Im Alten Reich. Ricarda Huch

Im Alten Reich - Ricarda Huch


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war ihr Vorort, Gelnhausen ihr schwächstes Mitglied. Auch Friedberg und Wetzlar haben dem wirtschaftlichen Aufstiege Frankfurts nicht folgen können, dem seine Sterne eine glanzvolle Zukunft bestimmt hatten.

      In der Mitte des 13. Jahrhunderts war Frankfurt noch so wenig bedeutend, daß König Wilhelm es mit Gelnhausen zusammen verpfändete; er nahm aber diese von den Städten gefürchtete und gehaßte Maßregel zurück, indem er zugleich versprach, sie nicht zu wiederholen. Karl IV. indessen, ein schlechter Mehrer des Reichs, bediente sich mit Vorliebe dieses Mittels, um zu Gelde zu kommen, und verpfändete zuerst Gelnhausen und Friedberg an den Grafen Kraft von Hohenlohe und später Goslar und Nordhausen an den Grafen von Schwarzburg. Den letztgenannten Städten gelang es, sich selbst aus der Pfandschaft zu lösen, nicht so Gelnhausen, bei dem sich mit der wirtschaftlichen Schwäche noch das unkluge und allzu bequeme Vertrauen auf das Versprechen der Wiedereinlösung verband.

      Zum Unglück für die Stadt verkaufte der Graf von Schwarzburg das Pfand an den Kurfürsten Ludwig von der Pfalz und den Grafen Reinhard von Hanau, von dem es im Jahre 1736 als Erbschaft an den Landgrafen von Hessen-Kassel fiel. Trotz seiner Ohnmacht hielt Gelnhausen unerschütterlich an seinem Charakter als freie Reichsstadt fest. Als kurz vor Beginn des 30jährigen Krieges der damalige Graf von Hanau sich in die inneren Angelegenheiten Gelnhausens einmischte, beschwerte sich die Stadt beim Kaiser Matthias, der es auch nicht an einem gespreizten Urteil fehlen ließ, in dem er der Pfandherrschaft, die sich nicht daran kehrte, aufgab, sich der Vergewaltigungen zu enthalten und der Stadt den erlittenen Schaden zu vergüten. Nach dem Kriege warf sich Leopold I. noch einmal zum Vertreter des Reichs und Herrn der Reichsgüter auf und schickte einen Kommissar zur Entgegennahme der Huldigung nach Gelnhausen. Die Grafen von Hanau verboten bei 1000 Gulden Strafe, die Huldigung zu leisten, doch verzweifelten die Gelnhauser nicht an ihrer guten Sache, riefen die Entscheidung des Hofgerichts an und huldigten nach erfolgtem günstigen Spruche. Die Reichszugehörigkeit machte sich nur dadurch bemerkbar, daß Gelnhausen aufgefordert wurde, die Reichssteuer zu leisten, welche dem Kurfürsten von Trier zur Unterhaltung der Reichsfestungen Koblenz und Ehrenbreitstein zugewiesen war. Gelnhausen war bereit, sie als Zeichen seiner Freiheit zu zahlen; aber gegen das Militär des Pfandherrn waren die Stadt sowohl wie der Kaiser machtlos.

      Etwa hundert Jahre später unterschrieben eine Anzahl Bürger, nicht alle, eine Urkunde, in der sie versprachen, auf die Fortführung des Prozesses zu verzichten und der Pfandherrschaft den schuldigen Gehorsam zu leisten; aber noch nachdem durch den Reichsdeputationshauptschluß Gelnhausen dem nunmehrigen Kurfürstentum Hessen einverleibt worden war, wagte ein Teil der Bürgerschaft Widerspruch, der durch einrückende hessische Truppen unterdrückt wurde.

      Als Simplizissimus während des Dreißigjährigen Krieges nach Gelnhausen kam, fand er die Tore offen, wie wenn es leer wäre, und wo sie durchlöchert waren, mit Mist verschanzt. Er ging ein paar Steinwürfe in die stille Stadt hinein und begegnete niemandem; nur ein paar Tote lagen auf der Straße, von denen einige nackt waren. Da grauste es ihn und er kehrte um.

      Von der Befestigung sind noch Mauern, Tore und Türme erhalten.

      Der Hexenturm erinnert an die vielen Frauen, die als Hexen in Gelnhausen verbrannt sind. Besonders ein Bürgermeister Koch machte sich durch eifriges Hexenbrennen einen Namen und entsprach damit, wie es scheint, dem Bedürfnis der Bürgerschaft; denn als damit nachgelassen wurde, beschwerten sie sich darüber beim Rat und forderten zu besserer Ausrottung der Zauberer und Hexen auf, die ihnen den Wein, die Baum- und Feldfrüchte verderbten. Die Bewohner von Gelnhausen waren augenscheinlich Bauern, engherzig, abergläubisch, mitleidlos, welches auch sonst ihre Tugenden sein mochten. Der Rat, der willkürlich ohne beisitzende Schöffen richtete, hätte durch scharfe Urteile der Bevölkerung die Empfindlichkeit abgewöhnen können, wenn sie daran gelitten hätte. Im Jahre 1480 ließ er am neuerrichteten Galgen zwei Leute aufhängen, die nicht mehr als ein paar Kittel gestohlen hatten. Zwei Schneider wurden verbrannt, einem Metzger wurden die Augen ausgestochen für Verbrechen, die weit weniger Roheit kundtaten als die Strafe. Um diese Zeit wurde auch einmal eine Mutter mit zwei Töchtern lebendig begraben. Gela, die eine von den Töchtern, hatte ein uneheliches Kind zur Welt gebracht, und ihre Schwester Elsgen hatte ihr den unheilvollen Rat gegeben, es zu töten. Die siebzigjährige Mutter hatte darum gewußt und wurde deshalb mit den Töchtern zu grausamem Tode verurteilt. Man hatte auch die jüngste Tochter ins Gefängnis geworfen, aber da Mutter und Schwestern sie entschuldigten, daß sie nichts gewußt habe, ließ man sie gehen. Den Vater des getöteten Kindes, einen Knecht aus Wertheim, scheint keine Strafe getroffen zu haben. Wo, ob im Hexenturm oder in einem anderen Verließ, die Unglücklichen verschmachteten, wird nicht berichtet.

