Hanussen - Hellseher und Scharlatan. Will Berthold
was sich sehen lassen kann. Der Magier sagt nicht, daß es sich bei seiner Assistentin um ein Duplikat handelt. Als sein erstes Medium nach Spanien durchgebrannt war, hat er sich unverzüglich die frühere Zirkusreiterin zugelegt und die neue Assistentin unter dem alten Namen auf »Martha Farra« zurechtgetrimmt.
Hanussen arbeitet mit großem Aufwand, mit Sekretären, Managern, Zufallsinformanten, bezahlten Zuträgern und Zutreibern, mit willfährigen Nassauern. Dr. Swoboda weiß, daß sich damit allein die sensationellen Erfolge nicht erklären lassen: Aber mit was sonst?
Hanussen hebt die Stimme: »Es ist ein großes Wagnis, das ich eingehen werde. Ich will versuchen, mit Hilfe von Hypnose ein blutiges Verbrechen aufzuklären, bei dessen Ermittlungen die Polizei nicht weitergekommen ist. Wie gesagt, ein Experiment. Ich appelliere von vornherein an Ihre Toleranz, wenn es mißlingen sollte. Sicherlich verfüge ich über gewisse hellseherische Fähigkeiten, aber ich bin nicht allwissend. Auch ich stoße an die Grenzen der Wahrnehmbarkeit, aber im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren, gelingt es mir gar nicht so selten, sie zu durchbrechen.«
Er benutzt die Umständlichkeit nur, um die Spannung zu steigern. Er drillt sein Publikum wie einen Fisch an der Angel, reißt es mit, zwingt es in seinen Bann. Hanussen spricht mit geschulter Stimme; er ist ein ausgezeichneter Redner. Wäre er kein gefeierter Magier, könnte er einen überzeugenden Politiker abgeben – und falls er falschspielt, stünde er in diesem zweiten Beruf auch nicht ganz im Abseits.
»Ich spreche vom Mord am Gänsemarkt«, sagt Hanussen in die gequälte Stille. Er verbeugt sich. »Ich bitte Sie jetzt um äußerste Ruhe und Aufmerksamkeit.«
Der Hypnotiseur tritt an Martha Farra II heran, beugt sich über sie, redet leise auf sie ein.
Gebannt verfolgen die Zuschauer den Vorgang auf der Bühne, und der Staatsanwalt, der sich nur dienstlich im Kursaal aufhält, wird von der Erregung genauso überflutet wie alle anderen.
Hanussen setzt zu einem dreifachen Salto mortale an, ohne Angst und ohne Netz.
2
Auf den ersten Blick würde keiner dem Mann ansehen, daß er Kriminalkommissar ist. Der korpulente Molitor mit den Löckchen um die Stirnglatze gleicht eher einem gemütvollen Buchhalter, aber das ändert nichts daran, daß er in seinem Fach tüchtig ist und als rechte Hand des Staatsanwalts Dr. Swoboda wirkt, wendig wie ein Tanzbär.
Molitor ist nicht nur ein erfahrener Kriminalist; er kann auch, wenn ihm Dienstvorschriften im Weg stehen, ausgesprochen pfiffig handeln. Amtshilfe aus Österreich, die sich die Polizei im Fall Hanussen erbittet, geht nur über den Dienstweg Prag–Wien, und dabei kommt meistens wenig heraus. Die tschechoslowakische Republik gehörte früher zur K. u. k.-Donaumonarchie und ist als künstlicher Vielvölkerstaat nach dem Krieg entstanden. Wien und Prag sind nicht gut aufeinander zu sprechen, und im Fall des Erik-Jan Hanussen, den die ČSSR-Zeitungen als Opfer rot-weißroter Willkür zum tschechischen Patrioten hochstilisierten, schon gar nicht.
Aber der tüchtige Molitor weiß sich zu helfen. Die Schwester eines Wiener Kriminalinspektors namens Watzlawek ist mit einem tschechischen Arzt verheiratet, und ihr Bruder besucht sie privat in Teplitz-Schönau. Der Kriminalkommissar kennt die Arztfrau gut genug, um eine Begegnung mit Watzlawek herbeizuführen und den Kollegen aus Wien auf einen Dämmerschoppen in eine urige Kneipe einzuladen, um, außerhalb des Instanzenwegs, mit ihm zu fachsimpeln. »Natürlich hab’ ich diese Hanussen-Plakate gesehen«, sagt der Wiener Beamte nach kurzem Zögern, »sind ja auch grell genug, um gleich ins Auge zu springen. Ehrlich gesagt, ich bin nicht traurig, daß sich dieser Schlawiner bei Ihnen herumtreibt und nicht bei uns, Kollege Molitor.«
»Sie haben dienstlich mit Hanussen zu tun gehabt?«
»Und ob«, entgegnet der Gast aus Wien. »Der Gauner hat uns genug zu schaffen gemacht.« Er bricht ab und setzt erschrocken hinzu: »Aber darüber kann ich leider mit Ihnen nicht sprechen. Beim besten Willen nicht. Das ist ein strenges Amtsgeheimnis.«
Der tschechische Kollege nickt voller Verständnis und schiebt das Thema Hanussen beiseite. Vorläufig wenigstens, denn nach einer Weile kommt er wie von selbst wieder auf den Magier zu sprechen: »Dieser Hanussen heißt doch eigentlich Steinschneider?«
»Hermann Steinschneider«, bestätigt Watzlawek. »Geboren in Wien, Sohn eines billigen Schmierenkomödianten, der auch als Gelegenheitsarbeiter und mitunter sogar als Synagogenschames gearbeitet hat.« Der Semmelblonde mit dem Milchgesicht lacht trocken. »Gerade wegen seiner jüdischen Abstammung tritt er häufig als heißlaufender Antisemit auf.«
»Schlimm«, entgegnet Molitor, »aber doch kein Tatbestand –«
»Typisch für diesen krummen Hund«, poltert Watzlawek: »Und Tatbestände gäbe es genug, nur – Sie kennen ja das alte Dilemma, Herr Kollege, mit der Beweisnot …«
Er hat sich in Zorn geredet, und das Bier lockert ihm die Zunge. Er spricht ein gezwungenes Schriftdeutsch, fällt aber immer wieder in den Wiener Dialekt zurück.
