Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson. Robert Louis Stevenson
Kapitel XXVI Auf der Suche nach meiner Erbschaft
Kapitel XXVII Ich gelange in mein Königreich
Kapitel I
Ich mache mich auf, um nach dem Hause der Shaws zu reisen
Ich will die Geschichte meiner Abenteuer mit einem bestimmten Tag beginnen. Es war ein Junimorgen im Jahre des Heils 1751, als ich zum letztenmal den Schlüssel aus der Tür meines Vaterhauses zog. Die Sonne sandte ihre ersten Strahlen über die Gipfel der Hügel, während ich die Straße hinunterschritt, und als ich bis zum Pfarrhaus gekommen war, sangen die Amseln in den Hollunderbüschen des Gartens, und der Nebel, der zur Zeit der Dämmerung rings im Tal zu hängen pflegte, begann sich zu heben und dahinzuschwinden.
Herr Campbell, der Geistliche von Essendean, wartete auf mich beim Gartentor, der gute Mann! Er fragte mich, ob ich gefrühstückt hätte, und als er hörte, daß ich nichts brauche, nahm er meine Hand in seine beiden und zog sie freundschaftlich unter seinen Arm.
»Nun Davie, mein Junge,« sagte er, »ich will mit dir bis zum Fluß gehen, um dich auf den richtigen Weg zu bringen.«
Und wir begannen schweigend vorwärts zu gehen.
»Tut es dir leid, Essendean zu verlassen?« fragte er nach einer Weile.
»Ja, Herr,« sagte ich, »wenn ich wüßte, wohin ich gehe oder was aus mir werden soll, so würde ich es Euch offen sagen. Essendean ist wirklich ein schöner Ort und ich war hier sehr glücklich; aber dann wieder – ich bin noch nie anderswo gewesen. Meinem Vater und meiner Mutter werde ich, da sie nun beide tot sind, in Essendean nicht näher sein als im Königreich Ungarn; und um die Wahrheit zu sprechen, wenn ich glauben könnte, daß ich die Chance habe, es mir dort, wohin ich gehe, zu verbessern, dann ging ich wohl mit Freuden.«
»Ja?« sagte Herr Campbell. »Das ist gut, Davie. Dann ziemt es mir, dir deine Zukunft vorauszusagen, wenigstens so weit ich es kann. Als deine Mutter gestorben war und dein Vater (der ehrenwerte, gute Christ) krank wurde und sein Ende nahen fühlte, vertraute er mir einen gewissen Brief an und sagte, das wäre dein Erbe. ›Sobald ich‹, sagte er, ›von hinnen gegangen sein werde und das Haus übergeben ist und über alle Habe verfügt sein wird‹ (was alles geschehen ist, Davie), ›so gebt meinem Jungen diesen Brief in die Hand und sorgt dafür, daß er sich aufmache nach dem Hause der Shaws, nicht weit von Cramond. Das ist der Ort, von dem ich stamme,‹ sagte er, ›und es geziemt sich, daß mein Sohn dahin zurückkehre. Er ist ein fester Bursche‹, sagte dein Vater, ›und ein guter Fußgänger; und ich zweifle nicht, daß er dort heil ankommen und gut aufgenommen werden wird, wohin er geht.‹«
»Das Haus der Shaws!« rief ich. »Was hatte mein armer Vater mit dem Hause der Shaws zu tun?«
»Ja,« sagte Herr Campbell, »wer könnte das mit Gewißheit sagen? Aber der Name dieser Familie, Davie, mein Junge, ist der Name, den du trägst – Balfours von Shaws; ein altes, ehrenwertes, wohlbekanntes Haus, in letzter Zeit durch Zufall in Verfall geraten. Auch war dein Vater, wie dies seiner Stellung entsprach, ein Mann von Wissen; keiner war wie er dazu berufen eine Schule zu leiten; auch hatte er weder das Benehmen noch die Sprache eines einfachen Dorfschullehrers, sondern (wie du dich wohl selbst erinnern wirst) hatte ich viel Vergnügen daran, ihn ins Pfarrhaus zu rufen, daß er dort Leuten von Stand und Ansehen begegne; und die Angehörigen meines Hauses, Campbell von Kilrennet, Campbell von Dunswire, Campbell von Minch und andere – alles wohl angesehene Herren – fanden Vergnügen an seiner Gesellschaft. Endlich nun, um dir alle Einzelheiten dieser Angelegenheit selbst klar zu machen, hier ist der testamentarische Brief selbst, von der eigenen Hand unseres verstorbenen Bruders geschrieben.«
Er gab mir den Brief, der mit folgenden Worten überschrieben war: »Zu Händen des Ebenezer Balfour, Esquire, von Shaws, im Hause der Shaws, wird dieses von meinem Sohn David Balfour übergeben.« Mein Herz begann heftig zu schlagen bei diesen großen Aussichten, die sich mir plötzlich eröffneten, einem Knaben von sechzehn Jahren, dem Sohn eines armen Dorfschullehrers in den Wäldern von Ettrick.
