Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson. Robert Louis Stevenson

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und sah sich nicht ein einziges Mal um. Da wurde es mir mit einem Male klar, daß all dies nur sein Schmerz über meine Abreise war und ich empfand heftige Gewissensbisse, weil ich für mein Teil nur allzu glücklich war, fortzukommen aus diesem stillen Dorfwinkel und in ein großes, bewegtes Haus zu gehen unter reiche und angesehene, vornehme Leute meines eigenen Namens und Blutes.

      »Davie, Davie,« dachte ich, »hat man schon je solch schwarzen Undank gesehen? Kannst du beim bloßen Klang eines Namens gleich alte Wohltaten und alte Freunde vergessen? Pfui, pfui! Denk' welche Schande!«

      Und ich setzte mich an eben der Stelle nieder, von wo der gute Mann gerade aufgestanden war und öffnete das Päckchen, um meine Gaben zu besehen. Das, was er kubisch genannt hatte, war natürlich – ich war darüber keinen Augenblick im Zweifel gewesen – eine kleine Taschenbibel. Das, was er rund genannt hatte, war, wie sich herausstellte, ein Schillingstück und das dritte, das mir so wunderbar, ob gesund, ob krank, all mein Lebtag helfen sollte, war ein kleines, gewöhnliches, gelbes Stückchen Papier, auf dem mit roter Tinte folgendes geschrieben stand:

      »Bereitung von Maiglöckchenwasser.

      Man nehme die Blüten von Maiglöckchen, destilliere sie in Säckchen und trinke ein oder zwei Löffel davon, je nach Bedarf. Es gibt den Stummen die Sprache wieder. Es ist gut gegen die Gicht. Es stärkt das Herz und schärft das Gedächtnis. Die Blüten gebe man in ein fest verschlossenes Glas und setze dieses für einen Monat in einen beliebigen Ameisenhaufen, dann nehme man es wieder heraus und man wird einen Saft finden, der von den Blüten stammt und den man in einem Fläschchen aufbewahren muß. Er ist gut für Mann und Weib, ob gesund, ob krank.« Und dann von des Geistlichen eigener Hand:

      »Ebenso für Verstauchungen, damit einzureiben; und für Koliken, ein großer Löffel stündlich.«

      Darüber nun habe ich natürlich gelacht. Aber es war mehr ein zitterndes Lachen und ich war froh, mein Bündel an das Ende meines Stockes zu hängen; so setzte ich über den Fluß und dann, auf der anderen Seite, den Hügel hinauf. Bis ich, gerade als ich zur großen Herdenstraße kam, die breit durch die Heide lief, den Blick auf Kirk Essendean warf, auf die Bäume, die ums Pfarrhaus standen und auf den Friedhof, wo mein Vater und meine Mutter lagen.

      Kapitel II

       Ich gelange an das Endziel meiner Reise

       Inhaltsverzeichnis

      Am Vormittag des zweiten Tages sah ich, als ich auf die Spitze eines Hügels kam, das Land rings vor mir zum Meere hin abfallen; und inmitten dieses Abhanges, auf einem langen Grat rauchte die Stadt Edinburgh wie ein Riesenofen. Eine Flagge wehte auf dem Schloß, und Schiffe bewegten sich auf dem Meer oder lagen in der Bucht verankert. Ich konnte beides genau sehen, so weit entfernt ich auch stand, und beides bewog mich, mein Landrattenmaul weit aufzusperren.

      Kurz nachher kam ich an einem Haus vorbei, in dem ein Hirt wohnte und der gab mir ungefähr die Richtung an, wie ich in die Gegend von Cramond käme; und so arbeitete ich mich von einem zum anderen durch, bis ich über Colinton westlich von der Hauptstadt auf der Straße von Glasgow herauskam. Dort erblickte ich zu meiner großen Freude und Verwunderung ein Regiment Soldaten, die im Takt zum Klange der Pfeifen marschierten, ein alter rotwangiger General auf einem grauen Pferde an einem Ende und eine Kompagnie Grenadiere mit ihren Bischofsmützen am anderen. Aller Lebensmut schien mir beim Anblick der Rotröcke und beim Klang der fröhlichen Musik zu Kopfe zu steigen.

      Ein Stückchen weiter sagte man mir, daß ich im Gemeindebezirk von Cramond wäre, und ich fing nun an, mich in meinen Fragen nach dem Hause der Shaws zu erkundigen. Das schien jene, von denen ich meinen Weg zu erfragen suchte, in Erstaunen zu setzen. Zuerst glaubte ich, daß die Einfachheit meiner Erscheinung – in meinem Bauernanzug, der noch dazu von der Landstraße ganz staubig war – schlecht zu der Größe des Ortes paßte, zu dem ich gelangen wollte. Aber nachdem ich von zweien oder auch dreien denselben Blick und dieselbe Antwort erhalten hatte, da ging es mir langsam auf, daß da etwas Sonderbares um die Shaws sein müsse.

