Die Löwenskölds - Romantrilogie. Selma Lagerlöf

Die Löwenskölds - Romantrilogie - Selma Lagerlöf


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waren, hatte sich das Festessen nicht länger als bis sieben Uhr hingezogen. Es war wirklich sonderbar, daß zwölf Gänge mit allen Tischreden, Fanfaren und Festkarmen nur drei Stunden in Anspruch genommen hatten. Die Frau Oberst hatte gemeint, man würde bis acht bei Tische sitzen, aber diese Hoffnung hatte sich nicht erfüllt.

      Also, es war erst sieben Uhr, und vor Mitternacht ging man nicht auseinander, davon konnte keine Rede sein. Die Gäste wurden bedenklich, wenn sie an die vielen öden Stunden dachten, die noch vor ihnen lagen.

      »Wenn wir doch tanzen dürften!« seufzte alles im stillen; denn die Frau Oberst war so vorsichtig gewesen, ihre Gäste im voraus davon in Kenntnis zu setzen, daß nicht getanzt werden sollte. »Womit können wir uns denn unterhalten? Es ist ja entsetzlich, stundenlang sitzen und ohne sich zu rühren schwatzen zu müssen!«

      Die jungen Mädchen betrachteten ihre leichten hellen Kleider und ihre weißseidenen Schuhe. Alles war aufs Tanzen eingerichtet. Und wenn man einmal so gekleidet war, dann kam die Tanzlust von selbst.

      Die jungen Offiziere vom Värmlandregiment waren ja auch als Ballkavaliere sehr gesucht. Im Winter wurden sie zu so vielen Bällen eingeladen, daß sie deren beinahe überdrüssig wurden und man sie nur mit Mühe und Not zum Tanzen bringen konnte. Während des Sommers aber hatten keine großen Tanzfestlichkeiten stattgefunden, und so waren die Herren Leutnants ausgeruht und bereit, einen ganzen Tag durchzutanzen, wenn es sein mußte, und sie sagten auch, sie hätten noch selten so viele hübsche Mädchen beisammen gesehen. Und was war das auch für eine Einrichtung, junge Offiziere und junge Schönheiten einzuladen und sie nicht miteinander tanzen zu lassen?

      Aber nicht nur die Jugend vermißte den Tanz. Auch die alten Damen und Herren fanden es schade, daß die Jugend sich nicht bewegen durfte und man nicht zusehen konnte. Die beste Musik von ganz Värmland stand zur Verfügung. Hier war der herrlichste Tanzsaal. Warum in aller Welt sollte man nicht ein Tänzchen machen?

      Die gute Beate Ekenstedt war doch bei aller Liebenswürdigkeit immer ein wenig selbständig. Sie dachte wohl, mit ihren fünfzig Jahren könne sie nicht mehr mittanzen, und darum sollten nun auch ihre jungen Gäste nur herumsitzen und die Wände zieren.

      Die Frau Oberst sah und hörte und merkte, daß alle Welt mißvergnügt war, und für eine so vorzügliche Wirtin wie sie, die allezeit gewöhnt war, jedermann vergnügt und zufrieden bei ihren Festen zu sehen, war dieser Zustand unsäglich bitter, ja unerträglich.

      Sie wußte, daß am nächsten Tag und noch an vielen, vielen folgenden Tagen die Ekenstedtsche Hochzeit besprochen und als Beispiel der größten Langweiligkeit, die man jemals hatte mitmachen müssen, herangezogen werden würde.

      Nun setzte sich Frau Beate zu den Alten. Sie entfaltete ihre ganze Liebenswürdigkeit, erzählte ihre besten Geschichten und hatte die glänzendsten Einfälle. Aber ach, sie zündeten nicht! Man hörte ihr kaum zu. Da war keine noch so alte und langweilige Frau unter den Gästen, die nicht dachte, wenn sie einmal das Glück haben sollte, eine Tochter zu verheiraten, so sollte ganz gewiß alt und jung tanzen dürfen.

      Die Frau Oberst machte sich an die Jugend. Sie schlug Gesellschaftsspiele im Garten vor. Aber man starrte sie nur an. Spiele im Freien bei einer Hochzeit! Wäre sie nicht die Frau Oberst Ekenstedt gewesen, man hätte ihr ins Gesicht gelacht.

      Als das Feuerwerk abgebrannt wurde, boten die Herren den Damen den Arm, und man spazierte hinunter ans Flußufer. Aber die jungen Paare schlichen nur so dahin und hoben kaum die Augen hoch genug, um die Raketen steigen zu sehen. Sie wollten nun eben für das Vergnügen, wonach sie sich sehnten, keinen Ersatz anerkennen.

      Der Vollmond stieg empor, wie um das glanzvolle Schauspiel noch zu verschönen. An diesem Abend erschien er nicht wie eine Scheibe – nein, nein, er rollte am Himmel herauf rund wie ein Ball, und ein witziger Kopf behauptete, er sei aufgeschwollen vor lauter Verwunderung darüber, so viele stattliche Offiziere und so viele schöne junge Mädchen da unten mit düsteren Blicken in das Wasser hineinstarren zu sehen, gleich als gingen sie mit Selbstmordgedanken um. Halb Karlstadt stand draußen am Gartenzaun, um die Pracht mit anzusehen. Sie sahen die jungen Leute langweilig und mißvergnügt herumschleichen und meinten, dies sei doch die kümmerlichste Hochzeit, die sie jemals geschaut hätten.

