Sprung in die Hölle. Will Berthold

Sprung in die Hölle - Will Berthold


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komme!« brüllt Panetzky. Er ist am Baum, springt hoch, das Kappmesser in der Hand. Zwei-, dreimal versucht er es. Dann gibt er die Deckung auf. Zweige peitschen ihm ins Gesicht. Er säbelt an den Gurten. Links und rechts zischen die feindlichen Geschosse vorbei. Endlich fällt der Professor wie ein Sack zu Boden.

      Panetzky zieht ihn hinter den nächsten Stamm. Seine Wahnsinnstat reißt die ganze Gruppe mit. Karsten springt auf, schleudert Handgranate auf Handgranate. Er legt zwischen die beiden und den Feind eine Wand aus Granaten und Feuer.

      Panetzky beugt sich über Stahl.

      »Willi«, flüstert der Professor.

      Panetzky schluckt; in der nächsten Sekunde durchsiebt eine MG-Garbe seinen linken Oberschenkel.

      Es ist der 20. Mai, vormittags neun Uhr. Zu dieser Stunde stehen die Fallschirmjäger, aufgeteilt in drei Sturmgruppen, im Kampf gegen eine hoffnungslose Übermacht. Auf der 30 Kilometer breiten Insel soll die Gruppe West – zu ihr gehören Oberleutnant Karsten und seine Männer – den Flugplatz Malemes und die Höhe 107 nehmen. Die Gruppe Mitte ist auf die Hauptstadt Chanea, die Sudabucht und den Flugplatz Rethymnon angesetzt, und die Gruppe Ost hat den Befehl, den Flughafen Heraklion im Sprung zu erobern.

      Die fünftgrößte Insel des Mittelmeeres wird zur Hölle. Die eingezeichneten Flakstellungen entpuppen sich als Holzattrappen, dafür landen die Springer inmitten gutgetarnter Stellungen der in hektischen Vorbereitungen zur Festung ausgebauten Insel. Überall springen die Männer aus niedrigster Höhe. Mörderisches Abwehrfeuer empfängt sie. Viele fallen, bevor sie die Erde erreichen. Ganze Kompanien werden falsch abgesetzt. Freund und Feind verkeilen sich am Boden in Nahkämpfen.

      Während sie sich in die Erde krallen, fliegen die Jus – dank der Luftüberlegenheit gingen nur sieben Maschinen verloren – nach Athen zurück, um die zweite Welle heranzuschaffen. General Student ist noch immer in Athen. Er hat keine Funkverbindung zu seinen Männern, die in der Falle sitzen. Noch immer weiß er nicht, daß er die Lage viel zu optimistisch eingeschätzt hat.

      »In dichten Gruppen wurden die Springer über ihren Angriffszielen abgesetzt«, schreibt W. Haupt. »Sie sprangen an vielen Stellen mitten hinein in den abwehrbereiten Feind, der den Finger am Abzug hatte. Das hatte niemand erwartet. Viele Fallschirmjäger wurden bereits beim Niederschweben vom feindlichen Abwehrfeuer erfaßt und kamen auf der Erde tot oder verwundet an. In dem unübersichtlichen und meist dichtbewachsenen Gelände war es äußerst schwierig, die Waffenbehälter zu finden. Viele Behälter landeten in den Stellungen des Feindes, dem sie ein willkommener Zuwachs seiner Kampfmittel waren. An anderen Stellen wiederum verhinderten die Empire-Truppen durch konzentriertes Abwehrfeuer ein Bergen der Waffenbehälter, wenigstens bei Tage.

      Das III. Bataillon des Sturmregiments wurde schon während des Niederschwebens und der Landung von schwerem Abwehrfeuer getroffen. Das Bataillon, dessen Kompanien zudem weit verstreut abgesetzt wurden, erlitt hohe Verluste und war nicht mehr angriffsfähig…«

      Während Hitler auf die Schlacht um England konzentriert war, hatte dem Balkan, von jeher Europas Pulverfaß, die Explosion gedroht. Stalin nutzte Hitlers Kraftanstrengung im Westen, um seine Raubpolitik voranzutreiben. Das Baltikum war von ihm kassiert worden. Am 26. Juni 1940 hatte er an Rumänien ein Ultimatum gestellt, Bessarabien und die Bukowina an die Sowjetunion abzutreten. Hitler, der ohne Rumänien die deutsche Kriegsmaschinerie nicht ölen konnte – bei Kriegsbeginn hatte Großdeutschland über eine Reserve von 2,5 Millionen Tonnen Benzin verfügt, die synthetische Produktion ergab weitere 3,5 Millionen Tonnen, aber bereits im ersten Kriegsjahr benötigten Panzer, Flugzeuge und die übrigen Wehrmachtsfahrzeuge 11,5 Millionen –, fürchtete den Ausbruch eines sowjetisch-rumänischen Krieges und gab Bukarest den Rat, der Erpressung nachzugeben, um nicht vom Ölhahn abgeklemmt zu werden.

      Der billige Landerwerb der Russen machte nunmehr den Ungarn und Bulgaren Appetit auf rumänisches Gebiet. Der Konflikt drohte zum Waffengang zu werden; eine willkommene Gelegenheit für Rußland, sich das ganze Petroleumland einzuverleiben und dadurch Hitler wirtschaftlich in die Hände zu bekommen.

