Ausgewählte Wildwestromane von James Fenimore Cooper. James Fenimore Cooper
die Ausführung seiner religiösen Entwürfe. Herr Grant hatte sich in seiner Predigt bemüht, den Mittelweg zwischen den mystischen Doktrinen jener sublimen Glaubensbekenntnisse, welche ihre Bekenner ohne Unterlaß in die absurdesten Widersprüche verwickeln, und den üblichen Vorschriften einer sittlichen Lebensnorm zu halten, welche unseren Erlöser in eine Reihe mit den Moralpredigern früherer und späterer Jahrhunderte stellen. Er mußte allerdings über Dogmen predigen, da sonst der Kontroversensucht seiner Zuhörer nicht gedient gewesen und ein Schweigen in dieser Hinsicht für eine stillschweigende Anerkennung der Oberflächlichkeit seines Glaubensbekenntnisses genommen worden wäre. Wir haben bereits gesagt, daß die Ansiedler bei der Unzahl ihrer verschiedenen Religionslehrer gewöhnt waren, von jedem Glaubensbekenntnis bestimmte, unterscheidende Lehrsätze zu verlangen, und eine Gleichgültigkeit in dieser Hinsicht hätte auf einmal den ganzen Einfluß des Geistlichen vernichtet. Aber Herr Grant verband die allgemein anerkannten Lehrbegriffe der Christusreligion so glücklich mit den Dogmen seiner eigenen Kirche, daß wohl keiner von seinen Gründen unbewegt blieb und nur wenige an der Neuerung Anstoß nahmen.
»Wenn wir betrachten, wie verschieden sich der Charakter des Menschen unter dem Einfluß der Erziehung, der Verhältnisse und der natürlichen und sittlichen Anlagen entwickelt, meine lieben Zuhörer«, schloß er seinen feierlichen Vortrag, »so kann es nicht überraschen, daß Glaubensbekenntnisse von so verschiedenen Richtungen aus einer Religion entstehen konnten, die allerdings eine geoffenbarte ist, deren Offenbarungen aber im Laufe der Zeit verdunkelt wurden, um so mehr, da ihre Lehrsätze nach der Sitte der Länder, in denen man sie zuerst vortrug, häufig in Parabeln und in eine von Bildern wimmelnde Sprache gekleidet waren. In Punkten, wo die Forscher bei aller Reinheit ihres Herzens zu verschiedenen Ansichten gelangten, muß sich notwendig auch unter den Ungelehrten eine Spaltung herausstellen. Aber zum Glück für uns, liebe Brüder, entspringt der Brunnen der göttlichen Liebe aus einer zu reinen Quelle, als daß er in seinem Lauf getrübt werden könnte. Er gibt denen, die von seinem Lebenswasser trinken, den Frieden des Gerechten und das ewige Leben; er fließt fort durch alle Zeiten und durchdringt die ganze Schöpfung. Wenn etwas Geheimnisvolles in einem solchen Walten hegt, so ist es das Geheimnis der Gottheit. Eine umfassende Kenntnis der Natur, der Macht und der Majestät Gottes kann allerdings Überzeugung gewähren, aber dann ist noch von keinem Glauben die Rede. Wenn man also von uns verlangt, an Lehrsätze zu glauben, welche mit den Folgerungen menschlicher Weisheit nicht im Einklange zu sein scheinen, so laßt uns nie vergessen, daß wir dabei nur ein Gebot befolgen, das von der unendlichen Weisheit ergangen ist. Es muß uns genügen, daß uns ein Fingerzeig gegeben ist, der uns den rechten Weg kennenlehrt und den Erdenpilger nach der Pforte weist, hinter der sich uns das Licht des ewigen Lebens auf tut. Wenn wir nun diesen Weisungen folgen, so dürfen wir demütig hoffen, daß die Nebel, welche die Spitzfindigkeiten der menschlichen Vernunft geschaffen haben, vor dem geistigen Licht des Himmels verfliegen, und daß wir, wenn wir einmal unsere Prüfungszeit, unter Beihilfe der göttlichen Gnade, siegreich überstanden haben, die Größe Gottes schauen und die Seligkeit der Heiligen genießen dürfen. Alles, was jetzt dunkel ist, wird vor unserem erweiterten Gesichtskreis klar werden, und alles, was sich mit unseren hiesigen beschränkten Begriffen von Gnade, Gerechtigkeit und Liebe nicht vereinigen läßt, sehen wir dort in dem hellen Licht der Wahrheit, wo es sich als das Ergebnis der ewigen Weisheit und als das Wirken einer allmächtigen Liebe herausstellen wird.
Welch eine ernste Aufforderung zur Demut, meine Brüder, kann nicht ein jeder schon erfahren, wenn er auf die Tage seiner Kindheit zurückblickt und sich seiner jugendlichen Leidenschaften erinnert! Wie verschieden erscheint nicht dieselbe Handlung elterlicher Strenge in den Augen des leidenden Kindes und in denen des gereiften Mannes! Wenn der Mensch, der sich weise dünkt, die wirren Sätze seiner weltlichen Weisheit an die Stelle einer unmittelbaren höheren Eingebung pflanzen will, so möge er bedenken, wie beschränkt sein eigener schwacher Verstand ist, und er wird sich nicht weiter überheben; ja, er muß die Weisheit Gottes in dem, was teilweise verhüllt ist, ebensogut erkennen wie in dem, was offen vor ihm daliegt. An die Stelle seines Vernunftstolzes lasse er unterwürfige Demut, Glauben und wahres, inneres Leben treten!
