Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson. Robert Louis Stevenson
1804, im Alter von sechzig Jahren, kam Gilbert zu einem Ende, das man getrost heroisch nennen kann. Er wurde vom Markte zurückerwartet, irgendwann zwischen acht Uhr abends und fünf Uhr früh und in jedem beliebigen Zustand von Rauflust oder wortloser Trunkenheit, wie es damals die wohllöbliche Gewohnheit der schottischen Bauern war. Es war bekannt, daß er diesmal ein hübsches Stück Geld heimbringen würde; es war offen darüber gesprochen worden. Der Bauer hatte zudem seine Guineen herumgezeigt, und zum Unglück hatte niemand bemerkt, daß eine übel aussehende Landstreicherbande, der Abschaum der Edinburger Gossen, sich lange vor Anbruch der Dämmerung vom Markte entfernt und den Bergweg nach Hermiston eingeschlagen hatte, allwo sie schwerlich rechtmäßige Geschäfte haben konnten. Einen aus der Nachbarschaft, einen gewissen Dickieson, hatten sie als Führer gedungen – teuer mußte er später dafür büßen! Und plötzlich, an der Furt von Broken Dykes, fiel dieses lausige Gesindel über den Großbauern her, sechs gegen einen, und er obendrein noch drei Viertel eingeschlafen, da er kräftig getrunken hatte! Aber es hielt schwer, einen Elliott zu überrumpeln. Eine Weile schlug er drauflos mit seinem Stock, dort in der Finsternis und in dem pechschwarzen Wasser, das ihm bis zum Sattelgurt ging, gleich einem Schmied auf seinen Amboß, und gewaltig war der Lärm seiner Flüche und Hiebe. Dann hatte er den Hinterhalt durchbrochen und jagte nach Hause mit einer Pistolenkugel im Leibe, drei Messerstichwunden, dem Verlust seiner Vorderzähne, einer zerbrochenen Rippe, einem zerrissenen Zaumzeug und einem sterbenden Pferd. Es war ein Rennen mit dem Tode, das der Großbauer in jener Nacht ritt! In der tiefschwarzen Dunkelheit, mit zerrissenen Zügeln und schwindelndem Kopf, grub er die Sporen bis zu den Rädern in des Pferdes Flanken, und das Pferd, armes Geschöpf!, das selbst noch schwerer getroffen war, schrie laut auf in seiner Qual wie ein Mensch, und die Leute in Cauldstaneslap sprangen vom Tische auf und blickten einander in die bleichen Gesichter. Das Pferd brach tot vor dem Hoftor zusammen, aber der Bauer erreichte noch das Haus und stürzte dort auf der Schwelle hin. Dem Sohne, der ihn aufhob, drückte er den Sack Geld in die Hand. »Da«, sagte er. Den ganzen Weg herauf hatte er die Diebe hinter sich gespürt, aber jetzt verließ ihn die Halluzination – er erblickte sie wieder in jenem Hinterhalt –, und der Durst nach Rache ergriff seine sterbende Seele. Er reckte sich hoch und wie mit gebieterischer Gebärde in die schwarze Nacht, aus der er gekommen; dann gab er den einen Befehl »Broken Dykes« und verlor die Besinnung. Niemals hatte man ihn geliebt, aber man hatte ihn geehrt und gefürchtet. Bei jenem Anblick, jenem Wort, das sich keuchend dem zahnlosen, blutenden Munde entrang, erwachte mit einem Schrei in seinen vier Söhnen der alte Elliott-Geist. »Ohne Hut«, fährt meine Gewährsmännin Kirstie fort, der ich nur zögernd folge, denn sie erzählte die Mär wie inspiriert, »ohne Gewehre es waren keine zwei Gramm Pulver im ganzen Haus –, ohne andere Waffen als die Knüttel in ihren Händen, nahmen die vier die Verfolgung auf. Nur Hob, der älteste, kniete einen Augenblick auf der Türschwelle hin, wo das Blut rann, tauchte seine Hand hinein und hielt sie zum Himmel empor nach Art des alten Grenzeids. ›Die Hölle soll heut nacht ihr Eigen wiederhaben‹ schrie er und stürzte hinaus auf sein Pferd.« Drei Meilen waren es bis nach Broken Dykes, immer bergab, eine schlimme Straße. Kirstie hatte erlebt, daß Leute aus Edinburg bei hellichtem Tage abgestiegen waren und lieber ihre Pferde am Zügel führten. Aber die vier Brüder ritten, als wäre ihnen der Böse selbst auf den Fersen. Da waren sie an der Furt, und da war Dickieson. Nach allem, was man hört, war er nicht tot, sondern atmete noch und hob sich auf seinen Ellbogen und schrie um Hilfe. Es war ein erbarmungsloses Antlitz, das er um Gnade anflehte. Kaum hatte ihn Hob beim Licht der Laterne erkannt, die auf das Weiße seiner Augen und die Zähne in des Mannes Gesicht traf, da sagte er: »Gott verdamme dich! Deine Zähne hast du noch, was?« und jagte sein Pferd hin und her über die menschlichen Überreste. Danach mußte Dandie absitzen und ihnen leuchten; er war der jüngste Sohn und kaum erst zwanzig. »Die ganze liebe, lange Nacht ging’s weiter durch die nasse Heide und die Wacholderbüsche, und wo sie gingen, das wußten sie nicht und fragten auch nicht danach, sondern folgten nur den Blutflecken und der Spur von ihres Vaters Mördern. Und die ganze Nacht strich Dandie mit der Nase über den Boden hin wie ein Bluthund, und die anderen folgten und sprachen kein Wort, weder schwarz noch weiß. Und da war kein Laut zu hören außer dem Stöhnen der geschwollenen Bäche und außer Hob, dem harten, der im Gehen mit den Zähnen knirschte.