Doktor Dolittles Zirkus. Hugh Lofting

Doktor Dolittles Zirkus - Hugh Lofting


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wichtig. Seerobben leben wie Schafe und alle wandernden Tiere in Rudeln. Und ohne einen großen, starken Anführer, der sie zu den offenen Fischplätzen und den geschützten Überwinterungsstellen führt, sind sie vollkommen hilflos und verloren. Seit Glitschi schwermütig geworden ist, haben sie einen Führer nach dem anderen gehabt, aber keiner von ihnen hat etwas getaugt. Kämpfe und kleine Meutereien haben die Herde dauernd erschüttert, Walrosse und Seelöwen treiben sie von den besten Fischplätzen fort, und die Eskimo-Robbenfänger töten sie rechts und links. Keine Seehundsherde kann sich lange gegen die Pelzjäger halten, wenn sie nicht einen guten Führer hat, der genügend Verstand besitzt, um sie vor Gefahr zu schützen. Glitschi war der beste, den sie je gehabt haben, und dazu stark wie ein Ochse. Nun tut er nichts, als auf einem Eisberg liegen und stöhnen und weinen, weil ihm seine Lieblingsfrau genommen worden ist. Er hat hundert andre Frauen, die ebenso hübsch sind wie Sophie, aber er sehnt sich nur nach ihr. Da haben Sie die Geschichte: die Herde zerfällt einfach! Man hat mir erzählt, unter Glitschis Führung sei sie die beste Seerobbenherde im ganzen nördlichen Polarkreis gewesen. Jetzt, dazu noch bei diesem strengen Winter, wird sie höchstwahrscheinlich ganz zugrunde gehen.“

      Als die Möwe ihre Erzählung beendet hatte, herrschte eine Minute lang Schweigen im Wagen. Schließlich sagte Johann Dolittle: „Toby, gehört Sophie Blossom oder Higgins?“

      „Higgins, Doktor“, sagte der kleine Hund. „Es ist so ähnlich wie bei Ihnen. Dafür, daß die Robbe bei der Vorstellung im großen Zirkus mitwirkt, braucht Higgins für seinen Stand nichts zu bezahlen und steckt das ein, was die Nebenschau einbringt.“

      „Das ist durchaus nicht dasselbe wie bei mir“, rief der Doktor, „der große Unterschied ist, das Stoßmich-Ziehdich hält sich aus freiem Willen hier auf, während Sophie gegen ihren Willen im Zirkus festgehalten wird. Es ist eine wahre Schande, daß Jäger ins Eismeer hinauffahren und alle Tiere, die sie haben wollen, fangen, Familien zerstören und auf diese Weise auch jede Lebensgemeinschaft erschüttern dürfen — es schreit wahrhaftig zum Himmel!“

      „Wieviel kostet eine Robbe?“ fragte er Toby.

      „Das ist verschieden“, antwortete Toby. „Ich habe einmal Sophie sagen hören, Higgins habe sie in Liverpool von dem Mann, der sie fing, für vierhundert Schillinge gekauft. Bevor sie an Land kam, hatte man ihr schon auf dem Schiff Kunststücke beigebracht.“

      „Wieviel ist in unsrer Sparbüchse, Tuh-Tuh?“ fragte der Doktor.

      „Die ganzen Einnahmen von der vorigen Woche“, antwortete die Eule, „außer einem Schilling und drei Groschen. Für drei Groschen haben Sie sich die Haare schneiden lassen, und für einen Schilling haben Sie Göb-Göb Sellerie-Salat gekauft.“

      „Was bleibt also übrig?“

      Tuh-Tuh, die Rechenkünstlerin, legte ihren Kopf auf die Seite und schloß das linke Auge, wie sie es immer tat, wenn sie rechnete.

      „Siebenundvierzig Schilling“, murmelte sie, „weniger einem Schilling und drei Groschen macht — macht fünfundvierzig Schilling und neun Groschen netto bar auf den Tisch.“

      „Großer Gott!“ stöhnte der Doktor, „kaum genug, um ein Zehntel von Sophie zu kaufen. Ich möchte wissen, ob ich hier jemand anpumpen kann. Das ist das einzig Gute, wenn man ein Menschendoktor ist: als ich noch eine Menschenpraxis hatte, konnte ich mir wenigstens von meinen Patienten etwas borgen.“

      „Wenn ich mich recht erinnere“, murmelte Dab-Dab, „haben Sie viel öfter Ihren Patienten etwas geliehen, als daß Sie sich etwas von Ihren Patienten geborgt haben.“

      „Blossom würde sie Ihnen doch nicht verkaufen, selbst wenn Sie das Geld hätten“, sagte Sdhwizzel. „Higgins hat sich vertraglich verpflichtet, mit ihm ein ganzes Jahr herumzuziehen.“

      „Da bleibt nur ein Ausweg übrig“, meinte der Doktor. „Diesen Leuten gehört die Robbe jedenfalls nicht. Sie ist eine freie Bewohnerin des nördlichen Eismeeres, und will sie dorthin zurückkehren, so soll sie es auch. Sophie muß entfliehen.“

      Bevor an jenem Abend seine Tiere zu Bett gingen, ließ er sich von ihnen versprechen, der Robbe vorläufig nichts von den schlechten Nachrichten der Möwe zu erzählen. Es würde sie nur quälen, und ehe er sie nicht sicher zum Meere gebracht hätte, nützte es ihr doch nichts, davon zu wissen.