      Jetzt empfängt Gelnhausen den Wanderer als eine freundliche, stille, halb ländliche Stadt, deren Bewohner betrübt und fast beschämt gestehen, daß sie keine Industrie haben. Um so besser hört man, wenn man die krummen Straßen hinaufklettert, den Genius dieses Ortes mit Adlerflügeln rauschen. Unsichtbare Schwingen segeln langsam zwischen der Burg und der Marienkirche hin und her, unter ihnen schwillt auch das Kleine und Geringe zu mythischer Größe über die enge Stadt hinaus. Das romanische Rathaus, das einzige dieser Art in Deutschland, das früher in ein gotisches Haus verbaut war, hat durch die Wiederherstellung an überzeugendem Leben verloren. Aber man geht an schönen, ansehnlichen Fachwerkbauten vorüber, an einem Portal der Peterskirche sieht man geheimnisvolle Gesichter, Madonnen voll unnahbarer Hoheit schmücken die Altäre der Marienkirche. Dieser herrliche Bau mußte der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zum Vorbild dienen; aber wohl keiner, der vor einer von beiden steht, denkt an die andere.

Stadtwappen

      Wetzlar

       Inhaltsverzeichnis

      Seit dem Jahre 1495 waltete das Reichskammergericht in Speier, das bestimmt war, auf dem Wege gerichtlichen Prozesses zu schlichten, was bis dahin mit dem Schwerte ausgemacht wurde. Nicht mehr heftete der Ritter, dessen Knecht eine Stadt abgefangen und in den Turm gelegt hatte, den Fehdebrief an ihre Tore; die Reichsstände, die beide auf das gleiche Gebiet Erbansprüche zu haben behaupteten, überzogen sich nicht mehr mit Krieg, sondern warteten auf die Entscheidung des Kammergerichts, meist sehr lange. Als die französischen Raubkriege am Ende des 17. Jahrhunderts die Pfalz bedrohten und schließlich verwüsteten, sah sich das erschreckte Reichskammergericht nach einer anderen Stätte um, wo es sich niederlassen könnte, und wo es gesicherter wäre. Es eignete sich dazu nur eine Reichsstadt, und zwar eine von Frankreichs Grenze hinreichend entfernte; man wies daraufhin, daß im 15.Jahrhundert, als man Speier bezog, Lothringen, Elsaß, die Freigrafschaft und sogar das Erzbistum Besançon, damals Bisonz, noch zum Reich gehörten und die Pfalz deckten. Die Städte, an welche man zunächst dachte, verlockte die Aussicht, das Kammergericht zu beherbergen, durchaus nicht; denn sie fürchteten die Einmischung der hochgeborenen Herren, die demselben vorstanden, in ihr Regiment. Frankfurt, Schweinfurt, Augsburg, Memmingen widersetzten sich nachdrücklichst; in Mühlhausen in Thüringen und Dinkelsbühl war die Bürgerschaft dem Plane geneigt, nicht aber der Rat. In Friedberg und Wetzlar lagen die Dinge anders; da war kein hochmütiges Patriziat, auf nichts als auf seine Alleinherrschaft bedacht, da bestand der Rat aus kleinen Kaufleuten und Handwerkern, welche froh waren, durch den Zuzug vieler wohlhabender Familien ihre Einnahmequellen zu vermehren. Die verschiedenen Kommissionen, welche Wetzlar in Augenschein nahmen, stellten fest, daß die Bürgerschaft 400 Mann stark sei, worunter nicht über 20 Katholiken wären; die Nahrung der Bürger sei Ackerbau, Viehzucht und Tabaksbau, das übliche Getränk Bier, Wein werde wenig getrunken. Sie lobten Luft und Wasser als gesund, die wohlfeilen Preise und die Obst- und Gemüsegärten, welche die Stadt umgäben, auch drei Apotheken und 2 Ärzte gebe es. Dagegen wären die Häuser mit Stecken geflochten und mit Lehm übertüncht, meist mit Stroh gedeckt und ohne Brandmauern, was Feuersgefahr bedeute, und das Wasser müßte bei Feuersbrünsten von der Lahn heraufgeschafft werden. Nur wenige Häuser wären aus Stein oder hätten steinernes Erdgeschoß, auch hätten sie nicht einmal rechte Küchen und gemauerte Schornsteine. Da die meisten Zimmer der Erdgeschosse zu ebener Erde wären, herrsche Feuchtigkeit und wegen der Pferde, Rinder und Schweine, die


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