      Um diese Furcht schneller zu verscheuchen änderte ich die Art meiner Fragen. Als ich einen ehrlichen Burschen erspäht hatte, der in seinem Karren über eine Wiese herankam, fragte ich ihn, ob er jemals etwas von einem Hause der Shaws, wie sie es nannten, gehört habe.

      Er hielt seinen Wagen an und sah mich genau so wie die übrigen an.

      »Ja,« sagte er, »warum?«

      »Ist es ein großes Haus?« fragte ich.

      »Sicherlich«, sagte er. »Das Haus ist ein großes, geräumiges Haus.«

      »Ja,« sagte ich, »und die Leute, die darin wohnen?«

      »Leute?« rief er, »seid Ihr verrückt? Da gibt's keine Leute dort – was man so Leute nennt.«

      »Was?« sagte ich, »nicht Herrn Ebenezer?«

      »O ja,« sagte der Mann, »der Gutsherr dort, natürlich wenn Ihr den sucht. Was habt Ihr denn dort zu tun, Herrchen?«

      »Ich hab' geglaubt, daß ich dort eine Stelle bekommen könnte«, sagte ich und sah so bescheiden drein, wie ich nur konnte.

      »Was?« ruft der Mann so laut, daß sogar sein Pferd scheute. Und dann, »na, mein Herrchen,« fügte er hinzu »es geht mich ja nichts an, aber Ihr scheint ein ordentlicher Bursche zu sein und wenn Ihr von mir einen Rat annehmen wollt, so haltet Euch fern von den Shaws.«

      Der Nächste, dem ich begegnete, war ein gewandtes, kleines Männchen mit einer schönen, weißen Perücke, das ich sofort als einen Barbier erkannte, der seine Runde machte. Da ich wohl wußte, daß Barbiere große Schwätzer seien, fragte ich ihn geradezu, was Herr Balfour von Shaws für ein Mann sei.

      »Hu, hu, hu,« sagte der Barbier, »das ist so eine Art von einem Mann, gar keine Art von einem Mann eigentlich«, und er fing ganz schlau an, mich darüber auszufragen, was ich eigentlich vorhätte. Aber darin war ich ihm wohl gründlich gewachsen und er mußte zu seinem nächsten Kunden abziehen, um nichts klüger als zuvor.

      Ich kann nicht gut beschreiben, was das für ein Schlag war für all meine Illusionen. Je unbestimmter die Anschuldigungen waren, um so weniger gefielen sie mir, denn sie ließen meiner Phantasie um so größeren Spielraum. Was für ein seltsames Haus mußte das sein, daß die ganze Gemeinde staunte und starrte, wenn einer nach dem Weg dahin fragte? Oder was für ein merkwürdiger Herr, daß sein übler Ruf auf der offenen Straße so wohlbekannt war? Hätte mich eine Stunde Weges nach Essendean zurückgebracht, wie gerne hätte ich meine Abenteuer im Stiche gelassen und wäre zurückgekehrt zum Hause des Herrn Campbell. Aber da ich schon einen so weiten Weg gemacht hatte, schämte ich mich, von meinem Vorhaben abzustehen, ehe ich die Sache genau geprüft hatte. Ich fühlte mich aus bloßer Selbstachtung gezwungen, durchzuhalten. Und so wenig mir auch das, was ich hörte, gefiel und so langsam ich auch weiterging, so fragte ich mich doch durch und kam vorwärts.

      Es war schon um die Dämmerung, als mir ein kräftiges, dunkles, finster blickendes Weib begegnete, das langsam einen Hügel herunter kam. Als ich meine gewohnte Frage an sie stellte, wandte sie sich schnell um, begleitete mich bis zur Spitze des Hügels, den sie eben heruntergekommen war, zurück und deutete auf einen großen Gebäudekomplex, der auffallend kahl inmitten einer Rasenfläche stand, unten in dem vor uns liegenden Tal. Die Gegend rings umher war gar lieblich; sanfte Hügel, Bäche, Wälder und Felder, deren Getreide mir ganz besonders hoch und schön zu stehen schien. Aber das Haus selbst glich einer Ruine, keine Straße führte hinzu, kein Rauch stieg von den Kaminen empor, auch gab es nichts, was einem Garten glich. Mein Mut sank. »Das?« rief ich.

      Das Antlitz des Weibes leuchtete auf in boshaftem Haß. »Das ist das Haus der Shaws!« rief sie. »Mit Blut ward es gebaut; Blut brachte den Bau zum Stillstand; durch Blut soll es fallen. Da sieh!« rief sie wieder, »ich speie auf den Boden und knicke meinen Daumen davor! Dunkel sei sein Fall! Wenn du den Gutsherrn siehst, sag' ihm, was du hörst. Sag' ihm, dies ist das zwölfhundertneunzehnte Mal, daß Jennet Clouston den Fluch gesprochen hat über ihn und sein Haus,


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