Sprung in die Hölle. Will Berthold
Will Berthold
Sprung in die Hölle
SAGA Egmont
Sprung in die Hölle
Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
Copyright © 2018 by Will Berthold Nachlass,
represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de).
Originally published 1987 by Engel Verlag, Germany.
All rights reserved
ISBN: 9788711727201
1. Ebook-Auflage, 2018
Format: EPUB 2.0
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Sprung in die Hölle
Im ersten Schatten des Abends sehen die dreimotorigen Flugzeuge aus wie Schwärme dunkler Aasgeier, die mit gebrochenen Schwingen auf ihren Opfern hocken. Pfiffe schallen über den verstaubten E-Flughafen Megara in der Nähe von Athen.
Es ist der 19. Mai 1941 nach 21 Uhr.
In mäßiger Eile quellen die Männer der dritten Kompanie des II. Fallschirmjägerbataillons aus den Zelten. An ihren roten Halstüchern erkennt man sie als Grüne Teufel. Mäßig ausgerichtet treten sie am Appellplatz in Linie zu drei Gliedern an.
»Wir werden morgen früh auf Kreta abgesetzt«, gibt Oberleutnant Karsten den Einsatzbefehl. »Wir springen in ein englisches Zeltlager neben dem Flugplatz bei Malemes. Herrschaften, ich erwarte, daß ihr ausgeschlafen seid.« Der Kompaniechef verzieht das Gesicht. Der drahtige Offizier radiert das Lächeln gleich wieder aus seinem Gesicht: »Wenn wir diesen Flugplatz bis Mittag nicht genommen haben, sind wir im Eimer.« Sein Blick geht über die Front seiner Leute. »Wer soll das schaffen – außer uns.«
Die Kompanie brüllt Zustimmung. Die Männer stehen nebeneinander, hundertfünfzig braungebrannte, sehnige Burschen. Die wenigsten von ihnen wissen, wo Kreta liegt, ob es eine Stadt ist, eine Insel oder ein Land, und manche hätten Kreta vor zehn Minuten noch für eine Frau gehalten.
Die Kompanie tritt weg.
»Na, endlich«, sagt der Gefreite Panetzky mit der Nickelbrille.
Lärmend stimmen ihm die anderen zu. Endlich ist das blödsinnige Herumlungern auf dem durchglühten Feldflughafen vorbei. Schluß mit dem verdammten tintigen Rotwein, in dem sich Panetzky die Füße wäscht, finito auch die schäbigen Erlebnisse in der Athener Vorstadtkaschemme mit den zehn malerisch drapierten Mädchen.
Und dann gibt’s Schnaps. Drei Flaschen pro Gruppe. Gleichzeitig erläßt der Spieß ein Trinkverbot, das er selbst nicht ernst nimmt. Bernhard Ramcke, der es vom Schiffsjungen zum Fallschirmjägergeneral bringen wird, gab ihnen die Devise: »Ihr dürft alles – nur euch nicht erwischen lassen.«
Im rötlichen Glanz der sinkenden Abendsonne läuft die Kompanie auseinander, vorbei an Flugzeugen, an denen das Bodenpersonal schuftet. Behälter mit Waffen, Munition und Proviant werden angeschleppt.
Es ist nicht mehr ganz so heiß, aber noch immer scheuern die Uniformen auf den schweißnassen Körpern. Man hat versäumt, den Grünen Teufeln leichte Tropensachen zu verpassen. Sie werden morgen mit derselben Ausrüstung über Kreta abspringen wie im Vorjahr über Narvik.
Panetzky und Schöller erreichen gleichzeitig das Zelt. Sie knallen die Kochgeschirre mit dem Schnaps auf den Tisch aus Kistenbrettern, Schmidtchen ist damit beschäftigt, Aktfotos mit großer Sorgfalt von der Zeltwand abzumontieren.
»Willst du sie mitnehmen?« fragt Panetzky.
»Worauf du dich verlassen kannst, Kumpel«, antwortet der beste Jäger der Gruppe.
Wolfgang Stahl, als Abiturient mit dem Spitznamen Professor versehen, kniet am Boden und werkelt an seinem Fallschirm.
»Was machst du denn da?« fragt Panetzky lachend.
»Sicher ist sicher«, brummelt der Professor und wird rot. Morgen ist sein erster Einsatz.
