Der schottische Bankier von Surabaya. Ian Hamilton

Der schottische Bankier von Surabaya - Ian  Hamilton


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eine Schachtel du Maurier extra mild Kingsize Zigaretten aus der Tasche ihres Morgenmantels, zündete sich eine an und blies den Rauch in Richtung See. »Sie arbeitet als Baccara-Dealerin im Rama.«

      »Warum sollte ich mit einer Baccara-Dealerin sprechen?«

      »Sie hat ein Problem.«

      »Ich bin keine Lebensberaterin.«

      Jennie nahm zwei weitere tiefe Züge von ihrer Zigarette und warf sie dann auf den Boden. »Sie hat ein Geldproblem.«

      »Woher weißt du das?«

      »Ich habe sie gefragt, warum sie so bedrückt aussieht.«

      Avas Mutter schloss schneller Freundschaften als andere Menschen ihre Kleidung wechselten. Es gab kein Geschäft, das sie betrat, kein Restaurant, das sie besuchte, in dem sie die Bedienung oder die Verkäuferin nicht nach ihrem Namen und ihrem Befinden fragte.

      »Was hat das mit mir zu tun?«

      Jennie legte den Kopf an die Rückenlehne des Stuhls und wandte ihn dann langsam ihrer Tochter zu. »Nur weil wir nie darüber reden, wie du deinen Lebensunterhalt verdienst, heißt das nicht, dass ich es nicht weiß.«

      »Wirklich?«

      »Ja, wirklich. Ich hatte immer schon den Verdacht, dass du all das Geld, das du verdienst, nicht machst, weil du eine gute Wirtschaftsprüferin bist. Ich fand es auch seltsam, dass du mit Onkel zusammenarbeitest, aber ich habe all die Gerüchte über seine Triaden-Verbindungen ignoriert und mir gesagt, dass er ein alter Mann ist, der inzwischen zu anderen Dingen übergegangen ist. Doch alle Zweifel, die ich hatte, waren ausgeräumt, nachdem du in Hongkong und Macao warst und das Leben von Michaels Partner und ihr Unternehmen gerettet hast.«

      »Michael war nicht in Macao.«

      »Ava, bitte behandele mich nicht wie eine Idiotin oder als könnte ich die Wahrheit nicht verkraften.«

      Ava trank in kleinen Schlucken ihren Kaffee und schaute auf das Wasser hinaus, das mit Menschen getüpfelt war, die von Kanus und kleinen Booten aus angelten. Die Jetskis bevölkerten den See gewöhnlich erst nach dem Mittagessen, und sie verschwanden wieder vor dem Abendessen und überließen den See bis zum Einfall der Dämmerung wieder den Angelnden. »Macao war emotional wie physisch sehr hart für mich«, sagte sie. »Ich rede nicht gern darüber.«

      »Andere Mitglieder der Familie, einschließlich Michael, haben genug geredet, so dass alle wissen, was passiert ist.«

      »Und ich bin sicher, dass es übertrieben ist.«

      »Wie – hast du Michaels Partner und das Unternehmen etwa nicht gerettet?«

      »Ich hatte Hilfe.«

      Jennie machte eine wegwerfende Geste. »Du hast die Hauptrolle gespielt. Das wissen wir alle. Als dein Vater von der Geschichte erfuhr, konnte er seine Gefühle nicht beherrschen. Es war das erste Mal, dass ich ihn habe weinen sehen. Und dann habe auch ich geweint, weil ich wusste, dass du nicht nur Michael gerettet hast, sondern die gesamte Familie. Wenn du nicht das ganze Geld zurückgeholt hättest, dann hätte dein Vater seine Bankkonten geleert, um Michaels Verluste abzudecken. Und wo stünden wir dann? Seine Arbeit all die Jahre wäre verloren, und meine Absicherung und die der anderen Frauen und Kinder wäre gefährdet gewesen.«

      »Ich habe getan, was ich tun musste.«

      »Du meinst, du hast getan, wozu du dich entschieden hattest, und deshalb bin ich sehr stolz. Als ich dich und Marian großgezogen habe, habe ich genau darum gebetet – dass meine Mädchen zu Frauen heranwachsen, die sich selbst treu sind.«

      »An manchen Tagen ist das schwerer als an anderen«, sagte Ava. »An solchen Tagen denke ich oft an dich und wie unbeirrbar du bist.«