Die Betrachtung dieser Frage, meine Zuhörer, enthält viel Tröstliches und hat ernste Aufforderungen zur Demut in ihrem Gefolge, die, in reinem Sinne geübt, das Herz bessert und den Kleinmut des Erdenpilgers auf seiner Wanderschaft verscheucht. Es ist ein köstlicher Trost, die Zweifel unserer anmaßenden Natur an der Schwelle unserer ewigen Heimat niederlegen zu dürfen, von wo sie, sobald die Tür sich öffnet, wie Morgennebel vor der aufsteigenden Sonne verschwinden. Oh, es liegt eine heilige Lehre in der Unzulänglichkeit unserer Kräfte; denn sie macht uns auf viele schwache Seiten aufmerksam, an denen wir von dem großen Feinde unseres Geschlechtes angegriffen werden können; sie zeigt uns, daß wir am ehesten der Gefahr ausgesetzt sind zu fallen, wenn unsere Eitelkeit uns eben mit dem Gefühl der Stärke einschläfern will; sie macht uns gebieterisch aufmerksam auf den eitlen Ruhm unseres Verstandes und läßt uns den großen Unterschied zwischen einem beseligenden Glauben und den Auswüchsen einer sogenannten philosophischen Gotteslehre erkennen; sie lehrt uns unser Inneres in dem Schmelztiegel der guten Werke erkennen. Unter den guten Werken sind aber die Früchte der Buße zu verstehen, die sich hauptsächlich in der Liebe äußern, – nicht in jener Liebe allein, die uns veranlaßt, dem Bedürftigen zu helfen und den Leidenden zu trösten, sondern in der Liebe, welche alle Menschen umfängt und uns lehrt, den Nächsten mit Milde zu beurteilen; die den Baum der Selbstgerechtigkeit mit der Wurzel ausrottet und uns warnt, andere zu verdammen, solange wir des eigenen Heils nicht versichert sind.
Die Nutzanwendung, weiche ich aus der Beleuchtung dieses Gegenstandes ziehen will, meine Brüder, ist nichts anderes als eine ernste Einschärfung der Demut. In den Hauptpunkten unseres Glaubens ist ein geringer Unterschied, sobald man nur die Haupteigenschaften des Erlösers anerkennt und alle Hoffnungen auf sein göttliches Mittleramt baut. Aber Ketzereien haben von jeher den Schoß der Kirche befleckt und Spaltungen herbeigeführt Um den daraus entspringenden Gefahren vorzubeugen und die Einheit seiner Jünger zu sichern, hat Christus seine sichtbare Kirche gegründet und das Predigtamt eingesetzt. Weise und heilige Männer, die Väter unserer Religion, haben alle ihre Mühe aufgeboten, das, was das Dunkel der Sprache verbirgt, ans Licht zu ziehen, und die Ergebnisse ihrer Forschungen und Erfahrungen wurden in der Form evangelischer Kirchenordnungen auf uns fortgepflanzt. Wie heilsam diese sein müssen, erhellt aus dem Blick, den wir eben in die Schwäche der menschlichen Natur getan haben, und daß sie förderlich für uns und alle werden mögen, die auf ihre Vorschriften und ihre Ausübung achten, das gebe Gott in seiner unendlichen Weisheit – Und nun noch usw.«
Mit dieser verständigen Hindeutung auf seine eigene Weise des Gottesdienstes schloß Herr Grant seine Rede. Die Gemeinde hatte in tiefer Aufmerksamkeit zugehört, obgleich die Gebete nicht mit dem gleichen Beweis von Achtung aufgenommen worden waren. Das letztere entsprang jedoch keineswegs aus absichtlicher Geringschätzung der Liturgie, auf welche der Geistliche anspielte, sondern vielmehr aus der Gewohnheit eines Volkes, welches seine gegenwärtige Existenz als Nation dem doktrinären Charakter seiner Vorfahren verdankte. Zwar wurden einige mißvergnügte Blicke zwischen Hiram und einem oder dem andern Sektenführer gewechselt, doch teilten nur wenige diese Stimmung, und die Gemeinde zerstreute sich, nachdem Herr Grant den Segen gesprochen, schweigend und mit vielem Anstand.
XII
Die Glaubenssatzungen gelehrter Kirchen
Sind wohl vielleicht ein sittlich schön Gebäu;
Doch scheint’s, als ob nur Gottes starke Hand
Den Teufel könne aus dem Herzen reißen.
Duo
Während die Gemeinde den Betsaal verließ, näherte sich Herr Grant dem Platz, wo Elisabeth mit ihrem Vater saß, und stellte der ersteren in dem jungen Frauenzimmer, das wir im vorigen Kapitel erwähnten, seine Tochter vor. Elisabeth empfing sie so herzlich und offen, wie man es von den Sitten des Landes und dem Wert, den man auf gute Gesellschaft legte, nur erwarten konnte, und die beiden Mädchen fühlten im Augenblick, wie notwendig sie sich gegenseitig sein würden.