Friedrich Schiller: Philosophische Werke. Friedrich Schiller

Friedrich Schiller: Philosophische Werke - Friedrich Schiller


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Erfüllung derselben in seinen Willen stellt, so kann das gegenwärtige Verhältniß seines Zustandes zu seiner Bestimmung nicht Werk der Natur, sondern muß sein eigenes Werk sein. Der Ausdruck dieses Verhältnisses in seiner Bildung gehört also nicht der Natur, sondern ihm selbst an, das ist, es ist ein persönlicher Ausdruck. Wenn wir also aus dem architektonischen Theil seiner Bildung erfahren, was die Natur mit ihm beabsichtet hat, so erfahren wir aus dem mimischen Theil derselben, was er selbst zu Erfüllung dieser Absicht gethan hat.

      Bei der Gestalt des Menschen begnügen wir uns also nicht damit, daß sie uns bloß den allgemeinen Begriff der Menschheit, oder was etwa die Natur zu Erfüllung desselben an diesem Individuum wirkte, vor Augen stelle, denn das würde er mit jeder technischen Bildung gemein haben. Wir erwarten noch von seiner Gestalt, daß sie uns zugleich offenbare, in wie weit er in seiner Freiheit dem Naturzweck entgegen kam, d. i. daß sie Charakter zeige. In dem erstern Fall sieht man wohl, daß die Natur es mit ihm auf einen Menschen anlegte; aber nur aus dem zweiten ergibt sich, ob er es wirklich geworden ist.

      Die Bildung eines Menschen ist also nur in so weit seine Bildung, als sie mimisch ist; aber auch so weit sie mimisch ist, ist sie sein. Denn, wenn gleich der größere Theil dieser mimischen Züge, ja, wenn gleich alle bloßer Ausdruck der Sinnlichkeit wären und ihm also schon als bloßem Thiere zukommen könnten, so war er bestimmt und fähig, die Sinnlichkeit durch seine Freiheit einzuschränken. Die Gegenwart solcher Züge beweist also den Nichtgebrauch jener Fähigkeit und die Nichterfüllung jener Bestimmung; ist also eben so gewiß moralisch sprechend, als die Unterlassung einer Handlung, welche die Pflicht gebietet, eine Handlung ist.

      Von den sprechenden Zügen, die immer ein Ausdruck der Seele sind, muß man die stummen Züge unterscheiden, die bloß die plastische Natur, insofern sie von jedem Einfluß der Seele unabhängig wirkt, in die menschliche Bildung zeichnet. Ich nenne diese Züge stumm, weil sie als unverständliche Chiffern der Natur von dem Charakter schweigen. Sie zeigen bloß die Eigentümlichkeit der Natur im Vortrag der Gattung und reichen oft für sich allein schon hin, das Individuum zu unterscheiden, aber von der Person können sie nie etwas offenbaren. Für den Physiognomen sind diese stummen Züge keineswegs bedeutungsleer, weil der Physiognome nicht bloß wissen will, was der Mensch selbst aus sich gemacht, sondern auch, was die Natur für und gegen ihn gethan hat.

      Es ist nicht so leicht, die Grenzen anzugeben, wo die stummen Züge aufhören und die sprechenden beginnen. Die gleichförmig wirkende Bildungskraft und der gesetzlose Affekt streiten unaufhörlich um ihr Gebiet; und was die Natur mit unermüdeter stiller Thätigkeit erbaute, wird oft wieder umgerissen von der Freiheit, die gleich einem anschwellenden Strome über ihre Ufer tritt. Ein reger Geist verschafft sich auf alle körperlichen Bewegungen Einfluß und kommt zuletzt mittelbar dahin, auch selbst die festen Formen der Natur, die dem Willen unerreichbar sind, durch die Macht des sympathetischen Spiels zu verändern. An einem solchen Menschen wird endlich alles Charakterzug, wie wir an manchen Köpfen finden, die ein langes Leben, außerordentliche Schicksale und ein thätiger Geist völlig durchgearbeitet haben. Der plastischen Natur gehört an solchen Formen nur das Generische, die ganze Individualität der Ausführung aber der Person an; daher sagt man sehr richtig, daß an einer solchen Gestalt alles Seele sei.

      Dagegen zeigen uns jene zugestutzten Zöglinge der Regel (die zwar die Sinnlichkeit zur Ruhe bringen, aber die Menschheit nicht wecken kann) in ihrer flachen und ausdruckslosen Bildung überall nichts, als den Finger der Natur. Die geschäftlose Seele ist ein bescheidener Gast in ihrem Körper und ein friedlicher stiller Nachbar der sich selbst überladenen Bildungskraft. Kein anstrengender Gedanke, keine Leidenschaft greift in den ruhigen Takt des physischen Lebens; nie wird der Bau durch das Spiel in Gefahr gesetzt, nie die Vegetation durch die Freiheit beunruhigt. Da die tiefe Ruhe des Geistes keine beträchtliche Consumtion der Kräfte verursacht, so wird die Ausgabe nie die Einnahme übersteigen, vielmehr die thierische Oekonomie immer Ueberschuß haben. Für den schmalen Gehalt von Glückseligkeit, den sie ihm auswirft, macht der Geist den pünktlichen Hausverwalter der Natur, und sein ganzer Ruhm ist, ihr Buch in Ordnung zu halten. Geleistet wird also werden, was die Organisation immer leisten kann, und florieren wird das Geschäft der Ernährung und Zeugung. Ein so glückliches Einverständniß zwischen der Naturnothwendigkeit und der Freiheit kann der architektonischen Schönheit nicht anders als günstig sein, und hier ist es auch, wo sie in ihrer ganzen Reinheit kann beobachtet werden. Aber die allgemeinen Naturkräfte führen, wie man weiß, einen ewigen Krieg mit den besondern, oder den organischen, und die kunstreichste Technik wird endlich von der Cohäsion und Schwerkraft bezwungen. Daher hat auch die Schönheit des Baues, als bloßes Naturprodukt, ihre bestimmten Perioden der Blüthe, der Reife und des Verfalles, die das Spiel zwar beschleunigen, aber niemals verzögern kann; und ihr gewöhnliches Ende ist, daß die Masse allmählich über die Form Meister wird und der lebendige Bildungstrieb in dem aufgespeicherten Stoff sich sein eigenes Grab bereitet.