      »Ava, du brauchst nicht –«

      »Ich meine es, wie ich es sage.«

      »Nun, es stimmt, dass die Beziehung zu deinem Vater eine Prüfung für mich war. Als ich ihn geheiratet habe, wusste ich, worauf ich mich einlasse: die zweite Frau eines Mannes, der seine erste nicht verlassen würde. Ich dachte, ich könnte damit umgehen, aber wir alle zusammen in Hongkong – das ging nicht. Also bin ich mit euch nach Kanada gezogen. Das war meine Entscheidung, Ava, nicht seine. Und als wir erst einmal hier waren, habe ich meine Ehe auf eine neue Basis gestellt, die mir genehm war und mir den Raum ließ, mich um euer Wohlergehen zu kümmern. Ich hätte alles für euch Mädchen getan.«

      Ava beugte sich hinüber und legte ihre Hand kurz auf die ihrer Mutter. »Das wissen wir.«

      »Und euer Vater und ich haben es inzwischen für mehr als dreißig Jahre hingekriegt.«

      »Ich weiß, dass das nicht einfach war.«

      »Nein, das war es nicht und das ist es nicht. Ich weiß, was andere, insbesondere nicht Nicht-Chinesen, über meine Ehe sagen und denken. Sie verstehen unsere Kultur und unsere Tradition nicht, und in ihren Augen bin ich manchmal eine Geliebte und manchmal eine Hure. Ich tue einfach so, als ob ich sie nicht höre und kümmere mich um meine Angelegenheiten und mein Leben in dem Wissen, dass es das Leben ist, für das ich mich entschieden habe – nicht ein Leben, das mir aufgenötigt wurde.«

      »In der Hinsicht sind wir uns ähnlich. Keine von uns kann es leiden, gesagt zu bekommen, was sie tun soll.«

      »Was dich angeht, betrachtet dein Vater es als Segen, bei mir hingegen als Fluch«, erwiderte Jennie.

      Ava schloss die Augen. Sie hatte keine Lust auf eine Diskussion über ihren Vater oder die komplizierten Familienverhältnisse, die er geschaffen hatte – ihre Mutter und ihre Schwester und sie selbst allein in Kanada, ihr Vater und seine erste Frau und vier Söhne in Hongkong und eine dritte Frau mit zwei kleinen Kindern in Australien.

      »Diese Theresa Ng – ist das eine Freundin von dir?«, fragte Ava.

      Ihre Mutter trank einen Schluck Kaffee und holte eine weitere Zigarette hervor. Ava sah, wie sich ihr Kiefer entspannte. »Mittlerweile schon.«

      »Und du sagst, sie hat ein Geldproblem?«

      »Ja, und ich habe ihr erzählt, dass du gut darin bist, diese Art von Problem zu lösen, und deshalb hat sie mich gebeten, dich zu fragen, ob du mit ihr sprechen würdest.«

      »Onkel und ich nehmen normalerweise keine kanadischen Klienten.«

      »Sie ist halb Vietnamesin, halb Chinesin.«

      »Aber ihr Problem liegt hier in Kanada?«

      »Ja, ich glaube schon.«

      »Nun, hierzulande kann sie andere Optionen verfolgen. Sie könnte sich eine Anwältin nehmen, einen guten Steuerberater oder sogar eine hiesige Inkassofirma beauftragen. Das hier ist ein Land, in dem Gesetze tatsächlich greifen.«

      »Sie würde sich da nicht gut aufgehoben fühlen. Und soweit ich das verstanden habe, ist ihr Problem ziemlich kompliziert.«

      »Inwiefern?«

      »Sie ist sehr ausweichend, was die Details angeht. Wenn ich sie darauf anspreche, schüttelt sie bloß den Kopf und seufzt.«

      »Mummy, ehrlich … Ich glaube nicht, dass das ein Job für mich ist.«

      Jennie Lee nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette, und Ava sah, wie sich ihre Kiefermuskeln wieder spannten. »Die Sache ist die: Ich habe ihr schon gesagt, dass du mit ihr sprechen würdest.«

      »Ich wünschte, das hättest du nicht getan.«

      »Nun, das habe ich aber, und jetzt ist es nicht mehr rückgängig zu machen.«

      »Warum?«

      »Sie hat heute eigentlich gar keinen Dienst. Sie kommt den ganzen Weg von Mississauga hierher, nur um sich mit dir zu treffen.«

      Ava seufzte. »Ich wünschte, du würdest so etwas nicht tun.«

      »Es tut mir leid. Aber du brauchst sie doch nur anzuhören und ihr den richtigen Weg aufzuzeigen.«

      Ava


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