Tagebuch eines Hilflosen. Francis Nenik

Tagebuch eines Hilflosen - Francis Nenik


Скачать книгу
nennt man dann wohl ein Salomonisches Salmanisches Urteil.

       21.11.2018

      Die Zahl derjenigen, die sich selbst dem christlichen Glauben zurechnen, sinkt in den USA seit Jahren, von 85 % anno 1990 auf 75 % anno 2018. Und doch, seit dem Amtsantritt Donald Trumps ist in fast allen Bereichen des Lebens qualitativ ein Erstarken der Religion zu verspüren. Noch der hinterletzte Hinterwäldler fühlt sich inzwischen bemüßigt, öffentlich ein bisschen Gegenaufklärung zu betreiben. Und an vorderster Front: die Impfgegner. Mehrfach schon hat sich Donald Trump mit ihren führenden Vertretern getroffen, über 20 Mal in seinen Tweets Partei für sie ergriffen und wiederholt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus hergestellt. Die Folge: Inzwischen mehren sich in den USA die Ausbrüche von Windpocken und anderen Krankheiten. Überall im Land blühen die Gesichter. Aktuell hat es eine Waldorfschule in North Carolina erwischt. Sie hat die höchste Rate an religiösen Impfverweigerern im ganzen Bundesstaat, und daran wird sich auch nichts ändern, wenn die Sache wieder vorbei und alles bis zur Unkenntlichkeit verheilt ist. Die Impfgegner bleiben in ihren Bläschen wie Donald im Amt – und das Denken verkrustet weiter.

       22.11.2018

      Und der Herr sprach: »Sorget euch nicht, ›Trump‹ ist Teil des Wortes ›Damenstrumpfhose‹, was soll schon Schlimmes passieren?«

      »Amen«, sagten die Besorgten und zogen wie Laufmaschen von dannen.

       23.11.2018

      Donald Trump ist kein historisch denkender Mensch. Er ist einer, der komplett in der Gegenwart lebt und dessen einziger Rückbezug die bedeutenden Leistungen sind, die man ihm seiner Meinung nach im großen Buch der Geschichte künftig und für alle Zeiten zuschreiben wird. Ansonsten interessiert ihn die Vergangenheit nicht weiter. Aber wer weiß, vielleicht ist das ja auch eine Chance, etwas zu lernen. Warum Donald Trump nicht mal zum Vorbild nehmen und die Geschichte ein bisschen mehr ignorieren? Es heißt zwar immer, sie sei dazu da, um aus ihr zu lernen, gemachte Fehler nicht zu wiederholen, und die Gegenwart besser verstehen zu können. Aber tatsächlich wird die Geschichte meist nur dazu benutzt, um Vorwürfe zu (re-)konstruieren. Nicht gemeinsames Handeln und Einsicht, sondern gegenseitige Angriffe und Rückschläge, das ist die Dialektik eines Geschichtsbewusstsein, das klaftertief in der Gegenwart steckt und mit seiner Spitze immer schon den nächsten Morgen anbohrt. Bei Donnie dagegen fungiert der Präsentismus als Präservativ. Er schützt den Präsidenten vor sich selbst und bettet ihn ein in die prästabilisierte Harmonie einer präteritumslosen Zeit. Warum also – und sei’s auch nur zur Abwechslung – nicht mal diesen Blick auf die Welt präferieren?

       24.11.2018

      Im Juli hatte Arthur Jones, ehemaliger Anführer der American Nazi Party und seit Jahrzehnten einer der aggressivsten Holocaustleugner, bekannt gegeben, für die Republikaner in Illinois bei den Kongresswahlen anzutreten. Daraufhin empfahl die Führungsriege der Republikaner, den Kandidaten der Demokraten zu wählen. Ein republikanischer Senator twitterte sogar, Jones sei ein »bigotter Blödmann« und solle »keine einzige Stimme bekommen«. Nun, da die Wahl entschieden und seit einigen Tagen alles offiziell ausgezählt ist, steht fest, dass Jones zwar nicht gewählt worden ist, aber immerhin 56.944 Stimmen bekommen hat. Damit haben 26,5 % der Wähler ihr Hakenkreuz bei ihm gemacht.

