Perry Rhodan Neo 240: Das neue Plophos. Oliver Plaschka

Perry Rhodan Neo 240: Das neue Plophos - Oliver Plaschka


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für die Klimaanlage, dann ging sie zu einem der trüben Fenster und stemmte es auf. Eine Wolke Staub wirbelte ihr entgegen, dann strömte die kalte, feuchte Luft von New Taylor herein. Aus den Straßen waren Motorenlärm und Rufe zu hören. Gleich mehrere Sirenen erschallten aus verschiedenen Richtungen der Stadt, klagende Untiere, die ihre Reviere absteckten.

      Es gab viel zu tun. Sie mussten herausfinden, was passiert war. Wie es den Menschen ging. Mussten helfen ...

      »Katharsia!«, rief eine vertraute Stimme vom anderen Ende der Halle.

      Sie sah Ambolition auf einem Deckenlager unter der Theke, auf der normalerweise Essen ausgegeben wurde. Er versuchte, sich aufzurichten, kämpfte aber noch um sein Gleichgewicht. Sie lief zu ihm und zog ihn auf die Beine.

      »Wie geht es dir?«, fragte sie.

      »Schlechte Träume. Und mir tut noch alles weh. Aber wird schon wieder!« Er massierte sich Nacken und Schultern.

      Sie sah die starken Muskeln unter seiner Patina. Wie viele männliche Strigoiden, die von dem Nanofilm vor Umwelteinflüssen geschützt wurden, verzichtete er auf Oberbekleidung. Eine Gewohnheit, die auf Katharsia, die ihren Hautschutzfilm erst seit wenigen Monaten trug, immer noch ein wenig chauvinistisch wirkte. Jene Strigoiden, für die ihre Patina mehr als Notwendigkeit oder Mode war, betonten hingegen gern, dass sie sich frei von ihren terranischen Wurzeln und überholten Moralvorstellungen machen wollten.

      Nach Ansicht dieser Nationalisten waren Plophoser mit ihren reflektierenden Katzenaugen, ihrer lichtempfindlichen Haut und all ihren Stärken und Schwächen keine Menschen im herkömmlichen Sinne mehr. Sie hielten sich für als mehr als das bloße Resultat genetischer Eingriffe – für sie stellten die Umweltangepassten den nächsten Schritt der menschlichen Evolution dar.

      Für Katharsia war das etwas zu viel Pathos. Sie erinnerte sich noch gut an ihr Leben vor der Anpassung, und obgleich sie damals nicht immer glücklicher gewesen war – im Gegenteil –, waren genetische Merkmale nichts, auf das es sich lohnte, stolz zu sein. Das hatte die menschliche Geschichte oft genug bewiesen.

      Sie warf einen nervösen Blick auf den Nachrichtenmonitor ihres Multifunktionsarmbands, der ebenfalls nach langer Stille zum Leben erwacht war. Warnhinweise, Unfallberichte und Hilferufe fluteten ihr Kom.

      »Da draußen herrscht ein ziemliches Chaos. Wir müssen helfen. Bist du bereit?«

      Die Müdigkeit wich aus Ambolitions Gesicht. Männer wie ihn konnte man leicht bei der Ehre packen. Mit geschwellter Brust sah er sich um wie ein General, der seine Niederlage als Erfolg verkaufen will. »Als Erstes wecken wir alle und räumen hier auf«, sagte er mit Blick auf die behelfsmäßigen Lager und den Schmutz in den Ecken. »Dann öffnen wir unsere Türen. Capra lässt New Taylor nicht im Stich!«

      Capra, natürlich. Bei Ambolition drehte sich alles immer nur um die Marke. Capra, das lateinische Wort für Ziege, im Gegensatz zu Capella, der Verkleinerungsform, nach der ihr Sternsystem ja benannt war. Als vor mehreren Tausend Jahren erstmals Hirten auf der Erde den hellen Punkt an ihrem Nachthimmel nach einer Ziege benannt hatten, war ihnen freilich noch nicht klar gewesen, dass dieser Stern alles andere als klein war und in Wahrheit sogar aus vier Sternen bestand. Sie hatten ihn einfach in ihr Weltbild integriert.

      Plophoser wie Ambolition dagegen waren der festen Überzeugung, dass sie die Kinderstube verlassen mussten. Die Jahre der Unselbstständigkeit waren vorbei. Das Zicklein war erwachsen geworden.

      Also hatten sich er und ein paar Freunde von der Universität zusammengefunden und ihre Bewegung gegründet. Zunächst anonym im Mesh, dem Kommunikations- und Datennetz der Solaren Union, – aus dieser Zeit stammten auch ihre Aliasnamen –, dann in Person. Mitte der 2080er-Jahre war das gewesen. Der Name »Capra« und ein Logo – mit einer besonders bockig aussehenden Ziege, was sonst – hatten sich rasch gefunden. Sie nähten es auf ihre Kleidung und sprühten es auf Fahrzeuge und Hauswände.

