Die Löwenskölds - Romantrilogie. Selma Lagerlöf

Die Löwenskölds - Romantrilogie - Selma Lagerlöf


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der ganzen Welt bewundert und umschwärmt gewesen sein; in Karlstadt jedoch hatte niemand Augen für sie. Hier wurden sie von ihrer Mutter gänzlich in den Schatten gestellt. Wenn sie auf einem Ball erschienen, so liefen sich die jungen Herren die Beine ab um einen Tanz mit der Mutter; Eva und Jacquette aber saßen als Mauerblümchen an den Wänden, und wie schon gesagt, brachte nicht nur der Neck vor dem Ekenstedtschen Hause Ständchen, doch niemals sang jemand unter dem Fenster der Töchter, sondern nur immer unter dem der Frau Oberst. Junge Poeten machten Gedichte an B. E.; aber keinem fiel es ein, auch nur ein paar Strophen an E. E. oder J. E. zusammenzuschmieden. Böse Zungen behaupteten, ein Leutnant habe einmal um die kleine Eva Ekenstedt angehalten, aber einen Korb bekommen, weil die Frau Oberst meinte, er habe einen schlechten Geschmack.

      Die Frau Oberst hatte auch einen Oberst, einen prächtigen, tüchtigen Mann, der überall, wohin er gekommen wäre, die größte Wertschätzung gefunden hätte, ausgenommen in Karlstadt. In Karlstadt verglich man den Herrn Oberst mit der Frau Oberst, und wenn man ihn an der Seite seiner Frau sah, die so strahlend, so ungewöhnlich, so reich an Einfällen, so prickelnd lebhaft war, dann meinte man, er sehe aus wie ein Dorfschulze. Die Gäste in seinem Hause hörten kaum hin, wenn er etwas sagte; es war, als sähe ihn überhaupt niemand. Davon war indes keine Rede, daß die Frau Oberst auch nur einem von all den Herren, die sie umschwärmten, die kleinste unziemliche Annäherung gestattet hätte. Ihr Wandel war ohne Tadel; aber ihren Mann aus seinem vergessenen Winkel hervorzuziehen, daran dachte sie allerdings nie. Sie glaubte wohl, es sei ihm lieber, unbemerkt zu bleiben.

      Aber diese charmante Frau Oberst, diese gefeierte Frau Oberst hatte nicht nur einen Mann und zwei Töchter, sie hatte auch noch einen Sohn. Und diesen Sohn liebte sie; ihn bewunderte sie, ihn stellte sie bei jeder Gelegenheit ins hellste Licht. Die Gäste im Hause Ekenstedt durften sich’s nicht einfallen lassen, ihn zu vernachlässigen oder links liegenzulassen, falls sie sich Hoffnung machten, ein andermal wieder eingeladen zu werden. Andererseits darf aber auch nicht geleugnet werden, daß die Frau Oberst Ursache hatte, stolz auf ihren Sohn zu sein. Er war nicht nur begabt, sondern hatte auch ein liebenswürdiges Wesen und ein ansprechendes Außeres. Er war weder dreist noch aufdringlich wie andere verzogene Kinder. Er schwänzte die Schule nicht und spielte seinen Lehrern keine bösen Streiche. Er war romantischer veranlagt als seine Schwestern. Ehe er das achte Jahr vollendet hatte, konnte er schon richtige nette Gedichtchen machen. Öfter erzählte er auch seiner Mutter, er habe den Neck spielen hören und die Elfen auf den Voxnäswiesen tanzen sehen. Er hatte feine Züge und große dunkle Augen, ja, er war seiner Mutter echtes Kind in jeder Beziehung.

      Obwohl er das ganze Herz der Frau Oberst ausfüllte, konnte man doch nicht eigentlich sagen, daß sie eine schwache Mutter sei. Zum mindesten mußte Karl Artur Ekenstedt arbeiten lernen. Sie stellte ihn höher als alle anderen Lebewesen; aber gerade darum durfte er auch nur mit den besten Zeugnissen, die zu erreichen waren, vom Gynmasium heimkommen. Und eins wurde von jedermann bemerkt: solange Karl Artur in einer Klasse war, lud die Frau Oberst nie einen seiner Lehrer zu sich ein. Nein, niemand sollte sagen können, Karl Artur bekäme seine guten Zeugnisse, weil er der Sohn der Frau Oberst Ekenstedt sei, die so ausgesuchte Festmahlzeiten gab. Seht, das war der Stil der Frau Oberst!

      In seinem Abgangszeugnis vom Gymnasium in Karlstadt hatte Karl Artur die allerbeste Note, gerade wie Erik Gustav Geijer seinerzeit. Und das Studentenexamen in Uppsala war für Karl Artur das gleiche Kinderspiel wie für Geijer. Die Frau Oberst hatte ja den kleinen rundlichen Professor Geijer oft gesehen und ihn wohl auch als Tischherrn gehabt. Gewiß war Professor Geijer begabt und berühmt; aber sie mußte doch immer denken, Karl Artur habe einen geradeso hellen Kopf, er könne wohl auch noch einmal ein berühmter Professor werden und es so weit bringen, daß der Kronprinz Oskar und der Landeshauptmann Järta sowe die Frau Oberst Silfverstolpe nebst all den übrigen Berühmtheiten in Uppsala seinen Vorlesungen lauschen würden.

