Friedrich Schiller: Philosophische Werke. Friedrich Schiller

Friedrich Schiller: Philosophische Werke - Friedrich Schiller


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sinnlichen Bedingungen, also freie Naturwirkung. Weil aber die Natur bei willkürlichen Bewegungen, wo sie als Mittel behandelt wird, um einen Zweck auszuführen, nicht wirklich frei heißen kann, und weil sie bei den unwillkürlichen Bewegungen, die das Moralische ausdrücken, wiederum nicht frei heißen kann, so ist die Freiheit, mit der sie sich in ihrer Abhängigkeit von dem Willen demungeachtet äußert, eine Zulassung von Seiten des Geistes. Man kann also sagen, daß die Grazie eine Gunst sei, die das Sittliche dem Sinnlichen erzeigt, so wie die architektonische Schönheit als die Einwilligung der Natur zu ihrer technischen Form kann betrachtet werden.

      Mau erlaube mir, dies durch eine bildliche Vorstellung zu erläutern. Wenn ein monarchischer Staat auf eine solche Art verwaltet wird, daß, obgleich alles nach eines Einzigen Willen geht, der einzelne Bürger sich doch überreden kann, daß er nach seinem eigenen Sinne lebe und bloß seiner Neigung gehorche, so nennt man dies eine liberale Regierung. Man würde aber großes Bedenken tragen, ihr diesen Namen zu geben, wenn entweder der Regent seinen Willen gegen die Neigung des Bürgers, oder der Bürger seine Neigung gegen den Willen des Regenten behauptete; denn in dem ersten Fall wäre die Regierung nicht liberal, in dem zweiten wäre sie gar nicht Regierung.

      Es ist nicht schwer, die Anwendung davon auf die menschliche Bildung unter dem Regiment des Geistes zu machen. Wenn sich der Geist in der von ihm abhängenden sinnlichen Natur auf eine solche Art äußert, daß sie seinen Willen aufs treueste ausrichtet und seine Empfindungen auf das sprechendste ausdrückt, ohne doch gegen die Anforderungen zu verstoßen, welche der Sinn an sie als an Erscheinungen macht, so wird dasjenige entstehen, was man Anmuth nennt. Man würde aber gleich weit entfernt sein, es Anmuth zu nennen, wenn entweder der Geist sich in der Sinnlichkeit durch Zwang offenbarte, oder wenn dem freien Effekt der Sinnlichkeit der Ausdruck des Geistes fehlte. Denn in dem ersten Fall wäre keine Schönheit vorhanden, in dem zweiten wäre es keine Schönheit des Spiels.

      Es ist also immer nur der übersinnliche Grund im Gemüthe, der die Grazie sprechend, und immer nur ein bloß sinnlicher Grund in der Natur, der sie schön macht. Es läßt sich eben so wenig sagen, daß der Geist die Schönheit erzeuge, als man, im angeführten Fall, von dem Herrscher sagen kann, daß er Freiheit hervorbringe; denn Freiheit kann man Einem zwar lassen, aber nicht geben.

      So wie aber doch der Grund, warum ein Volk unter dem Zwang eines fremden Willens sich frei fühlt, größtenteils in der Gesinnung des Herrschers liegt und eine entgegengesetzte Denkart des letztern jener Freiheit nicht sehr günstig sein würde; eben so müssen wir auch die Schönheit der freien Bewegungen in der sittlichen Beschaffenheit des sie diktierenden Geistes aufsuchen. Und nun entsteht die Frage, was dies wohl für eine persönliche Beschaffenheit sein mag, die den sinnlichen Werkzeugen des Willens die größere Freiheit verstattet, und was für moralische Empfindungen sich am besten mit der Schönheit im Ausdruck vertragen?

      So viel leuchtet ein, daß sich weder der Wille bei der absichtlichen, noch der Affekt bei der sympathetischen Bewegung gegen die von ihm abhängende Natur als eine Gewalt verhalten dürfe, wenn sie ihm mit Schönheit gehorchen soll. Schon das allgemeine Gefühl der Menschen macht die Leichtigkeit zum Hauptcharakter der Grazie, und was angestrengt wird, kann niemals Leichtigkeit zeigen. Eben so leuchtet ein, daß auf der andern Seite die Natur sich gegen den Geist nicht als Gewalt verhalten dürfe, wenn ein schöner moralischer Ausdruck statt haben soll; denn wo die bloße Natur herrscht, da muß die Menschheit verschwinden.

      Es lassen sich in allem dreierlei Verhältnisse denken, in welchen der Mensch zu sich selbst, d. i. sein sinnlicher Theil zu seinem vernünftigen, stehen kann. Unter diesen haben wir dasjenige auszusuchen, welches ihn in der Erscheinung am besten kleidet und dessen Darstellung Schönheit ist.

      Der Mensch unterdrückt entweder die Forderungen seiner sinnlichen Natur, um sich den höhern Forderungen seiner vernünftigen gemäß zu verhalten; oder er kehrt es um und ordnet den vernünftigen Theil seines Wesens dem sinnlichen unter und folgt also bloß dem Stoße, womit ihn die Naturnothwendigkeit gleich den andern Erscheinungen forttreibt; oder die Triebe des letztern setzen sich mit den Gesetzen des erstern in Harmonie, und der Mensch ist einig mit sich selbst.

