MUSIK-KONZEPTE 191: Martin Smolka. Группа авторов

MUSIK-KONZEPTE 191: Martin Smolka - Группа авторов


Скачать книгу
sofort Erinnerungen an andere Musik. Wie im Werktitel angekündigt handelt es sich um das »Redream« eines romantischen Topos wie beispielsweise vom solistischen Anfang der Violinen im Adagio-Kopfsatz von Mahlers unvollendeter 10. Sinfonie. Smolka gestattet sich »ein so altmodisches romantisches Ausdrucksmittel wie den expressiven Einklang symphonischer Streicher«.11 Er komponiert unmittelbar expressive Musik und zugleich im Wissen um deren historische Verwandtschaft ›Musik über Musik‹. Eine zweite Reprise der repetitiven Anfangsakkorde ab T. 187 verkehrt insofern die Verhältnisse, als die Pattern jetzt nicht mehr die Regel bilden, sondern die Ausnahme innerhalb eines ständig variierten Gefüges, in dem ab T. 231 auch die expressive Streicher-Melodie wiederkehrt. Der letzte Abschnitt (T. 288–381) besteht dann ausschließlich aus Rückblick – im Werktitel als »Reflight« bezeichnet. Bestimmendes Element sind hier obligate Tonpendel, die zuvor nur vereinzelt auftraten und jetzt um a-Moll zentriert durch alle Register und Instrumente wandern. Dynamisiert wird diese in sich bewegte, äußerlich jedoch statische Textur durch schnell vom pp zum fff anschwellende Repetitionsfolgen der Violinen, die sich teils mikrotonal überlagern und endlich in den aus Beethovens »Allegretto« stammenden a-Moll-Schlussakkord auslaufen. Wie zum Anfangsakkord scheppert dazu blechern ein Peking-Opern-Gong, der während des gesamten Stücks hier zum zweiten Mal seinen verbeult wirkenden Klang hören lässt, als wollte er – wie der Schellenkranz in Mahlers 4. Sinfonie – die dazwischen beschworene romantische Kunstmusiktradition in ironisierende Anführungszeichen setzen, weil alles nur Oper und nicht so ernst gemeint gewesen sei: »Typical for my work […] is to juxtapose against these moods oposite expressions like furore or grotesque.«12 Im Werkkommentar zu Remix, Redream, Reflight gesteht Smolka:

      III Klangnatur und Naturklang: Semplice (2006)

      Satz I des sechssätzigen Werks zeigt die für Smolkas Komponieren typische Kombination aus Einfachheit und Komplexität sowie von phänomenalem Zeigen und sprechendem Ausdruck. Während der ersten 20 Takte bestehen sämtliche Einsätze nur aus kleinen Terzen eg in verschiedener Oktavlage, Instrumentation, Dynamik, Dauer und Spielweise. Einst beleuchtete Franz Schubert wiederkehrende Themen durch immer andere Harmonisierungen, nun macht Smolka dies mit einem einzigen Intervall. Statt Variationen über ein Thema komponiert er solche über eine Terz. Der tonalen Konformität eines reduzierten Tonvorrats stellt er einen umso größeren Reichtum an nuancierten klanglichen Individualitäten gegenüber (Notenbeispiel 5). Im langsamem 4/4-Metrum schlägt zunächst der Cembalist die Terz e′′′ – g′′′ mp an. Während die Töne drei Viertel lang verklingen, kommen Violine und Viola von Ensemble I mit derselben Terz eine Oktave tiefer pp col legno battuto hinzu und schlägt der Perkussionist auf zwei entsprechend gestimmte Gongs. So reichen sich gleich zu Anfang typische Instrumente und Spieltechniken der neuen Musik und des Barock unter ausdrücklicher Wahrung ihrer Eigenart die Hand. Nach einer Generalpause beginnt in T. 3 abermals das Cembalo mit der Mollterz, nun jedoch piano und länger gehalten. Die Basslaute Chitarrone – auch Theorbe genannt – folgt mp mit der Oktavspreizung zur Dezime e′ – g′′, zu der sich aus Ensemble I Pizzikati auf den Saiten des Innenklaviers gesellen. Betonte T. 1 die Unterschiede der Aktionen, unterstreichen nun T. 3 und 5 die Verwandtschaft der Saiteninstrumente: Gezupft erinnert der moderne Konzertflügel an das Cembalo und mit der Oktavspreizung an die Theorbe. Deutliche Farb- und Intonationswechsel setzen dann Röhrenglocken und die mit Schrauben präparierten Klaviersaiten e und g. Außerdem bewirken modifizierte Zupfstellen im Innenklavier andere Klangfarben.

Nonnenmann_05.tif

      Notenbeispiel 5: Martin Smolka, Semplice für neue und alte Instrumente (2006), T. 1–11, ohne Streicher von Ensemble II, © Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2006

Nonnenmann_06.tif
Скачать книгу