»Herr Campbell,« stammelte ich, »würdet Ihr gehen an meiner Stelle?«
»Ganz sicherlich,« sagte der Geistliche, »das tät ich, und zwar ohne Zeitverlust. Ein kräftiger Bursche wie du, müßte in zwei Tagesmärschen in Cramond sein (das ist nicht weit über Edinburgh). Käme das Schlimmste zum Schlimmen, und deine hohen Angehörigen (denn ich muß wohl annehmen, daß sie irgendwie deine Blutsverwandten sind) versperrten dir ihre Tür, so müßtest du eben diese beiden Tagereisen wieder zurückgehen und an die Tür des Pfarrhauses klopfen. Aber ich will eher hoffen, daß du gut empfangen wirst, wie dein armer Vater annahm, und soweit ich es überblicken kann, mit der Zeit ein großer Mann werden wirst. Und jetzt, Davie, mein Jungchen,« schloß er, »liegt es mir sehr am Herzen, diese Abschiedsstunde würdig zu nützen und dich vor allen Gefahren der Welt ernstlich zu warnen.«
Hier sah er sich nach einer bequemen Sitzgelegenheit um, wählte dann einen großen Stein unter einer Birke am Rande der Straße, setzte sich hin, machte eine sehr lange, ernste Oberlippe und breitete, da die Sonne nun zwischen zwei Berggipfeln hell auf uns schien, ein Taschentuch über seinen krämpenlosen Hut, um sich zu schützen. So begann er nun mich mit erhobenem Zeigefinger erst vor einer beträchtlichen Anzahl von Irrlehren zu warnen, zu denen ich keinerlei Neigungen hatte, und beschwor mich, beständig zu bleiben in meinen Gebeten und im Lesen der Bibel. Dies getan, entwarf er ein Bild des großen Hauses, in das ich kommen werde und wie ich mich gegen die Bewohner benehmen sollte.
»Sei nachgiebig, Davie, in gleichgültigen Dingen«, sagte er. »Halte es dir stets vor Augen, daß du, obgleich edel geboren, nur auf dem Lande erzogen wurdest. Beschäm' uns nicht, Davie, beschäm' uns nicht. In jenem großen Haus mit all den Bedienten oben und unten, zeig' dich so höflich, so umsichtig, so schnell im Begreifen und so langsam im Sprechen wie irgend einer. Und was den Gutsherrn betrifft – vergiß nicht, er ist der Gutsherr; ich sage nicht mehr. Ehre, wem Ehre gebührt. Es ist ein Vergnügen, seinem Gutsherrn zu gehorchen oder sollte es sein, für junge Menschen.«
»Gut, Herr,« sagte ich, »es mag so sein, und ich versprech' Euch, mich zu bemühen, es so zu machen.«
»Sehr gut gesagt«, antwortete Herr Campbell herzlich. »Und nun, um zur Sache zu kommen oder (um ein Wortspiel zu machen) zur Nebensache. Ich habe hier ein kleines Päckchen, das vier Dinge enthält.« Er zog es bei diesen Worten nicht ohne Schwierigkeiten aus der Brusttasche seines Mantels hervor. »Von diesen vier Dingen ist das erste dein gesetzliches Erbteil: das bißchen Geld für deines Vaters Bücher und Einrichtungsgegenstände, die ich gekauft habe (wie ich von Anfang an erklärte), um sie mit Gewinn dem zukünftigen Schullehrer wieder zu verkaufen. Die anderen drei Gaben sind von Frau Campbell und mir und wir würden uns freuen, wenn du sie annehmen wolltest. Das erste ist rund und wird dir wohl fürs erste am besten gefallen; aber, o Davie, mein Junge, es ist nur wie ein Tropfen Wasser im Meer; es wird dir nur einen Schritt weit helfen und dahinschwinden wie der Morgen. Das zweite ist flach und viereckig und beschrieben; es wird dir dein ganzes Leben lang beistehen wie ein guter Stock auf der Landstraße oder ein gutes Kissen unterm Kopf auf dem Krankenlager. Und was das letzte betrifft, das kubisch ist, das wird dich hoffentlich – ich will Gott darum in meinen Gebeten bitten – in ein besseres Land begleiten.«
Mit diesen Worten stand er auf, nahm seinen Hut ab und betete ein Weilchen laut und in rührenden Worten für einen jungen Mann, der im Begriffe stand in die weite Welt zu ziehen. Dann schloß er mich plötzlich in seine Arme und küßte mich sehr fest; dann hielt er mich mit ausgestrecktem Arme vor sich und sah mich mit schmerzlich zuckendem Gesicht an, dann drehte er sich schnell um und rief mir ein Lebewohl zu und setzte in einer Art Trab davon, den Weg zurück, den wir gekommen