – auf die Brust gesunken war, und große Tränen fielen über sein schönes Gesicht, während er die Hand des Jünglings mit vieler Wärme ergriff und sprach:
»Oliver, ich vergebe dir all deine Härte – all deinen Argwohn. Ich vergebe dir alles, nur nicht, daß du diesen Greis an einem solchen Ort weilen ließest, während nicht bloß meine Wohnung, sondern mein ganzes Vermögen dir und ihm zu Gebote gestanden hätten.«
»Er ist treu wie Stahl!« rief Major Hartmann. »Hab’ ich’s dir nicht gesagt, Junge, daß Marmaduke Temple keiner von denen sei, die einen Freund zur Zeit der Not verlassen?«
»Es