      Die Kapelle des Värmlandregiments tat ihr Bestes. Aber da die Frau Oberst verboten hatte, Tänze zu spielen, weil sie fürchtete, die Jugend sonst nicht mehr im Zaume halten zu können, waren nicht genügend Programmnummern da, und die einzelnen Stücke mußten immer wiederholt werden.

      Es wäre nicht recht, wenn man behaupten wollte, die Stunden schlichen dahin. Nein, die Zeit stand einfach still. Die Minutenzeiger auf allen Uhren bewegten sich in demselben langsamen Tempo wie die Stundenzeiger.

      Vor dem Ekenstedtschen Hause lagen auf dem Fluß ein paar große Kähne, und auf einem dieser Kähne saß ein musikliebender Schiffer und spielte eine Bauernpolka auf einer quietschenden selbstgemachten Fiedel.

      Aber alle die armen Menschen, die sich in dem Ekenstedtschen Garten herumquälten, konnten diesen Tönen nicht widerstehen, denn es war doch jedenfalls Tanzmusik, und eiligst schlichen sie sich durch die Gartenpforte hinaus, und im nächsten Augenblick sah man, wie sie sich auf dem teerigen Deck einer Klarelfschute zu der Bauernpolka schwenkten.

      Die Frau Oberst bemerkte die Flucht und das Tanzen sehr bald, und es war ihr klar, daß man die feinsten Mädchen von Karlstadt nicht auf einem schmierigen Frachtboot tanzen lassen durfte. Sie ließ die jungen Leute sofort auffordern, wieder hereinzukommen. Aber sie hatte gut Frau Oberst sein, selbst der jüngste Leutnant dachte nicht daran, Order zu parieren.

      Da gab Frau Beate Ekenstedt das Spiel verloren. Jetzt war sie Karl Artur so weit entgegengekommen, wie man es verlangen konnte. Jetzt hieß es, das Ansehen des Hauses Ekenstedt zu retten. Sie befahl die Regimentsmusik herauf in den großen Saal und ließ eine Anglaise spielen.

      Gleich darauf stürmten auch schon die Tanzlustigen die Treppe herauf, und nun wurde getanzt. Das wurde ein Ball, wie man noch keinen gesehen hatte. Alle die vielen, die vorher gewartet hatten und vor Sehnsucht fast vergangen waren, suchten jetzt die verlorene Zeit wieder einzuholen. Das war ein Drehen und Wenden und Stapfen und Pirouettieren! Da gab es keine Müden und Unwilligen. Selbst das häßlichste und langweiligste Mädchen blieb nicht sitzen.

      Auch die Alten konnten nicht stille sitzen, und das schlimmste war, die Frau Oberst selber – ja, man stelle sich das vor! –, die Frau Oberst, die nicht mehr tanzen und auch nicht mehr Karten spielen wollte, die ihre weltlichen Bücher auf den Speicher geschafft hatte – diese Frau Oberst konnte auch nicht mehr stille sitzen. Leicht und luftig schwebte sie im Tanze umher, und sie sah ebenso jung – nein, noch jünger aus als ihre Tochter, die Braut. Die Karlstadter waren ganz glücklich, daß sie ihre fröhliche, charmante, geliebte Frau Oberst wiederhatten.

      Und die Freude schlug immer höhere Wogen; die Nacht war schön und lebensvoll geworden, und der Fluß schimmerte im Mondenschein, und alles war, wie es sein sollte.

      Aber der beste Beweis dafür, wie stark der Zauber der Fröhlichkeit das ganze Haus beherrschte, war wohl, daß sogar Karl Artur mitgerissen wurde. Plötzlich konnte er gar nicht mehr verstehen, was Böses und Sündhaftes daran sein sollte, wenn man sich mit anderen jungen und sorglosen Menschen nach der Musik im Takte wiegte. Es war doch nur natürlich, daß Jugend, Gesundheit und Frohsinn einen solchen Ausdruck fanden. Wenn er es jetzt noch für eine Sünde gehalten hätte, würde er auch nicht getanzt haben.

      Aber an diesem Abend kam ihm alles kindlich, lustig und unschuldig vor.

      Doch gerade, als Karl Artur mitten in der Anglaise mittanzte, blickte er zufällig nach der offenen Saaltür, und in der Türöffnung sah er ein bleiches, von schwarzem Haar und Bart umrahmtes Antlitz, sowie ein Paar große, sanfte Augen, die in schmerzlicher Verwunderung an ihm hingen.

      Er hielt mitten im Tanzen inne. Erst glaubte er, ein Gespenst zu sehen; dann erkannte er jedoch seinen Freund Pontus Friman, der ihm versprochen hatte, ihn in Karlstadt zu besuchen, und nun gerade an diesem Abend angekommen war.

      Karl Artur trat aus der Reihe der Tanzenden und eilte dem Angekommenen entgegen,


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