       25.11.2018

      »Migranten an der Südgrenze dürfen nur dann in die Vereinigten Staaten einreisen, wenn ihre Ansprüche vor Gericht einzeln genehmigt werden.«*

      »Versuchen Sie es, in die Exekutive in Washington, einen Anbau des Weißen Hauses, zu gelangen. Polizeibeamte bewachen den Eingang und fragen eingehend nach der Art ihres Anliegens, und nur wenn sie annehmen, daß ein Erfolg möglich wäre, wird Ihnen der Eintritt gütigst gestattet. Sie kommen dann in ein Wartezimmer, in dem Sie ein halbes Dutzend auch Audienzsuchende und viele Beamte finden. Aus dieser schon einmal nach Gefallen gesichteten Anzahl wird zwei oder drei besonders Begünstigten der Zutritt gewährt; die andern warten und warten, bis ihnen schließlich beschieden wird: ›Es tut dem Präsidenten leid, aber es ist ihm unmöglich, Sie heute noch zu sehen.‹«*

       26.11.2018

      Alle Welt weiß: Donald Trumps Präsidentschaft schlägt sich nicht nur in seinen eigenen Worten nieder, sondern hat auch Folgen für die Wortwahl seiner Anhänger und Gegner. Was dagegen nicht alle Welt weiß: Wortwahlen kann man auch zelebrieren. Das hat heute die Redaktion von dictionary.com getan und denjenigen Begriff gekürt, der das Jahr 2018 aus ihrer Sicht am besten charakterisiert. Der Sieger lautet »misinformation«. Ein Wort, das freilich nicht mit »disinformation« verwechselt werden darf. Denn während »disinformation« das absichtsvolle Erzählen der Unwahrheit bedeutet, ist es bei der »misinformation« egal, ob der Erzähler in böswilliger Intention Mist von sich gibt oder einfach nur aus einem Mangel an Zeit oder Lust die Fakten nicht prüft, sie falsch zusammenfasst oder aus simpler Trantütigkeit die Menschheit mit einem weiteren Pfund Fehlinformationen versorgt. Allerdings muss sich die »misinformation« den 1. Platz teilen, denn vor einigen Tagen hatten bereits die Oxford Dictionaries ihr Wort des Jahres 2018 gewählt. In diesem Falle hieß der Gewinner »toxic«. Zusammengenommen ergibt das »toxic misinformation«, was mir fast noch besser gefällt als die beiden Sieger und mal wieder zeigt, dass das Ganze doch mehr ist als die Summe seiner Teile. Allerdings gelten die beiden Unwörter nur für die USA bzw. den englischsprachigen Bereich. Ob Amerikas großer Gegner China auch solche Wortwahlen veranstaltet, weiß ich zwar nicht, aber immerhin steht fest, dass sie dort gerade das »Jahr des Hundes« begehen. In Deutschland wiederum kommen in der Regel nur die Jurys auf den Hund, die solche Unwörter wählen, wobei es auch eine Jugendwortwahl gibt, die versucht, die Veränderungen in der Sprache von Jugendlichen abzubilden, was dazu geführt hat, dass »Ehrenmann« bzw. »Ehrenfrau« zum Jugendwort des Jahres erklärt wurden. Zusammengefasst könnte man also für das Jahr 2018 sagen: Dank diverser Ehrenmänner (oder Ehrenfrauen) ist unser blauäugiger Planet auf den vergifteten Hund gekommen, und zwar auf einen, bei dem man nicht weiß, ob sein Schwanzwedeln Mitleid erregen oder von einem bevorstehenden Angriff künden soll.

       27.11.2018

      Wenn es so weitergeht, wird die Nachwelt die First Lady Melania wegen genau vier Dingen in Erinnerung behalten:

      1. Ihre Weihnachtsdekoration im Weißen Haus im Jahr 2017.

      2. Ihre Weihnachtsdekoration im Weißen Haus im Jahr 2018.

      3. Ihre Weihnachtsdekoration im Weißen Haus im Jahr 2019.

      4. Ihre Weihnachtsdekoration im Weißen Haus im Jahr 2020.

      PS: Damit die Erinnerung ein bisschen Farbe bekommt und nicht so schnell verblasst: 2017 war die Deko in glänzendem Alt-Right-Weiß gehalten, während sie 2018 in tiefsattem Commie-Rot strahlt. Was 2019 und 2020 rauskommt, weiß ich nicht, sehe angesichts dessen, was ich gestern geschrieben habe, aber Schwarz.

       28.11.2018

      Aktueller Klimareport der USA. Bearbeitungsdauer: 4 Jahre. Beteiligt: 300 Klimaforscher aus 13 Bundesbehörden. Ergebnis: Der Klimawandel wird die USA jedes Jahr Milliarden kosten, wenn nicht endlich mehr dagegen getan wird. Reaktion von Trump: »Glaub ich nicht.« Begründung seiner Pressesprecherin: »Der Report basiert nicht auf Fakten. Es fehlt an Daten. Wir würden gern etwas mit mehr Daten sehen.«

      Na schön, wie wäre es damit? Datensätze aus dem erklärten Lieblingsbuch des Präsidenten. Da glaubt er auf jeden Fall dran: »Entweiht liegt die Erde unter ihren Bewohnern, denn sie haben Gottes Gesetz übertreten, seine Ordnungen missachtet und den ewigen Bund


Скачать книгу