»Der Herr Professor haben Schiß, was?« fragt Panetzky mit tückischer Sanftheit.
Paschen erhebt sich langsam, richtet sich auf zu einer imponierenden Länge. »Halt’s Maul!« sagt der Mecklenburger gedehnt. Seine langen Flossen pendeln. »Ich hab’ jedesmal Schiß, daß dieses Scheißding nicht aufgeht. Aber wenn du meinst, daß ich keinen Mumm hab’…«
Die Jäger richten den Brotbeutel, Pistolen, Magazine, Feldflaschen und Spaten zu säuberlichen Haufen zusammen. Erst dann gehen sie an den Schnaps. Er läuft ihnen durch die Gurgel wie der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein.
Sie geben auch dem staksigen Mennler etwas ab, obwohl ihm gar nichts zusteht, da von jeder Kompanie dreißig Mann wegen Platzmangels in der Maschine Zurückbleiben müssen. Der Gefreite hockt herum wie ein Trauerkloß; zwar hat der Kompaniechef einfach bestimmt, wer mit in den Einsatz geht, aber Mennler empfindet es als Schimpf, am Sprung in die Hölle nicht teilnehmen zu können.
Fallschirmjäger haben ihre besondere Moral, ihren eigenen Ehrenkodex. Sie kämpfen weniger, wie es in den Nachrufen heißt, »für Führer, Volk und Vaterland« als für das bunte Halstuch, das sie verbotswidrig tragen, und für die Privilegien, die sie sich anmaßen.
Mennler, zum Beispiel, hat sich in einem Athener Kabuff mit ein paar Gebirgsjägern angelegt, die sich an seine blonde Mazedonierin heranmachen wollten. Es gab eine handfeste Schlägerei, und der Gefreite zog den kürzeren, aber ein deutscher Parachutiste gibt nicht auf, vor allem nicht bei einer Balgerei mit Männern von einem anderen Haufen. Mennler zündete eine Nebelkerze und zog Leine. Am nächsten Tag wurde nach dem Täter gesucht. Alle wußten um seine Heldentat, aber keiner verpfiff den Gefreiten. Die ganze Kompanie erhielt dafür Ausgehverbot, aber darum scheren sich die Grünen Teufel ohnedies wenig. Wenn sie Lust haben abzuhauen, gehen sie weg. Hauptsache, sie sind beim Wecken wieder da.
»Nu schneid kein solches Gesicht, oller Nebelkerzenwerfer«, tröstet ihn Panetzky.
»Halt’s Maul«, kontert Mennler.
»Laß ihn in Ruhe«, sagt Paschen. »Aus einem traurigen Arsch kommt nie ein fröhlicher Furz.«
Der Gefreite will dem Mecklenburger an die Gurgel fahren, aber die anderen treten dazwischen und raten dem aufgebrachten Mennler, zum Alten zu gehen, um doch noch zum Einsatz eingeteilt zu werden.
Der Flugplatz kommt nicht zur Ruhe. Benzinfässer werden über die Startbahn gerollt, Kommandos schwirren durcheinander. Irgendwo plärrt ein Kofferradio: »J’attendrai – le jour et la nuit – j’attendrai toujours.«
Oberleutnant Karsten und Leutnant Petri sitzen vor ihrem Zelt. Mechanisch sehen sie immer wieder auf die Armbanduhr. Mennler pirscht sich seitlich an die Offiziere heran, baut sich auf und grüßt: »Bitte Herrn Oberleutnant sprechen zu dürfen.«
»Was gibt’s denn, Mennler?«
»Bin morgen nicht zum Einsatz eingeteilt«, sagt der Junge und schluckt. »Ich kann das nicht auf mir sitzen lassen, Herr Oberleutnant. Ich will mit.«
»Tut mir leid.« Der Kompaniechef zuckt die Schultern. »Mensch, sind Sie doch froh«, tröstet ihn Leutnant Petri. »Sie würden sich ja doch bloß den Fuß verstauchen.«
Der Gefreite dreht sich um. Unmilitärisch. Wie in der Mädchenschule. Tränen schießen ihm über das Gesicht. Er will sie verbergen, aber da wird es bloß noch schlimmer.
»Scheußlich ist das«, sagt