      Die Achsenmächte schafften am 30. August 1940 – unter dem Eindruck der an der Grenze aufmarschierten sowjetischen Divisionen – durch den sogenannten zweiten Wiener Schiedsspruch gewaltsamen Frieden, gegen den wiederum Moskau protestierte. Zu den »Brandenburgern« und den »Lehrtrupps«, die sich bereits in Rumänien aufhielten, kamen noch getarnte SS-Verbände, die General Ion Antonescu, dem Chef der profaschistischen »Eisernen Garde«, bei der Machtergreifung behilflich waren.

      Das widernatürliche Bündnis zwischen der Sowjetunion und Großdeutschland zeigte bald nach Hitlers noch geheimem Entschluß, die UdSSR zu überfallen, die ersten Risse. Trotzdem erklärte sich Stalin am 25. November 1940 bereit, dem Dreimächtepakt Deutschland-Italien-Japan beizutreten, falls die neuen Partner seine Landnahmen billigten. Moskaus treuherzige Brutalität brachte nichts, denn Hitler hielt sein rotes Pendant hin und arbeitete bereits am »Fall Barbarossa«.

      Die Lage auf dem Balkan war halb stabilisiert. Nicht die Russen, sondern Benito Mussolini, Hitlers Nachahmer, warf die Funken in das Pulverfaß. Er war eifersüchtig auf die militärischen Erfolge seines Achsenpartners und verärgert, weil er von Hitlers einsamen Entscheidungen niemals vorher in Kenntnis gesetzt worden war.

      Jetzt wollte Mussolini auf dem Balkan Beute machen.

      Obwohl der deutsche Diktator jede nachrichtendienstliche Tätigkeit in Italien untersagt hatte, bekam er Wind vom Tatendrang des Duce und verabredete sich schleunigst mit ihm in Italien. Als er in Florenz aus dem Zug stieg, wurde er von einem gleichziehenden Verbündeten empfangen. »Führer, wir marschieren!« begrüßte Mussolini seinen Gast. »Heute früh im Morgengrauen haben die siegreichen italienischen Truppen die albanisch-griechische Grenze überschritten.«

      Sie kamen nicht weit. Schon bei Hitlers Rückkehr nach Deutschland wurden die Rückschläge offenkundig. Schlimmer aber war, daß die englische Nahostarmee von Ägypten aus den bedrängten Griechen zu Hilfe kam, und das bedeutete: Krieg auf dem Balkan. Es drohte die Gefahr, daß die griechisch-englischen Truppen vom Süden her die traditionell deutsch-freundlichen Bulgaren angreifen und dann nach Rumäniens Schwarzem Gold greifen würden.

      Mitte Februar hatte Hitler in Rumänien eine Armee von 680000 Mann zusammengezogen. Am 28. überschritt sie die Donau und besetzte strategische Punkte in Bulgarien, das dem Dreimächtepakt »beitrat«.

      Die Jugoslawen, unter Druck gesetzt, folgten zögernd diesem Beispiel. Es kam, bevor Hitler noch Griechenland angreifen konnte, zu einem Aufruhr der Bevölkerung und einem Regierungssturz. Der deutsche Gesandte in Belgrad wurde von Aufgebrachten angegriffen und bespuckt. Hitler bekam einen seiner berüchtigten Wutanfälle und beauftragte Göring, Belgrad in rollenden Angriffen zu zerstören.

      Um seine Strafexpedition vornehmen zu können und die Engländer aus Griechenland hinauszuwerfen, verschob er die Operation »Barbarossa« zunächst um vier Wochen.

      »Diese Verzögerung des Angriffs auf Rußland«, konstatiert William L. Shirer, »war wohl die verhängnisvollste Einzelentscheidung in Hitlers Laufbahn. Es ist kaum übertrieben, wenn man feststellt, er habe damit seine letzte Chance vertan, den Krieg zu gewinnen.«

      Noch im gleichen Jahr werden Hitler die Generale vorrechnen, daß sie diese vier Wochen um den Sieg in Rußland vor Wintereinbruch gebracht hätten.

      Blitzkrieg auf dem Balkan. Er lief wie immer. Oder noch schneller. Am 6. April rollten – ohne Kriegserklärung – deutsche Panzer von Bulgarien und Ungarn aus gegen Jugoslawien und Griechenland. Gleichzeitig wurde Belgrad von Kampfflugzeugen angegriffen und in eine Trümmerwüste verwandelt; drei Tage und Nächte kreisten sie über der gequälten Stadt, die keine Luftabwehr besaß und Hitlers Unmenschlichkeit mit 17000 Toten bezahlte.

      Am 7. April war schon der Verkehrsknotenpunkt Skopje erreicht. Am 12. standen die Kampfwagen mit dem Balkenkreuz bereits vor Belgrad. Der Fall der Hauptstadt gab das Signal zum Auseinanderfallen des Vielvölkerstaates; die alten Gegensätze zwischen Serben, Kroaten und Slowenen brachen auf wie ein Geschwür. Kroatische Truppen meuterten; ganze Einheiten liefen geschlossen zum Gegner über. Am 15. April erreichten die Panzerspitzen Sarajewo; einen Tag später


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