Blutpharmazie - Im Bannkreis des Voodoo. Andreas Reinhardt

Blutpharmazie - Im Bannkreis des Voodoo - Andreas Reinhardt


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sympathische Duft frisch gemahlenen spanischen Kaffees zog durchs ganze Haus und wies dem Gastgeber schließlich den Weg zurück und in die gemütliche Küche, wo Pablo gerade das gemeinsame Frühstück vorbereitete. Es gehörte zum gewohnten Ritual der so unterschiedlichen Männer, mehrmals in der Woche zum Essen zusammenzukommen, sofern sich der umtriebige Weltenbummler in seiner Wahlheimat aufhielt. Selbstredend wusste der in die Jahre gekommene Bergbauer nichts vom Doppelleben des Anderen, und vermutlich hätte auch das nichts an ihrer besonderen Beziehung geändert. Dass Pablo hier so frei ein und aus gehen konnte, sprach jedenfalls eine deutliche Sprache. Natürlich blieb zu erwähnen, dass zwischen den vergleichsweise wenigen Menschen in den andalusischen Bergen generell großes Vertrauen herrschte und Haustüren selten abgeschlossen wurden. Die Begrüßung fiel wie immer herzlich aus, ohne überschwänglich zu sein. Wie auf Kommando stürmte allerdings der riesige ungarische Hirtenhund Pablos herbei, um ungleich aufgeregter seinen Anteil an der Wiedersehensfreude einzufordern. In aller Ruhe wurden die Frühstücksutensilien nach draußen gebracht, um einen rustikalen Holztisch vor dem Haus zu decken.

      Die beiden saßen bereits eine Weile in geselliger Stille beisammen, und Pablo goss gerade Kaffee nach, als Bonifacius nachdenklich das Gespräch suchte: »Was weißt du über Hexen?«

      Der Angesprochene schaute ihn einige Sekunden stirnrunzelnd an – nicht etwa aus Überraschung wegen der Frage, sondern weil er über eine gehaltvolle Antwort nachdachte. »Zu dem Thema gibt es viel zu sagen und viel zu wissen. Hexen kennt man ja auf der ganzen Welt. Bestimmt haben sie ihren Platz in jeder Kultur von Grönland bis Japan. Und in früheren Zeiten hätte wohl niemand ihre Existenz geleugnet. Aber in der Welt von heute, mit moderner Wissenschaft und Technik-Hokuspokus, werden Hexen lieber als Ammenmärchen abgetan. Wie sie aussehen, was sie bezwecken oder wie groß ihre magischen Kräfte sind, das wissen wir nur noch aus Gruselfilmen.«

      Daraufhin beugte sich der alte Mann der Berge ein Stück weit über den Tisch, so als war das Folgende nicht für jedermanns Ohren bestimmt: »Lange bevor kultureller Austausch zwischen den Völkern dieser Welt stattfand, gab es schon übereinstimmende Hexenbeschreibungen. Wenn die also nie existiert haben, wie ist dann so etwas möglich?«

      Betrübt ließ er sich zurücksinken und streichelte den noch jungen Hütehund, der ihm nur selten von der Seite wich. »So oder so, „Hexe“ ist ein missbrauchter Begriff.«

      Eine Feststellung, die unbedingt eine Nachfrage lohnte: »Was meinst du?«

      Pablo trank seinen Kaffee und lächelte bitter. »Menschen tun alles, um nur nicht die Verantwortung für eigene Taten übernehmen zu müssen. Sie brauchten schon immer einen Sündenbock für ihre Verfehlungen und Ängste. 'Ich wurde versucht', 'etwas hat mich gezwungen' oder 'sie hat meinen Mann verhext'. Die beschuldigten Frauen waren angeblich unmoralisch, böse und wollten die Menschen verderben. Wo immer ein ungewöhnlicher Todesfall auftrat, eine Epidemie ausbrach oder Felder verdorrten, mussten der Teufel und seine Hexen am Wirken sein. Aber in Wahrheit liegt alles, was der Mensch Hexen je an Grausamkeiten und Perversionen angedichtet hat, in seiner eigenen Seele begründet. Und sollte es tatsächlich Hexen geben, also Frauen mit magischen oder übersinnlichen Fähigkeiten – woran ich persönlich nicht zweifle – werden sie aus guten Gründen nicht in Erscheinung treten. Wie viele Frauen sind alleine schon deshalb als Hexe gequält, verstümmelt und verbrannt worden, weil sich Männer von ihrer Schönheit angezogen fühlten und Ehefrauen aus Eifersucht zur Anklägerin wurden. Andere landeten auf dem Scheiterhaufen, nur weil ihr Umgang mit Kräutern Kranke heilte. Mit der Inquisition in Europa hat die christliche Kirche jedenfalls so viel unschuldiges Leben vernichtet, wie es tatsächliche Hexen sicher nie getan hätten oder hätten tun können.«

      Für Bonifacius war es an der Zeit, nachdenklich zu nicken. »Einverstanden, aber nehmen wir mal an – rein hypothetisch – es würde Hexen geben, ein Teil von denen wäre den Menschen feindlich gesonnen und würde ihnen Schaden zufügen wollen. Aus welchem Grund?«

      Ihn traf ein argwöhnischer Blick. »Danach will ich aber wissen, weshalb dich das Thema so interessiert. - Also gut, in dem Fall wäre es wahrscheinlich Daseinszweck der Hexe, die menschliche Moral, gesellschaftliche Regeln und Tabus in Frage zu stellen – ja selbst die Naturgesetze. Sie würde Unruhe stiften, um Menschen auf die Probe zu stellen, um sie vom rechten Weg abzubringen. Es geht um das ewige Spiel Gut gegen Böse. Vermutlich wären solche Hexen nur die Handlanger und Vollstrecker noch mächtigerer dunkler Kräfte, so wie Soldaten politischen Zielen dienen und Staatsräson auf Kommando durchsetzen. – So, mein Freund, jetzt bist du dran«, endete Pablo fordernd.