      Im Herbst 1826 kam Karl Artur auf die Universität nach Uppsala. Und in diesem ganzen Semester, sowie auch in all den folgenden Jahren, schrieb er jede Woche einmal nach Hause. Und keiner seiner Briefe wurde vernichtet, Frau Beate hob sie alle auf. Sie las sie für sich immer wieder durch, und an den gewohnten Sonntagnachmittagen, wenn die Familie zusammenkam, pflegte sie den letztangekommenen vorzulesen. Und das konnte sie auch. Es waren Briefe, auf die sie mit Recht stolz war.

      Frau Beate hatte die Verwandtschaft halb und halb im Verdacht, diese habe erwartet, Karl Artur werde sich weniger vorzüglich zeigen, wenn er einmal von zu Hause weg sei. So war es Frau Beate ein Triumph, den Verwandten vorzulesen, wie Karl Artur billige möblierte Zimmer mietete und wie er, um zu Hause essen zu können, Butter und Käse selbst auf dem Markt einkaufte, wie er Schlag fünf Uhr morgens aufstand und zwölf Stunden täglich arbeitete. Und alle die ehrerbietigen Wendungen, die er in den Briefen gebrauchte, und alle die Ausdrücke von Bewunderung, die er an seine Mutter richtete! Für kein Geld hätte es sich Frau Beate nehmen lassen, dem Dompropst Sjöborg, der mit einer Ekenstedt verheiratet war, und dem Ratsherrn Ekenstedt, dem Onkel ihres Mannes, sowie den Basen Stake, die auf dem Markt in dem großen Eckhaus wohnten, vorzulesen, daß Karl Artur, der nun draußen in der Welt lebte, noch immer der Überzeugung war, seine Mutter wäre eine Dichterin ersten Ranges geworden, wenn sie es nicht für ihre Pflicht gehalten hätte, für Mann und Kinder zu leben. Nein, nicht um alles in der Welt hätte sie dieses Vorlesen unterlassen mögen, sie tat es ja viel zu gern. Sosehr sie auch an alle möglichen Arten von Huldigung gewöhnt war – diese Worte konnte sie nicht lesen, ohne daß sich ihre Augen mit Tränen füllten.

      Aber den größten Triumph feierte die Frau Oberst doch gegen Weihnachten, als Karl Artur schrieb, er habe das Geld, das ihm sein Vater nach Uppsala mitgegeben, nicht aufgebraucht, sondern er bringe noch etwa die Hälfte davon wieder mit. Da waren der Dompropst und die Ratsherren geradezu verblüfft, und die längste der Basen Stake schwur, so etwas sei noch nie dagewesen und werde auch niemals wieder vorkommen. Ja, Karl Artur war ein Wunder, darin stimmte die ganze Familie überein.

      Gewiß fühlte sich die Frau Oberst vereinsamt, als Karl Artur den größten Teil des Jahres auf der Universität zubrachte; aber ihre Freude an den Briefen war doch zu groß, als daß sie wünschen konnte, es möchte anders sein. Wenn er eine Vorlesung des großen neuromantischen Dichters Atterbom gehört hatte, konnte er sich unglaublich interessant über Philosophie verbreiten; und wenn ein solcher Brief kam, dann konnte Frau Beate noch stundenlang von all der Größe träumen, die Karl Artur erreichen würde. Sie zweifelte gar nicht daran, daß er so berühmt werden würde wie Professor Geijer. Ja, vielleicht wurde er sogar ein ebenso großer Mann wie Karl von Linné. Warum sollte er nicht ebenso weltberühmt werden können? Oder warum sollte er nicht ein großer Dichter werden – ein zweiter Tegnér? Ach, ach, niemand kann so ausgiebig bei Tische schwelgen wie der, so sich in Gedanken ein Festmahl gibt!

      In allen Weihnachts- und Sommerferien kam Karl Artur heim nach Karlstadt, und sooft Frau Beate ihren Sohn wiedersah, erschien er ihr männlicher und schöner. Aber sonst war er in keiner Weise verändert. Er zeigte sich immer gleich liebevoll gegen seine Mutter, gleich ehrerbietig gegen seinen Vater und gleich munter und scherzhaft gegen seine Schwestern.

      Zuweilen konnte die Frau Oberst auch ungeduldig werden, als Karl Artur Jahr für Jahr in Uppsala weiterstudierte, ohne daß irgendein Fortschritt bemerkbar gewesen wäre. Von allen Seiten wurde ihr jedoch versichert, daß Karl Artur, wenn er das große Staatsexamen machen wolle, dazu recht ausgiebig Zeit brauche, bis er fertig sein könne. Sie solle nur überlegen, was das heißen wolle, ein Examen abzulegen und Zeugnisse zu erhalten, und zwar in allen Fächern, die an der Universität gelehrt würden, in Astronomie, Hebräisch und Geometrie. Das wolle alles seine Zeit haben. Die Frau Oberst sagte, das sei doch ein fürchterliches Examen, und darin gab man ihr recht, meinte nur, man könnte es doch nicht ändern, nur um Karl Arturs willen.

      Im Spätherbst 1829, als Karl Artur im siebenten Semester in Uppsala war, schrieb er zur größten Freude der Frau Oberst, er habe sich nun zu einer lateinischen Prüfung angemeldet. Es sei ja kein so besonders schweres Examen, schrieb er, aber doch ein wichtiges, denn man müsse im Lateinischen durchaus bewandert sein, wenn man zum großen Examen zugelassen werden wolle.

      Karl Artur machte nicht viel Aufhebens von dieser schriftlichen Arbeit. Er sagte nur, es wäre gut, sie hinter sich zu haben. Er habe sich ja freilich nicht eingehender mit dem


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