Die wilden Jahre. Will Berthold

Die wilden Jahre - Will Berthold


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gefiel sein Gesicht, das kühl und geschlossen war in seiner Zerrissenheit: eine Einheit des Zwiespalts. Es war ein Gesicht, das seinen Ausdruck jäh wechseln konnte, von einer Sekunde zur anderen.

      Zuerst war ihr seine breite, ausladende Stirn aufgefallen: eine Mauer, hinter der sich der Fluß staute: klares Wasser, trübes Wasser, frisches Wasser, fauliges Wasser, Gewässer.

      Er spürte, daß sie ihn beobachtete, und er mochte es nicht. Er war ungehalten, weil ihm dieses natürliche Mädchen soviel gegeben hatte. Er war schließlich nicht nach Deutschland gekommen, um Gefühle zu erfüllen oder sein Glück zu suchen.

      Felix Lessing hatte es schwer mit seinem Haß, für und von dem er jahrelang gelebt hatte.

      Er beschwor immer wieder das Bild des Vaters und versuchte, alle Deutschen für den Tod des alten Kommerzienrates verantwortlich zu machen.

      Als er merkte, daß ihm das Land, das er verachtete, immer näher kam, durchlitt er alle Höllen und Tiefen der Haß-Liebe. Die erste scheue Annäherung an seine alte Heimat rüttelte an dem Zerrbild, in das er sich in langen Jahren hineingesteigert hatte. Ein Kind, das ihn anlächelte: Kannst du in jeder Illustrierten sehen, dachte er. Eine an Hungerödemen leidende Greisin, die mit ihren kärglichen Lebensmitteln herrenlose Hunde und Katzen fütterte: Nicht selten ist Tierliebe ein Ausdruck der Menschenverachtung, und Hysteriker gibt es überall, meinte er. Der alte Organist, der sich nach dem Einmarsch der Alliierten mit verklärtem Gesicht und gichtigen Händen an die Orgel der kleinen Dorfkirche setzte und befreit das Tedeum spielte: Kannst du in jedem dritten Kriegsfilm sehen, überlegte er. Junge Soldaten, die freudig in die Gefangenschaft gingen, weil sie zugleich das Ende des braunen Staates bedeutete: Sie leben auch lieber hinter Stacheldraht, als auf den Schlachtfeldern zu sterben, sagte er sich.

      So lag Felix im ständigen Zwiespalt mit sich selbst; er sah Würde in Lumpen und traf Feinheit unter dem Schutt, und er rang um seinen Haß und merkte, daß er schrumpfte.

      Er spürte, daß eines Tages sein Anstand und seine Intelligenz das Zerrbild endgültig zerreißen würden, und so beschwor er, um es zu verhindern, die anderen Bilder, zwang sich wieder, Skelette von Bergen-Belsen, die Vergasten von Auschwitz und die Gehängten von Buchenwald zu sehen, krallte sich an diese Visionen des Grauens wie ein Ertrinkender an den Balken und kämpfte noch weiter gegen sich, als er merkte, daß sich der Balken drehte.

      Schließlich begann der junge Captain Felix Lessing, nur noch in wirklichen Tätern die Mörder zu sehen; er eilte der Politik der Siegermächte weit voraus, weit hinweg von ihrer These der Kollektivschuld, als er sich überwand, nicht mehr pauschal zu verurteilen, sondern individuell zu richten – wie den alten Ritt.

      »Bist du fertig?« fragte Felix schroff, weil ihn Susanne immer noch ansah.

      »Fertig?«

      »Mit deiner Vivisektion.«

      »Wieso?«

      »Du starrst mich so an«, sagte er.

      »Warum sollte ich nicht? Ich schaue dich gern an, Felix.«

      Die Worte klangen gut, und es brachte ihn wieder gegen sich selbst auf. Seine Lippen lagen flach aufeinander wie Scharniere. Wie meistens wollte er sich lieber den Mund verschließen als sich etwas vergeben.

      »Vielleicht verstehst du das nicht«, erklärte er, »ich will nicht im Schaufenster liegen. Ich möchte mich nicht bestaunen, betasten, kaufen und umtauschen lassen. Ich bin keine Ware. Ich bin …«

      »… eine Mimose. Nicht böse sein«, unterbrach sie ihn und küßte seine Hand.