      Ob indessen gleich kein einzelner stummer Zug Ausdruck des Geistes ist, so ist eine solche stumme Bildung doch im Ganzen charakteristisch; und zwar aus eben dem Grunde, warum eine sinnlich sprechende es ist. Der Geist nämlich soll thätig sein und soll moralisch empfinden, und also zeugt es von seiner Schuld, wenn seine Bildung davon keine Spuren aufweist. Wenn uns also gleich der reine und schöne Ausdruck seiner Bestimmung in der Architektur seiner Gestalt mit Wohlgefallen und mit Ehrfurcht gegen die höchste Vernunft, als ihre Ursache, erfüllt, so werden beide Empfindungen nur so lange ungemischt bleiben, als er uns bloße Naturerzeugung ist. Denken wir ihn uns aber als moralische Person, so sind wir berechtigt, einen Ausdruck derselben in seiner Gestalt zu erwarten, und schlägt diese Erwartung fehl, so wird Verachtung unausbleiblich erfolgen. Bloß organische Wesen sind uns ehrwürdig als Geschöpfe; der Mensch aber kann es uns nur als Schöpfer (d. i. als Selbsturheber seines Zustandes) sein. Er soll nicht bloß, wie die übrigen Sinnenwesen, die Strahlen fremder Vernunft zurückwerfen, wenn es gleich die göttliche wäre, sondern er soll, gleich einem Sonnenkörper, von seinem eigenen Lichte glänzen.

      Eine sprechende Bildung wird also von dem Menschen gefordert, sobald man sich seiner sittlichen Bestimmung bewußt wird; aber es muß zugleich eine Bildung sein, die zu seinem Vortheile spricht, d. i. die eine, seiner Bestimmung gemäße Empfindungsart, eine moralische Fertigkeit ausdrückt. Diese Anforderung macht die Vernunft an die Menschenbildung.

      Der Mensch ist aber als Erscheinung zugleich Gegenstand des Sinnes. Wo das moralische Gefühl Befriedigung findet, da will das ästhetische nicht verkürzt sein, und die Uebereinstimmung mit einer Idee darf in der Erscheinung kein Opfer kosten. So streng also auch immer die Vernunft einen Ausdruck der Sittlichkeit fordert, so unnachläßlich fordert das Auge Schönheit. Da diese beiden Forderungen an dasselbe Objekt, obgleich von verschiedenen Instanzen der Beurteilung, ergehen, so muß auch durch eine und dieselbe Ursache für beider Befriedigung gesorgt sein. Diejenige Gemüthsverfassung des Menschen, wodurch er am fähigsten wird, seine Bestimmung als moralische Person zu erfüllen, muß einen solchen Ausdruck gestatten, der ihm auch, als bloßer Erscheinung, am vortheilhaftesten ist. Mit andern Worten: seine sittliche Fertigkeit muß sich durch Grazie offenbaren.

      Hier ist es nun, wo die große Schwierigkeit eintritt. Schon aus dem Begriff moralisch sprechender Bewegungen ergibt sich, daß sie eine moralische Ursache haben müssen, die über die Sinnenwelt hinaus liegt; eben so ergibt sich aus dem Begriffe der Schönheit, daß sie keine andre als sinnliche Ursache habe und ein völlig freier Natureffekt sein oder doch so erscheinen müsse. Wenn aber der letzte Grund moralisch sprechender Bewegungen nothwendig außerhalb, der letzte Grund der Schönheit eben so nothwendig innerhalb der Sinnenwelt liegt, so scheint die Grazie, welche Beides verbinden soll, einen offenbaren Widerspruch zu enthalten.

      Um ihn zu heben, wird man also annehmen müssen, »daß die moralische Ursache im Gemüthe, die der Grazie zum Grunde liegt, in der von ihr abhängenden Sinnlichkeit gerade denjenigen Zustand nothwendig hervorbringe, der die Naturbedingungen des Schönen in sich enthält.« Das Schöne setzt nämlich, wie sich von allem Sinnlichen versteht, gewisse Bedingungen und, insofern es das Schöne ist, auch bloß sinnliche Bedingungen voraus. Daß nun der Geist (nach einem Gesetz, das wir nicht ergründen können) durch den Zustand, worin er sich selbst befindet, der ihn begleitenden Natur den ihrigen vorschreibt, und daß der Zustand moralischer Fertigkeit in ihm gerade derjenige ist, durch den die sinnlichen Bedingungen des Schönen


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