Das Geheimnis der Dämonen. J.B. Brooklin
Kopf wanderten, zusammenzusetzen. Alexander. Die Hand, die er ausstreckte. Und dann Dunkelheit.
Mit einem Ruck setzte sie sich auf. Das Bett, in dem sie gelegen hatte, war riesig. Weiche Kissen wollten sie dazu verführen, länger zu verweilen. Die Decke schmiegte sich an ihren Körper, als wolle sie sie ebenfalls überreden, zu bleiben und die Aussicht zu genießen.
Sie widerstand der Versuchung. Stattdessen ließ sie ein vertrautes Gefühl zu. Wut. Schon wieder hatte ein Mann seinen Willen über den ihren gestellt. Alexander hatte sie in eine Ohnmacht sinken lassen. Sie wusste nicht, wie er das geschafft hatte. Aber sie war sicher, er hatte sie in das schwarze Loch fallen lassen, als er mit seiner Hand auf ihren Kopf deutete. Danach musste er sie aus dem Haus ihres Onkels gebracht haben.
Wie hat er das geschafft, ohne von meinem Onkel daran gehindert zu werden? Torsten Halder mit seinen Bodyguards hätte in der Lage sein müssen, ihn aufzuhalten. Und dann war da noch Rosco.
Die Wut wurde von etwas anderem verdrängt. Angst. Dieser Mann hatte sie entführt. Auch wenn die Umgebung luxuriös war, so konnte dies nur eines bedeuten: Ihr Leben war in Gefahr. Ihre Muskeln, die eben noch bereit gewesen waren, ihren Körper mit einem Satz aus dem Bett zu befördern, gaben ihren Dienst auf. Sariel fiel in die Kissen zurück und ergab sich der Sturzflut der Gefühle, die über sie hinwegspülte. Es war seltsam. Nach dem Tod ihrer Eltern war sie in ein Vakuum geflüchtet, das sämtliche Emotionen aussperrte. Erst in den letzten Tagen hatten es zwei Gefühle geschafft, diese Mauer zu durchdringen: Wut und Angst.
Die Wut konnte ihr nützlich sein. Mit einem tiefen Atemzug versuchte sie, die Panik aus ihrem Kopf zu vertreiben. Was auch immer dieser Mann mit ihr vorhatte, sie würde es ihm nicht so leicht machen, wie er dachte. Sie war bereit zu kämpfen.
Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett. Es wurde Zeit, Alexander zu konfrontieren.
Wenn sie geglaubt hatte, die Aussicht aus ihrem Zimmer sei atemberaubend, so wurde sie schnell eines Besseren belehrt. Der Raum, den sie nun betrat, war etwa zehnmal so groß. Die Felsdecke wölbte sich in einem hohen Bogen über ihrem Kopf, aber das war es nicht, was ihren Blick festhielt. Die gesamte vordere Front des Raumes wurde von fast zwanzig Meter breiten Panoramafenstern dominiert. Ohne sich dessen bewusst zu sein, verharrte sie und sog das Bild in sich auf.
„Guten Morgen. Ich hoffe, es geht dir gut.“ Die leisen Worte unterbrachen ihre Andacht.
„Gut?“ Noch während sie dieses eine Wort ausspuckte, wirbelte sie zu ihm herum. „Als gut würde ich es nicht bezeichnen, wenn ich aus einer Bewusstlosigkeit erwache, die von dir verursacht wurde.“
„Es tut mir leid.“ Alexander löste sich von der Felswand, an der er gelehnt hatte, und trat einen Schritt auf sie zu.
„Das ist mir egal. Ich will hier weg, nach Hause, und zwar sofort.“
„Das geht nicht.“
„Ach, ich vergaß. Mein Onkel hat deine Forderungen wohl noch nicht erfüllt. Das wird er nicht tun. Er verhandelt nicht mit Verbrechern.“
„Forderungen?“ Alexander sah sie irritiert an. „Ich will nichts von deinem Onkel.“
„Warum hast du mich dann entführt?“
„Entführen ist nicht das richtige Wort.“ Für einen Augenblick herrschte Stille.
„Dann sollte es kein Problem sein, mich wieder nach Hause zu bringen.“
„Ich sagte bereits. Es geht nicht.“ Alexander ging an ihr vorbei, bis er vor dem Fenster stand. Dann drehte er sich um und bedeutete ihr näher zu kommen. Den Teufel würde sie tun.
„Bitte“, sagte er schließlich, nachdem sie seiner Aufforderung nicht nachkam.