      Er wandte das Gesicht ab. »You are my sunshine …«, sang eine hellblonde Stimme im Radio. Susanne folgte seinem Blick, stand auf, drehte die Musik ab. Sie ging mit weichen Schritten. Sie war schlank und groß, verspielt und arglos; auf ihrer kupferfarbenen Haut war der Sommer geblieben, ein langer heißer, sonniger Sommer, auf den Felix eifersüchtig war, weil er an ihm nicht teilgenommen hatte.

      Sie blieb stehen, beugte sich über den Glastisch und wechselte die Kerze aus. Das Lächeln auf ihrem Gesicht war bei seinen letzen Worten eingeschlafen. Sie hatte begriffen, daß er sich zwang, nicht sentimental zu werden. Vielleicht hat er recht, dachte sie, Worte sind banal geworden. Aber müssen es deswegen auch Gefühle sein?

      Sie wußte keine Antwort. Sie war gerade erst zwanzig geworden.

      Felix griff wieder nach der Flasche. Er trank ständig.

      »Warum eigentlich?« fragte Susanne.

      »Weil es mir schmeckt.«

      »Nein«, widersprach das Mädchen. »Du belügst dich. Du schüttest den Whisky hinunter wie Wasser in das Feuer. Du möchtest das Feuer auslöschen.« Sie nickte und sah ihn voll an. »Felix, was möchtest du vergessen?«

      »Kluges Kind.« Er wich ihr mit Spott aus. »Männer sind keine Frauen – Frauen haben ihre Tränen – Männer nehmen Schnaps.«

      »Wenn ich dich recht verstehe, Felix, dann sollte ich jetzt wohl weinen.«

      »War auch schon dagewesen.«

      Bevor seine Worte sie verletzen konnten, zog er sie an sich, küßte sie zärtlich, während seine Augen ihren Körper streichelten.

      »Du bist schön«, sagte er.

      »Du wirst galant«, erwiderte sie.

      Sie lagen nebeneinander. So oft sich ihre Haut berührte, setzte ein Körper den anderen in Flammen, während das Kerzenlicht Worte, die nicht gesagt wurden, feierlich machte.

      Das Telefon rief sie aus den Wolken zurück. Es läutete gedämpft. Felix, der es verabscheute, hatte über den Apparat ein Kissen gelegt. Das Gerät stand in der Ecke wie eine Teekanne unter der Haube.

      Verdrossen machte er sich frei, hob den Hörer ab, meldete sich.

      Sie verstand die Worte nicht, aber sie merkte, wie betroffen er war.

      »Du, Jack?« fragte er. »Jetzt?« Bei den nächsten unverständlichen Worten zogen sich seine Gesichtsmuskeln zusammen wie im Krampf. »Morgen! Okay«, sagte er schließlich, »thank you.«

      Er legte den Hörer langsam auf und sah zum Fenster hinaus, um sein Gesicht zu ordnen, bevor es Susanne sah.

      »Etwas Schlimmes?« fragte sie.

      »Nein.«

      »Du möchtest nicht darüber sprechen?«

      »Wirklich nicht.« Er ging wieder auf die Flasche zu. »Ich muß weg«, sagte er.

      »Jetzt?«

      »Ja. In dieses verdammte Gefängnis. Nach Landsberg.«

      Sie dachte an die Nebel, die vom Ammersee aufstiegen, an den Alkohol, den er getrunken hatte, an die vielen Bäume am Straßenrand.

      Nach einer halben Stunde begann er zu sprechen; entgegen seiner Art umständlich. Er sagte, daß sein Vertreter angerufen und seit Stunden versucht hätte, ihn zu erreichen. Im Office sei für ihn eine Nachricht hinterlassen worden, daß der Verurteilte, den er noch sprechen wollte, morgen früh hingerichtet würde. »Und mit Toten«, schloß Felix, »kann man sich nicht unterhalten.«

      »Ein Bekannter?«

      »Ja.«

      »Und du hast – das – nicht verhindern können?«

      »Im Gegenteil«, versetzte er brutal, »ich habe das Urteil herbeigeführt. Ich bin Tausende von Kilometern gefahren, habe Lager um Lager untersucht. Ich habe Zeugen gekauft und bestochen. Ich habe den Mann an den Galgen gebracht.«

      »Und jetzt?«

      »Jetzt«, sagte er mit zu hoher Stimme, »jetzt muß ich diesem Kerl nur noch klarmachen, warum er stirbt. Ich will nicht, daß dieser Gefangene umkommt bei einem Verkehrsunfall. Er soll wissen, weswegen er hängt!«

      Die Bäume trugen schon Knospen, man sah sie nicht im Vorbeifahren; die Äste


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