Tagebuch eines Hilflosen. Francis Nenik

Tagebuch eines Hilflosen - Francis Nenik


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noch »freiwillig« für einen Dollar pro Tag arbeiten oder – statt Geld zu bekommen – für ihre Dienste mit ein paar billigen Snacks abgespeist werden, wird klar, dass man aus der Scheiße, in der diese Leute stecken, tatsächlich Gold machen kann.

       26.12.2018

      Donald Trump hat heute in der Kantine der US-Luftwaffenbasis Al Asad im Westirak eine als Truppenbesuch getarnte Wahlkampfveranstaltung abgehalten. Dabei erklärte er den anwesenden Soldaten, er persönlich habe dafür gesorgt, dass sie nach zehn Jahren erstmals wieder eine Lohnerhöhung bekommen und dass das Plus volle 10 % betragen werde. Tatsächlich haben die amerikanischen Streitkräfte seit Jahrzehnten jedes Jahr eine Lohnerhöhung erhalten, nur werden es auch 2019 nicht 10 % sein. Es gibt lediglich 2,6 % oben drauf. Der Letzte, der den Soldaten den Lohn um 10 % erhöht hat, war Ronald Reagan. Er hatte am 14. Oktober 1981 den »Uniformed Services Pay Act of 1981« unterschrieben, der Lohnsteigerungen von 10 bis 16,5 % zur Folge hatte. Aber davon kann Donald Trump natürlich nichts wissen. Er war 1981 damit beschäftigt, ein großes Wohnhaus am Central Park zu kaufen und die Mieter mit Strom- und Wasserabschaltungen rauszutreiben, weil er das Gebäude abreißen und an seiner Stelle Luxusapartments errichten wollte. Allerdings ist er damit nicht durchgekommen. Die Leute sind geblieben. Und die 2,6 % für 2019 werden es auch tun.

       27.12.2018

      Der neue School Safety Report der Trump-Administration bestärkt die Schulbezirke darin, mehr bewaffnetes Sicherheitspersonal einzusetzen, lobt staatliche Programme zur Bewaffnung von Lehrern und schlägt vor, dass Schulen Bundesmittel nutzen könnten, um ihre Mitarbeiter im Gebrauch von Schusswaffen zu trainieren. Der Report beruht laut eigener Aussage auf einer zweimonatigen Anhörungstour durch eine Reihe von Schulen. Was der Report dagegen nicht erwähnt, ist, dass sich auf den Veranstaltungen zahlreiche Lehrer, Eltern und Schüler gegen Waffen in der Schule ausgesprochen haben. Bildungsministerin Betsy DeVos hat davon allerdings nichts mitbekommen. Sie war bei keiner der Anhörungen dabei. Sie hatte eine Kommission eingesetzt, die für sie durch die Bundesstaaten zog. Die Empfehlungen ihrer Gewehrsleute stammen allerdings mehrheitlich aus republikanisch dominierten Gebieten, den sogenannten »red states«. Das sind jene Bundesstaaten, bei denen pro Schüler das meiste Blut aus den Schusswunden läuft.

       28.12.2018

      Tagebücher sind Begleitschreiben der Gegenwart für künftige Historiker. Sie sind Passagenwerke im ursprünglichen Sinne des Wortes. Ihr Nutzen besteht in ihrer Unmöglichkeit, die Geschichte vom Ende her zu erzählen.

       29.12.2018

      Donald, der Brüllaffe, lebt in einem Haus,

      das von außen mit Flüsterweiß angemalt wurde.

      Dort trifft er sie alle, die Saubermänner,

      hinter den mit Keimfarbe gestrichenen Wänden.

       30.12.2018

      Die aktuelle Haushaltssperre öffnet die Schleusen der menschlichen Ichbezogenheit und gibt in den amerikanischen Nationalparks den Blick frei auf vermüllte Wiesen, vollgeschissene Campingplätze und quer durchs Gelände führende Autospuren. Es ist eine neue Art, im Land der von keiner Behörde mehr begrenzten Möglichkeiten die Freiheit des Individuums zu zelebrieren. Bisher wurden die Parks während des Shutdown geschlossen, aber unter Trump bleiben sie offen – und das Innere mancher Besucher kann ungehindert nach außen treten.

       31.12.2018

      »Greifst du mir an die Hoden, Maus, geh ich mit dir ins Modenhaus.«

      (Donald Trumps Neujahrswunsch an Melania.)