      »Mir geht es um die Hexe als Symbol. Ich hatte letzte Nacht einen heftigen Traum. Hexen spielten darin eine wichtige Rolle. Sie haben mich attackiert. Ich will wissen, was dahintersteckt.«

      Der Gast hatte begonnen, eine frisch abgeschnittene Scheibe Bauernbrot üppig mit Schinken, Käse, Tomate und Kräutern zu belegen, wobei er an jeder einzelnen Zutat genüsslich roch. »Ich bin ja kein Traumdeuter, aber die über Jahrhunderte hinweg weitergegebenen Ammenmärchen vom Bösen und Schlechten in der Gestalt von Hexen sind tief in unser Unterbewusstsein eingegraben. Schau dir die hysterische Angst vor dem Wolf an. Nicht anders. Träumt man also von Hexen und Wölfen, stehen die für Bedrohung, Ängste, Gefahr. Für einige Menschen sollen Träume ja wie ein mystisches Tor über Zeit und Ort hinweg sein. Manche Leute behaupten sogar, es sind komplexe göttliche Botschaften.«

      Das animierte den Gastgeber zu einem befreienden Auflachen: »Also zu denen gehöre ich.«

      Pablo ließ sich anstecken: »So wie ich.«

      Der Tisch war so reich mit appetitlichen Lebensmitteln der Region gedeckt, dass das Gelage bis in den Vormittag hinein andauerte. Man sprach über Gott und die Welt, was für beide Seiten einmal mehr erquicklich war. Ein Fremder mochte den Spanier aufgrund der mangelnden Schulbildung vielleicht für einen unwissenden Bauern mit Viehbestand halten, doch sein um zwei Generationen jüngerer Freund wusste es besser. Der wusste um die Lebensweisheit und kannte die anspruchsvolle Büchersammlung des Ehrenmannes – gelesen, verstanden und um umfassende Kommentare bereichert.

      Und eben dieser Mann formulierte einen ergänzenden Gedanken: »Was ich nicht weiß ist, wann und unter welchen Umständen die Hexenverfolgung in Europa genau endete. Auch ein spannender Punkt.«

      Der geschichtsinteressierte Journalist war gerne bereit für Aufklärung zu sorgen, wobei der Begriff „Aufklärung“ ihm ein wohliges Lächeln entlockte: »Den Anfang vom Ende dieser menschenverachtenden Barbarei verdankt Europa wohl dem preußischen König Friedrich Wilhelm I. Im Geiste der „Aufklärung“ und seines frühen Verständnisses für Rechtsstaatlichkeit, musste ihm ab 1714 jedes Gerichtsurteil zur Bestätigung vorgelegt werden, das auf Hinrichtung und Folter – auch wegen Hexerei und Ketzerei – lautete. Er widerrief die meisten dieser Urteile. Sein Sohn Friedrich II. schaffte bei Amtsantritt 1740 nicht nur Hinrichtung und Folter bei zunächst noch wenigen Ausnahmen ganz ab, auch Hexenprozesse wurden verboten. Damit bezog er als erster christlicher Herrscher in Europa eindeutig Stellung für religiöse Toleranz und gegen die gewalttätige Dogmatik der Kirche. Preußen setzte fortan auf die angeborene Fähigkeit zur Vernunft und zum Verständnis für Sitte und Ethik, aber auch auf die Verpflichtung zum verantwortungsvollen Handeln gegenüber der Gemeinschaft. Davon sollte das preußische Menschenbild geprägt sein.«

      »Das wird die anderen gekrönten Häupter und Päpste aber gar nicht amüsiert haben«, feixte Pablo, »der drohende Verlust wichtiger Machtinstrumente.«

      »Nicht amüsiert?«, kam Bonifacius erst so richtig auf Betriebstemperatur, »das dürfte den edlen Herren den puren Angstschweiß auf die Stirn getrieben haben. Neid und Missgunst waren zweifellos auch im Spiel, denn der preußische Staat bot eine beispiellose Alternative an – einen modernen Verwaltungs- und Rechtsstaat, der jedem seiner Bürger die selben Rechte wie Pflichten zugestand und auferlegte.«

      Die Augen seines Gegenübers wurden zu lauernden Schlitzen: »Und wie passt dieses preußische Menschenbild zu Begriffen wie „Obrigkeitshörigkeit“ oder „Kadavergehorsam“?«

      »Gar nicht«, kam die prompte Antwort, »gern bemühte Propagandabegriffe, die der Realität nicht gerecht werden. Alles hatte sich dem Gesetz und den sittlichen


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