« Beim ersten Strahl des Morgengrauens erkannten sie, daß sie auf dem Treiberweg waren; da hielten die vier inne und nahmen einen Bissen Frühstück, denn sie wußten, daß Dand sie richtig geführt und daß sie die Gauner dicht vor sich hatten, Hals über Kopf auf der Flucht nach Edinburg und den Hügeln von Pentland. Um acht Uhr erhielten sie die erste Auskunft – ein Schäfer hatte vier Männer, »arg mißhandelt«, vor noch nicht einer Stunde vorübereilen sehen. »Auf jeden einer«, sagte Clemens und schwang seinen Knüttel. »Fünf Stück«, meinte Hob. »Gottes Tod, aber der Vater war ein Mann! Und obendrein in der Trunkenheit!« Und dann stieß ihnen etwas zu, das meine Gewährsmännin als ein »großes Unglück« bezeichnete, denn sie wurden von einem Trupp berittener Nachbarn überholt, die gekommen waren, ihnen zu helfen. Vier saure Gesichter begrüßten diese Verstärkung. »Der Teufel hat euch hergeführt!« sagte Clemens, und sie ritten von nun an mit hängenden Köpfen in der hintersten Reihe. Noch vor zehn hatten sie die Schufte eingeholt und gefangengenommen, und als sie mit ihren Gefangenen um drei Uhr nachmittags in Edinburg einritten, begegnete ihnen eine Schar Menschen mit einer triefenden Bürde. »Denn die Leiche des sechsten«, fuhr Kirstie fort, »mit einem Kopf, zerdrückt wie eine Haselnuß, hatte der Hermistoner Fluß die ganze Nacht über in Gewahrsam genommen; und er hatte sie an den Steinen geprellt und an den Sandbänken zerschunden und hernach das tote Ding Hals über Kopf die Fälle von Spango hinuntergejagt; und beim Morgengrauen hatte der Tweed es gepackt und wie der Wind entführt – denn es war arges Hochwasser dazumalen. Und so sauste er mit ihm dahin und tauchte es unter die Böschung und riß es wieder empor und spielte lange mit jenem Geschöpf unten in den Stromschnellen am Fuße der Burg; und das Ende war, daß er es bei der Crossmichael-Brücke wieder an Land spie. Und damit hatten sie alle sechs endlich beisammen (denn den Dickieson hatte man längst auf einem Karren hereingefahren), und die Leute konnten sehen, was für eine Art Mann mein Bruder gewesen war, der sich gegen sechse gehalten hatte, und obendrein noch in der Trunkenheit!« So starb an seinen ehrenvollen Wunden und auf der Höhe des Ruhmes Gilbert Elliott von Cauldstaneslap; aber seine Söhne ernteten aus der ganzen Sache kaum geringere Ehre. Ihre barbarische Eile, die Geschicklichkeit, mit der Dand die Spur aufgenommen und verfolgt hatte, die Unmenschlichkeit gegen den verwundeten Dickieson (die rings im Lande ein offenes Geheimnis war) und das furchtbare Schicksal, das sie nach allgemeiner Ansicht auch den anderen zugedacht, packte und beschwingte die Volksphantasie. Ein Jahrhundert früher hätte wohl der letzte der Barden aus diesem homerischen Kampf und Ende die letzte der Balladen gedichtet; aber der alte Geist war gestorben und hatte bereits in Herrn Sheriff Scott seine Reinkarnation erlebt, und die entarteten Heidebewohner mußten sich damit begnügen, die Mär in Prosa zu erzählen und aus den »Vier Schwarzen Brüdern« eine Einheit zu schaffen nach Art der »Zwölf Apostel« oder der »Drei Musketiere«.
Robert, Gilbert, Clemens und Andreas – in der volkstümlichen Abkürzung der Grenzlande Hob, Gib, Clem und Dand Elliott –, diese Balladenhelden, hatten manches miteinander gemein, insbesondere den stark ausgeprägten Familiensinn und das lebendige Gefühl für die Familienehre; aber sie gingen alle ihre eigenen Wege und hatten Erfolg oder scheiterten in den verschiedensten Berufen. Um mit Kirstie zu reden, alle waren ein wenig »spinnet« mit Ausnahme von Hob. Hob, der Großbauer, war in Wahrheit in allen Dingen ein hochachtbarer Mann. Als Kirchenältester hatte niemand, seit jener Jagd hinter den Mördern seines Vaters her, je einen Fluch von ihm vernommen, außer gelegentlich einmal bei der Schafwäsche. Die Figur, die er an jenem verhängnisvollen Abend machte, schien wie von der Erde verschluckt. Er, der in der Ekstase seine Hand in das rote Blut getaucht, der Dickieson unter den Hufen seines Pferdes zertrampelt hatte, wurde von jenem Augenblick an ein steifes und wenig anziehendes Vorbild ländlicher Ehrbarkeit; ein Schlaukopf, der bedachtsam an den hohen Kriegspreisen profitierte und alljährlich ein rundes Sümmchen als Notgroschen auf die Bank trug, geachtet und mitunter sogar geschätzt von den Großgrundbesitzern der Nachbarschaft, die ihn seiner schwerfälligen, gelassenen Vernunft wegen zu Rate zogen – vorausgesetzt, daß er zum Reden zu bewegen war; daneben war er der erklärte Günstling des Pastors, Mr. Torrance, der ihn in Gemeindeangelegenheiten als seine rechte Hand betrachtete und ihn den Eltern als Vorbild pries. Die Transfiguration hatte nur einen kurzen Augenblick gedauert;