Molitor bestellt eine neue Runde. Dann holt er aus der Brusttasche ein kleines Thermometer hervor und prüft mißtrauisch die Temperatur des Gerstensafts. Viele Tschechen tun das; sie verstehen etwas vom Bier, ob es nun aus Pilsen oder aus Budweis kommt. Das Hopfenprodukt war auch schon zu K. u. k.-Zeiten ihr Nationalgetränk, und daß es hervorragend mundet, schmeckt auch der Gast von der schönen blauen Donau.
»Der Kerl, der sich Hanussen nennt, ist ein aalglattes, durchtriebenes Schlitzohr, das es faustdick hinter den Ohren hat. Der Bursche gehört längst hinter Schloß und Riegel«, schnaubt der Semmelblonde. »Jahrelang hat er mit uns Schindluder getrieben.«
»Dann verstehe ich nur nicht, warum uns Wien keine Amtshilfe leistet.«
»Des waas i a net«, erwidert der Beamte. »Wissen S’, Herr Kollega, i bin ja nur a Klaaner, a ganz Klaaner bei der Polizeidirektion.« Watzlawek verzieht das Gesicht in plötzlicher Schadenfreude: »Vielleicht, weil eure Zeitungen so viel dummes Zeug über den Gauner schreiben. Sie wissen doch, daß Hanussen kein echter Tscheche ist, so wie er Ihre Sprache spricht. Er ist auch kein Vorkämpfer für Ihre Republik – wirklich nicht. Seine Heimat ist das Geld, und sonst gar nichts …«
»… und das scheffelt er, das kann ich Ihnen sagen«, stichelt Molitor.
»Ich hab’ ihn schon kenneng’lernt, wie er aus dem Krieg zurückgekommen ist. Da war er bei der Truppenbetreuung als eine Art Zauberkünstler und wollte im Zivilleben mit dem Abrakadabra weitermachen. Damals hat’s in Wien nur so gewimmelt vor Kartenschlägern, Astrologen, Wahrsagern, Sterndeutern und Handlesern. Hanussen war einer von vielen, einer unter ›Fernerliefen‹, und die Polizei hat sie nach dem Schema leben und leben lassen behandelt.«
»Bis zur Sache mit der Nationalbank«, erwidert Molitor.
»Das wissen Sie?« fragt der Weizenblonde mit schmalen Augen.
»Aus dem Archiv – Zeitungsberichte.« Der Tscheche gibt sich betont harmlos.
»Hörst’, i bring mich da um Kopf und Kragen, Kollega«, jammert Watzlawek. »Die Polizeidirektion hat eisern dichtgehalten. Oder redet man bei euch gern über a Blamasch?« »Das bleibt bei mir«, versichert der tschechische Kollege. »Da kommt kein Wort in die Akten. Das versprech’ ich Ihnen. Auf mich können Sie sich verlassen, Watzlawek, fragen S’ ruhig mal Ihre Schwester.«
»Ich glaub’s Ihnen ja«, entgegnet das Milchgesicht, »aber …«Er dreht sich wieder nach den Umsitzenden um. Sie sind gegangen. Und ein wenig wichtig macht sich der Mann aus Wien: »Das war 1919. Die Notendruckerei der Österreichischen Nationalbank hat entsetzt festgestellt, daß nagelneue Tausend-Kronen-Scheine entwendet wurden. Kistenweise, so viele, daß man der Öffentlichkeit die genaue Summe gar nicht mitteilen konnte. Wir, die Polizei, die Kiberer – wie die Leute uns nennen – haben sofort ermittelt, daß als Täter nur Angestellte des Geldinstituts in Frage kamen und haben sie überwacht. Alle. Ausnahmslos. Nichts konnte aus dem Gebäude herausgeschafft werden, was wir nicht kontrolliert hätten.« Watzlawek wischt sich mit dem Handrücken den Bierschaum vom blonden Schnurrbart. »Zuerst waren die Wiener