      Wenn sich der Mensch seiner reinen Selbständigkeit bewußt wird, so stößt er alles von sich, was sinnlich ist, und nur durch diese Absonderung von dem Stoffe gelangt er zum Gefühl seiner rationalen Freiheit. Dazu aber wird, weil die Sinnlichkeit hartnäckig und kraftvoll widersteht, von seiner Seite eine merkliche Gewalt und große Anstrengung erfordert, ohne welche es ihm unmöglich wäre, die Begierde von sich zu halten und den nachdrücklich sprechenden Instinkt zum Schweigen zu bringen. Der so gestimmte Geist läßt die von ihm abhängende Natur, sowohl da, wo sie im Dienst seines Willens handelt, als da, wo sie seinem Willen vorgreifen will, erfahren, daß er ihr Herr ist. Unter seiner strengen Zucht wird also die Sinnlichkeit unterdrückt erscheinen, und der innere Widerstand wird sich von außen durch Zwang verrathen. Eine solche Verfassung des Gemüths kann also der Schönheit nicht günstig sein, welche die Natur nicht anders als in ihrer Freiheit hervorbringt, und es wird daher auch nicht Grazie sein können, wodurch die mit dem Stoffe kämpfende moralische Freiheit sich kenntlich macht.

      Wenn hingegen der Mensch, unterjocht vom Bedürfniß, den Naturtrieb ungebunden über sich herrschen läßt, so verschwindet mit seiner innern Selbständigkeit auch jede Spur derselben in seiner Gestalt. Nur die Thierheit redet aus dem schwimmenden ersterbenden Auge, aus dem lüstern geöffneten Munde, aus der erstickten bebenden Stimme, aus dem kurzen geschwinden Athem, aus dem Zittern der Glieder, aus dem ganzen erschlaffenden Bau. Nachgelassen hat aller Widerstand der moralischen Kraft, und die Natur in ihm ist in volle Freiheit gesetzt. Aber eben dieser gänzliche Nachlaß der Selbstthätigkeit, der im Moment des sinnlichen Verlangens und noch mehr im Genuß zu erfolgen pflegt, setzt augenblicklich auch die rohe Materie in Freiheit, die durch das Gleichgewicht der thätigen und leidenden Kräfte bisher gebunden war. Die todten Naturkräfte fangen an, über die lebendigen der Organisation die Oberhand zu bekommen, die Form von der Masse, die Menschheit von gemeiner Natur unterdrückt zu werden. Das seelestrahlende Auge wird matt, oder quillt auch gläsern und stier aus seiner Höhlung hervor, der feine Incarnat der Wangen verdickt sich zu einer groben und gleichförmigen Tüncherfarbe, der Mund wird zur bloßen Oeffnung, denn seine Form ist nicht mehr Folge der wirkenden, sondern der nachlassenden Kräfte, die Stimme und der seufzende Athem sind nichts als Hauche, wodurch die beschwerte Brust sich erleichtern will, und die nun bloß ein mechanisches Bedürfniß, keine Seele verrathen. Mit einem Worte: bei der Freiheit, welche die Sinnlichkeit sich selbst nimmt, ist an keine Schönheit zu denken. Die Freiheit der Formen, die der sittliche Wille bloß eingeschränkt hatte, überwältigt der grobe Stoff, welcher stets so viel Feld gewinnt, als dem Willen entrissen wird.

      Ein Mensch in diesem Zustand empört nicht bloß den moralischen Sinn, der den Ausdruck der Menschheit unnachläßlich fordert; auch der ästhetische Sinn, der sich nicht mit dem bloßen Stoffe befriedigt, sondern in der Form ein freies Vergnügen sucht, wird sich mit Ekel von einem solchen Anblick abwenden, bei welchem nur die Begierde ihre Rechnung finden kann.

      Das erste dieser Verhältnisse zwischen beiden Naturen im Menschen erinnert an eine Monarchie, wo die strenge Aufsicht des Herrschers jede freie Regung im Zaum hält; das zweite an eine wilde Ochlokratie, wo der Bürger durch Aufkündigung des Gehorsams gegen den rechtmäßigen Oberherrn so wenig frei, als die menschliche Bildung durch Unterdrückung der moralischen Selbstthätigkeit schön wird, vielmehr nur dem brutaleren Despotismus der untersten Klassen, wie hier die Form der Masse, anheimfällt. So wie die Freiheit zwischen dem gesetzlichen Druck und der Anarchie mitten inne liegt, so werden wir jetzt auch die Schönheit zwischen der Würde, als dem Ausdruck des herrschenden Geistes, und der Wollust, als dem Ausdruck des herrschenden Triebes, in der Mitte finden.

      Wenn nämlich weder die über die Sinnlichkeit herrschende Vernunft, noch die über die Vernunft herrschende Sinnlichkeit sich mit Schönheit des Ausdrucks vertragen, so wird (denn es gibt keinen vierten Fall), so wird derjenige Zustand des Gemüths, wo Vernunft und Sinnlichkeit – Pflicht und Neigung zusammenstimmen, die Bedingung sein, unter der die Schönheit des Spiels erfolgt.

      Um ein Objekt der Neigung werden zu können, muß der Gehorsam gegen die Vernunft einen Grund des Vergnügens abgeben, denn nur durch Lust und Schmerz wird der Trieb in Bewegung gesetzt. In der gewöhnlichen Erfahrung


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