Heimat?. Группа авторов

Heimat? - Группа авторов


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Postkarte.

       Heimat ist da, wo dein Laptop steht.

      Ein Freund ruft an. Ich frage recht unvermittelt:

      „Was bedeutet Heimat eigentlich für dich?“

      „Deine Tomatenbrotschnittchen. Die rühren mich zu Tränen“, sagt er.

      Es ist ein alter Witz zwischen uns.

      Und ich freue mich darüber und sage:

       „Absolut. Heimat ist eigentlich nichts anderes

       als ein Tomatenbrotschnittchen.“

       Heimat, gutes Stück, was solls?

       von Gerd Puls

      Heimat? Nur ein zwiespältiges Gefühl?

      Oder mehr als intakte Städtchen und Dörfer

      Die sich nicht abhängen lassen

      Mehr als gepflegte Wälder, saubere Bäche

      Artenreiche Felder, ein Gruß über den Zaun?

      Heimat? Ein Fleckchen Erde mit gesunden Tieren

      Vogelgezwitscher, glücklichen Menschen

      Mit Schützenumzug und gemütlicher Kneipe

      Mit Geselligkeit und guter Nachbarschaft

      Jeder kennt jeden, lautet das Motto, und lässt ihn leben

      Heimat? Eine Ecke zum Wohlfühlen, ein gutes Gefühl

      Jeder hilft jedem, hier stehste nicht allein, ey

      Wenn der Dorfpolizist, dein alter Klassenkamerad

      Dich mit dem Auto weiterfahren lässt

      Auch wenn du sturzbesoffen bist

      Heimat? Ein überschaubares Städtchen, ein Dorf

      Mit Poststelle (noch), mit Kita und dem alten Hausarzt

      Ein Aldi auf dem Acker vorm Ort, ein Vereinsheim

      Gegen die Langeweile, ein Fußballplatz für den

      Sonntagvormittag und eine Suhle für jede Sau

      Heimat? Ein Sumpf, in dem die braune Brühe brodelt

      Stinkend durch die Gossen schwappt

      Schlichte Idylle, Herkunft, Notdurft und Erinnerung

      „Weißt du noch, damals?“ Harmlose,

      Kindliche Tröstung: Hier lässt es sich leben

      Oder Krieg jeder gegen jeden, gegen die da vor allem

      Seht her, wie einzigartig wir doch sind

      Und alles verloren, alles vergessen, immer neue

      Flüchtlingsströme aus immer neuen

      Immer alten Hunger- und Kriegsgebieten

      Kriege, immer wieder angezettelt, angefacht

      Wir kennen uns aus, liefern die allerbesten Waffen

      Das WeltKriegsZweiFlüchtlingselend auch schon

      So lange her, da ließen sich fünfundsiebzig schöne

      Jahre Heimatgefühle prima pflegen und genießen

      Sprich bloß nicht von Schuld!

      Heimat ist dort, wo ich jahrelang die paar

      Kilometer mit dem Schulbus fuhr

      Mich an der Ecke mit der ersten Freundin traf

      Heimat ist dort, wo mein Dorf

      In den Fluten des Stausees versank

      Weggeräumt wurde von den Tagebaubaggern

      Wo sich die Hallen dehnen, die Windräder drehn

      Und alles austauschbar und gleich aussieht

      Längst nicht mehr einzigartig die winzige Ecke

      Der schmale Landstrich, dabei so viel Glück

      Heimat? Wo die Osterfeuer qualmen

      Die letzte Schule schon geschlossen ist

      Wo sich die Bierleichen stapeln hinterm Schützenzelt

      Und frische Blumen an der Stelle, wo der PKW

      Mit den vier jungen Leuten am Alleebaum zerbarst

      Heimat, harmlose kindliche Tröstung, Fata Morgana

      Die paar verwackelten Bilder in der Tagesschau

      Weit weg und morgen vergessen, und doch

      Heimat bleibt, wo es kein Leben mehr gibt

      Weil Bomben und Raketen eine Stadt zerstörten

      Heimat ist dort, wo ich mein Geld verdiene

      Oder nicht ganz so prosaisch und nüchtern gesagt

      Heimat ist dort, wo ich sicher bin und satt werde

      Wo meine Liebsten sind und meine Erinnerung

      Noch immer lebt

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       Heimat: ein Versuch

       von Siegfried von der Heide

      Genau, versuche ich doch mal, eine Heimat zu finden. Deutsche Literaten, ein bisschen bin ich auch einer, sagt die Mitteldeutsche Zeitung, können sagen: „Die deutsche Sprache ist meine Heimat.“ Keine schlechte Idee: Siegfried Lenz, Julie Zeh, Günter Grass, Mascha Kaléko, Jörg Fauser, Else Lasker-Schüler, okay, geht gut. Aber in einer Sprache, die neuerdings das Wort „Umvolkung“ kennt, ist doch nicht gut rundherum wohlfühlen. Als Musiker, da weiß ich, dass ich es bin, kann ich sagen „Die Musik ist meine Heimat“ Auch nicht schlecht: Randy Newman, Hildegard Knef, Elvis Costello, Joni Mitchell, Van Morrison, Joy Fleming, gutes Gefühl. Aber auch das Horst-Wessel-Lied, Heino und Richard Wagner, auch nicht wirklich kuschelig, und das soll es doch sein in der Heimat – oder? So habe ich es jedenfalls gelernt in den Heimatfilmen aus den 1950er Jahren. Doch, ja, ich habe sie alle gesehen, und da war es immer dasselbe: Am Ende verbanden sich Milch, Eiweiß und Stärke: Friede, Freude, Eierkuchen. Ein gutes, nahrhaftes Essen in freundlicher Atmosphäre ist und bleibt wichtig.

      Freddy Quinn aber war grundsätzlich weit weg von zu Hause und hatte immer Sehnsucht … Warum zum Donnerwetter ist er dann überhaupt weggefahren, wenn es „bei Muttern zu Haus’“ doch am schönsten war? Der Grund war derselbe: Sehnsucht. Ob Heim- oder Fern-: Weh tat es immer und der Weg war weit und schwer. Irgendwas musste da faul gewesen sein unter dem Nierentisch im Wirtschaftswunderland. Heimat finden: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich nicht doch was Bess’res findet!“, und wenn sie sie dann weg sind, finden sie Heimat auf einmal ganz toll und wissen ganz plötzlich, wo sie ist.

      Tom Waits: „Never saw the morning til I stayed up all night.“ Das, was wir haben, finden wir, könnte immer besser sein, aber wenn wir es nicht mehr haben, ist es immer noch besser als das, was wir dann haben. Früher war eben alles besser. In der Sesamstraße war es Grobi unmöglich, „dort“ zu sein, weil er immer „hier“ war. Er wollte immer „dort“ sein, und wenn er „dort“ war, war


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