       01.01.2019

      »Maus’ ich im Modeladen Sachen, kann ich auch ohne ihn ’ne Sause machen.«

      (Melanias Wunschantwort, im Innern ihres Kopfes langsam verhallend.)

       02.01.2019

      Falls der alte Chauvi Donald so etwas wie Rückbesinnung betreibt, dürfte ihm der Schreck in die Glieder gefahren sein bei der Erkenntnis, dass die einzigen Mitglieder seines Kabinetts, die im Jahr 2018 keinen politischen Skandal verursacht und sich überdies aus dem ganzen Hauen und Stechen innerhalb der Regierung herausgehalten haben, drei Frauen waren: Linda McMahon, die Leiterin der Mittelstandsbehörde, Elaine Chao, ihres Zeichens Verkehrsministerin, und Nikki Haley, die bis zum 31.12. als US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen fungiert hat.

       03.01.2019

      Der Trump-Satz des Tages lautet: »I don’t care about Europe.« Wobei das Desinteresse alles andere als neu ist. Es ist vielmehr Ausdruck einer in weiten Teilen der amerikanischen Gesellschaft tief verwurzelten Ignoranz gegenüber der Alten Welt, ein großes Schulterzucken bei dem Gedanken, dass auf der anderen Seite des Großen Teiches auch Menschen über die Erde stapfen. Donald Trump bedient diese Tradition. Sätze wie dieser lassen seine Wähler andächtig nicken. Europa selbst ist dabei aber nur Teil eines viel größeren Desinteresses, das im Grunde alles umfasst, was nicht die Vereinigten Staaten sind – und Jobs. Jobs und America First sind das, was viele Amerikaner wollen. Und Donald Trump gibt es ihnen. Aber er war nicht der erste und wird auch nicht der letzte sein. Er ist nur derjenige, dessen Stammtischparolen besonderen Widerhall finden – in den Kneipen, in denen sie seit Jahrzehnten gehört, gepflegt und weitergesponnen werden.

      Die Ethnolinguistin Julie Lindquist hat derartige Gespräche bereits 1992 aufgezeichnet und später in ihrem Buch A Place to Stand. Politics and Persuasion in a Working-Class Bar wiedergegeben. Die Aussagen der Kneipenbesucher lesen sich nicht anders als Trumps Tiraden, nur dass die damaligen Heilande George Bush, Dan Quayle und – vor allem – Ross Perot hießen. Viele Arbeiter und Angestellte waren fasziniert vom Selfmade-Milliardär Perot, der sich als Anti-Establishment-Kandidat und erfolgreicher Jobschaffer inszenierte. Kein Wunder, dass sie ihm mit ihren Worten nacheiferten und schon damals so sprachen wie Donald Trump heute.

      »I wanna get the country JOBS«, sagt einer der Gesprächsteilnehmer anno 1992 in einer Bar in Chicago. »I don’t care about Europe, Mexico, I don’t care about nobody! Get the kids in my country jobs.«

      Die damaligen »kids« sind heute die Wähler Donald Trumps.

       04.01.2019

      Anlässlich der gestern begonnenen 116. Legislaturperiode des Kongresses der Vereinigten Staaten, der aus 100 Senatsmitgliedern und 435 Abgeordneten im Repräsentantenhaus besteht, hier mal ein kleiner historischer Vergleich bezüglich der Zahl an Frauen im Repräsentantenhaus:

      1989: 16 Frauen bei den Demokraten / 13 Frauen bei den Republikanern

      2019: 88 Frauen bei den Demokraten / 13 Frauen bei den Republikanern

       05.01.2019

      Der Freedom of Information Act (FoIA) ist das amerikanische Gesetz zur Informationsfreiheit. Als solches schafft es die Voraussetzungen für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und ist besonders für Medienvertreter und Interessengruppen eine Grundlage ihrer Arbeit, um an Informationen über Regierungshandeln zu kommen. Aufgrund des Shutdowns werden momentan aber keine Anfragen über die FoIA-Webseite entgegengenommen, obwohl die Webseite die Anfragen automatisch verarbeitet und laut einer Anweisung aus dem Justizministerium von 2017 Anträge auf Auskunft auch während eines Shutdowns angenommen werden müssen. Aber damit noch nicht genug der Ungereimtheiten: Denn während der einen Seite widerrechtlich Informationen


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