      Dann besprach er bis zum Morgengrauen mit Matthäus den Plan für Sophies Flucht. Zuerst war der Katzenfuttermann sehr gegen diese Idee.

      „Doktor“, sagte er, „wenn man Ihnen zu fassen kriegt, sperrt man Ihnen ein. Eine Seerobbe zur Flucht von ihre Besitzer zu verhelfen, wird man einfach Diebstahl nennen.“

      „Daraus mache ich mir nicht so viel“, sagte der Doktor und schnippte mit den Fingern. „Man kann es nennen, wie man will. Man kann mich auch einsperren, wenn man mich kriegt. Wenigstens werde ich vor Gericht Gelegenheit haben, ein Wort für das Recht wilder Tiere einzulegen.“

      „Man wird nich auf Ihnen hören, Doktor“, sagte Matthäus, „man wird Ihnen für einen gefühlsduseligen Narren halten. Higgins wird glatt gewinnen. Eigentumsrecht und all solch Zeug. Ich verstehe Sie Ihren Standpunkt schon, aber der Richter wird es nie nich tun, er wird Ihnen verurteilen, Higgins vierhundert Schillinge für seinen verlorengegangenen Seehund zu bezahlen, und wenn Sie nicht bezahlen können, kommen Sie ins Gefängnis.“

      „Daraus mache ich mir nicht so viel“, wiederholte der Doktor. „Aber hören Sie Matthäus, wenn Sie die Sache nicht für richtig halten, möchte ich Sie nicht mit hineinziehen. Schaffen kann ich es nur durch allerlei Betrügereien, und ich wäre sehr traurig, wenn Sie dadurch mit in Unannehmlichkeiten gerieten. Wenn Sie lieber die Hände davon lassen wollen, sagen Sie es mir ruhig. Ich für mein Teil, habe bereits meinen Entschluß gefaßt: Sophie kehrt nach Alaska zurück, selbst wenn ich dafür ins Gefängnis kommen sollte, was nichts Neues für mich wäre, denn ich habe schon früher im Gefängnis gesessen.“

      „Ich auch“, sagte der Katzenfuttermann. „Sind Sie schon mal im Cardiffer Zuchthaus gewesen? Pfui Teufel! Ein verflixtes Loch, das schlimmste, in dem ich je gesessen habe.“

      „Nein“, antwortete der Doktor, „bis jetzt hab ich nur in afrikanischen Gefängnissen gesessen — die sind schlimm genug. Aber wir wollen uns nicht von der Hauptsache entfernen. Vielleicht wollen Sie mir lieber nicht bei diesem Unternehmen helfen? Es verstößt gegen das Gesetz, das weiß ich, wenn ich auch das Gesetz für falsch halte. Verstehen Sie mich recht: ich bin nicht im geringsten beleidigt, wenn Sie Bedenken haben, mir zu helfen und beizustehen.“

      „Bedenken? I wo“, rief der Katzenfuttermann, öffnete das Fenster und spuckte kräftig in die Nacht hinaus. „Natürlich helfe ich Sie, Doktor. Dieser alte Brummbär Higgins hat kein Recht nich, die Robbe gefangen zu halten. Sie ist ein freies Geschöpf der Meere. Daß er vierhundert Schillinge für sie bezahlt hat, geschieht ihm nur recht. Was Sie sagen, stimmt, Doktor. Machen wir nich sozusagen die ganze Zirkussache zusammen? Habe ich Ihnen nich gesagt, daß ich abenteuerlich gesinnt bin? Gott bewahr mich! Ich habe schlimmre Dinger gedreht, als einer Zirkusrobbe zur Flucht zu verhelfen. Habe ich Sie eigentlich erzählt, warum ich im Cardiffer Zuchthaus gesessen habe? Wissen Sie weshalb?“

      „Nein, keine Ahnung“, sagte der Doktor, „sicherlich wegen irgendeines kleinen Vergehens. Wir wollen jetzt —“

      „Es war kein kleines Vergehen“, sagte Matthäus, „ich —“

      „Ach kümmern Sie sich jetzt nicht darum“, sagte Johann Dolittle schnell. „Wir machen alle mal einen kleinen Fehler.“

      „Es ist auch kein kleiner Fehler gewesen“, murmelte Matthäus, aber der Doktor fuhr schnell fort: „Wenn Sie ganz sicher wissen, daß Sie diese Sache nicht bereuen werden, wollen wir uns alle Mittel und Wege überlegen. Um Blossoms Verdacht zu vermeiden, wäre es sicher das beste, den Zirkus für einige Tage zu verlassen. Ich werde sagen, ich müsse aus geschäftlichen Gründen fort, was ja auch wahr ist, selbst wenn ich keine Geschäfte zu erledigen habe. Aber es sähe allzu verdächtig aus, wenn Sophie und ich in derselben Nacht verschwänden. Ich gehe also zuerst, und Sie bleiben hier und leiten inzwischen unsern Stand.


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