„Warum sollte ich?“
„Ich möchte dir etwas zeigen.“
Letztendlich siegte die Neugierde. Wenn ihre Vermutung stimmte, mussten sie sich hoch oben auf einem Berggipfel befinden. Zwei Schritte bestätigten ihre Vermutung. Fast wurde ihr schwindelig, als sie aus dem Fenster nach unten blickte. Wie hatte er an diesem Ort eine Behausung errichten können?
Frei. Obwohl er ihren Wunsch verweigert hatte, kam sie sich frei vor. Wie der Adler, der hoch am Himmel seine Kreise zog. Es war seltsam. Sie fühlte sich schwerelos, so als sei ihr Körper nicht mehr an die Erdanziehungskraft gebunden. Fast glaubte sie, sie könne sich ebenso wie der Vogel in die Lüfte erheben. Die Berge bewirkten, was er nicht vollbracht hatte: Ihre Wut löste sich auf.
Aber das war unwichtig. Alles, was zählte, war ihr Wille.
„Nein.“ Alexander sprach noch immer so leise, dass sie das Wort mehr erahnte, als es zu hören.
„Ich bin es leid, mir von Männern sagen zu lassen, was ich zu tun habe. Erst mein Onkel und nun du. Ich werde noch heute diesen Ort verlassen. Und du wirst mir helfen, von diesem Berg wieder herunterzukommen.“
„Wenn ich das tue …“ Alexander ließ den Rest des Satzes in der Luft hängen. Anstatt ihn zu vollenden, wechselte er das Thema. „Du hast etwas, was dein Onkel besitzen will. Das ist der Grund, weshalb du nicht gehen kannst. Zurzeit ist Halder nicht ganz er selbst.“
Während er diese seltsame Erklärung abgab, ging eine Veränderung in ihm vor. Sein Gesicht verzerrte sich und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er trat einen Schritt zurück. Wie schon zuvor hatte sie das Gefühl, er sei kurz davor, sich auf sie zu stürzen. Und dann geschah etwas Seltsames. Sie konnte sehen, wie dunkle Energie in einem Wirbel um seinen Körper floss. Es sah aus, als stünde er in einem Strudel aus schwarzem Nebel. Der Anblick war unheimlich.
Er zitterte. Und dann war der Spuk vorbei. Die Schwärze zog sich zurück. Fast war sie bereit zu glauben, sich alles nur eingebildet zu haben.
„Ich habe eher den Eindruck, als wärst du derjenige, der nicht er selbst ist.“ Die Worte waren heraus, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Sie wollte nicht mit ihm reden, wollte nichts über diesen Menschen erfahren.
„Ich hielt es für eine gute Idee, mir die Energie eines anderen anzueignen. Leider stellt sich heraus, dass ich nicht so gut damit umgehen kann, wie ich dachte“, sagte er.
„Es soll Menschen geben, die aus ihren Fehlern lernen. Vielleicht gehörst du ja dazu. Aber, wenn ich ehrlich bin, interessiert mich das nicht. Wie ich schon sagte, ich will von hier weg.“
„Das ist schade, denn es geht nicht. Ich glaube, ich habe das bereits erwähnt.“
Wut überschwemmte sie erneut mit einer Heftigkeit, die sie erschreckte. Wie eine Welle brach die Emotion über Sariel herein. Ohne darüber nachzudenken, lenkte sie die Flut in Alexanders Richtung. Er taumelte zurück.
Aber sie hatte ihn nicht berührt. Sie hatte nur diese seltsame Kraft benutzt.
„Du bist stärker, als ich dachte.“ Alexander lächelte, aber es war eher eine verzerrte Grimasse. Er rieb sich die Rippen, so als habe sie ihn tatsächlich verletzt.
„Das war nicht ich“, protestierte sie.
„Doch. Ich weiß nicht, ob …“ Wieder dieses Zittern. Seine Augen veränderten ihre Farbe von blau zu fast schwarz. Ebenso wie die Wolke, die sie gesehen hatte, obwohl es so etwas nicht geben konnte.
Und dann war da nur noch Rauch. Plötzlich war sie allein.
Die Hitze der Sahara hüllte ihn ein wie ein schützender Kokon. Mit einem tiefen Atemzug ließ er sich in den Sand sinken.
Das war knapp. Einen Lidschlag länger und er hätte sich auf sie gestürzt. Die Energie Halders war so stark, dass er seine ganze Willenskraft aufbringen musste, um sie zu bezwingen. Sariels überraschende Attacke hatte dazu geführt, dass er die Kontrolle verlor.
Er war kurz davor gewesen, Sariel das anzutun, wovor er sie beschützen wollte.
Die glühenden Sonnenstrahlen