      Der Rest hatte länger gebraucht. Irgendwann hatte Katharsia auf den Tisch geschlagen, den Streit unterbrochen und gesagt, wenn sie den Menschen ernsthaft helfen wollten, sollten sie erst mal die Armut bekämpfen, die in New Taylor verglichen mit Trade City oder gar Terrania ein unerträgliches Ausmaß anzunehmen drohte. Sie hatten diese alte Lagerhalle angemietet und einen Ein-Dollar-Shop darin eröffnet, dazu ein Café und eine Leseecke, in der sie ihr Infomaterial verteilten.

      Wie sich rasch zeigte, hatten sie den Ernst der Lage sogar noch unterschätzt, denn es kam praktisch niemand zum Lesen oder zum Einkaufen. Das Café dagegen lief gut, zumindest die kostenlosen Angebote, und schließlich sahen die Studierenden ein, dass sie kein Kulturzentrum oder Ähnliches führten – sondern eine Armenküche.

      Schon damals waren die Zustände auf Plophos erbärmlich gewesen. Mochte man auf der Erde gern so tun, als wären nur die Besten der Besten für das Leben in den Kolonien bereit, gab es in Wahrheit viele Gründe, alles hinter sich zu lassen. Und nicht jede Biografie fand in der Fremde den Erfolg, der ihr auf der Erde verwehrt geblieben war. Die Kolonisten waren Pioniere – aber das hieß nicht, dass Plophos sie reich, respektiert oder glücklich gemacht hätte. Das Elend war auf diesem Planeten genauso zu Hause wie anderswo, mehr noch vielleicht.

      Dann war Hondro gekommen und hatte Plophos vom Rest der Solaren Union isoliert. Er hatte die Kontrollstation des Sonnentransmitters sabotiert und erst wieder Kontakt zu den interstellaren Handelswegen gestattet, nachdem die Kolonie schon fest unter seiner Kontrolle war.

      Dazu brauchte er keine korrupten Beamten und keine geheimen Sicherheitskräfte, obwohl er beides durchaus zur Genüge besaß. Er konnte seinen Willen einfach jedem Mann und jeder Frau aufzwingen, die ihm im Weg standen – mittels einer Art Mutantengabe, die irgendwie mit dem Dunkelleben in Zusammenhang stand, das viele Plophoser mehr oder weniger stark infiziert hatte. Manchmal konnte man es sogar sehen, als schattenhafte Erscheinung, die stark Betroffene umwehte wie Rauch, oder als ölige Schlieren in ihren Augen. Und im Zentrum dieser dunklen Mächte saß Hondro wie die Spinne im Netz.

      Nach und nach beseitigte er alle Politiker, Wirtschaftsvertreter und Prominente, die ihn nicht unterstützten. Manche unterwarf er, manche ersetzte er durch Getreue, manche brachte er schlichtweg um. Als einfacher Plophoser konnte man nur hoffen, dem Diktator nicht aufzufallen, und sich mit dem neuen System arrangieren. Doch mit jedem Monat, der verging, rutschte Plophos tiefer ins Elend.

      Katharsia wusste nicht, wie es ihnen so lange gelungen war, ihre Arbeit fortzusetzen. Vielleicht waren sie schlicht zu kleine Fische, uninteressant für einen Despoten. Vielleicht, dachte sie manchmal, kamen sie Hondro ja sogar gelegen: ein Haufen junger Männer und Frauen, die ohne Lohn die ärgsten Auswirkungen seines Protektionismus zu mildern versuchten und seiner Botschaft eines plophosischen Sonderwegs nicht mal unbedingt abgeneigt waren. Mutmaßungen, die Ambolition stets weit von sich wies. Capra war für ihn das Wichtigste in seinem Leben und seine Motive über jeden Zweifel erhaben.

      Katharsia für ihren Teil glaubte, dass es so etwas wie positiven Patriotismus einfach nicht gab: Die Überhöhung des Eigenen führte immer zur Herabsetzung des Anderen. Woran sie glaubte, war das Gebot, ihren Mitmenschen zu helfen. Und das duldete keinen weiteren Aufschub.

      »Alle anpacken!«, dirigierte sie das knappe Dutzend müder Gestalten, die sich von ihren Lagern aufrafften. »Schafft den Schmutz raus! Öffnet die Fenster! Ihr da, macht Kaffee und Essen! Der Rest von uns sieht nach, wer dort draußen am dringendsten unsere Hilfe braucht.«

      Gemeinsam mit Ambolition und ein paar Freunden trat Katharsia hinaus in den trüben Morgen von New Taylor. Die vier Sonnen verbargen sich hinter Wolken wie blasse Lampions, und ein leichter Nieselregen ging auf den Asphalt nieder. Die Straßen sahen aus wie nach einer Flutkatastrophe. Allerorten hatten die Menschen ihre Häuser verlassen, um nach Angehörigen zu suchen, Schutt und Abfall wegzuräumen oder einfach nur mit großen Augen darüber zu staunen, dass sie den Albtraum überstanden hatten.

      Ambolition half, einen eingeklemmten Mann aus seinem verunglückten Wagen zu befreien, während Katharsia mit den anderen Wasserflaschen und Energieriegel verteilte. Sie würden auch Decken und Medikamente brauchen. Die Leute hatten teils tagelang nichts mehr gegessen und auf der Straße geschlafen; von Einsatzkräften und Krankenwagen fehlte noch immer


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