Der Dreißigjährige Krieg. Ricarda Huch

Der Dreißigjährige Krieg - Ricarda Huch


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muss die Zü­gel füh­ren, und das wer­de ich tun trotz Oxens­tier­na.«

      Er wol­le es glau­ben, er­wi­der­te Skyt­te; aber der Mensch fol­ge auch un­be­wusst dem Rat, der ihm be­stän­dig ins Ohr fal­le. Er wis­se wohl, was Oxens­tier­na im Sin­ne habe: er wol­le den Kö­nig durch Krieg be­schäf­ti­gen, da­mit sich der Adel da­heim des Steu­ers wie­der be­mäch­ti­gen kön­ne. Da­rum we­cke er in Gu­stav Adolf die Erin­ne­rung an das alte skan­di­na­vi­sche Drei­kö­nig­reich und rei­ze ihn ge­gen Dä­ne­mark, mit dem er es doch nicht auf­neh­men kön­ne.

      Nein, rief der jun­ge Kö­nig rasch und hef­tig auf­sprin­gend, wenn er es wis­sen wol­le, so sei es um­ge­kehrt. Er, ja er, hät­te sich blind auf den Kö­nig von Dä­ne­mark stür­zen und ihn am liebs­ten mit den Hän­den er­wür­gen mö­gen, den auf­ge­bla­se­nen Prah­ler, der sich er­dreis­tet hät­te, ihn mit sei­ner Flot­te bis in das Schloss von Stock­holm zu be­un­ru­hi­gen! Oxens­tier­na sei es, der ihm zu­re­de und vor­stel­le, er müs­se jetzt an sich hal­ten, bis er sei­ne Flot­te ver­stärkt und ein tüch­ti­ges Heer for­miert und es im Kamp­fe mit schwä­che­ren Fein­den ge­übt habe. Er sei we­der eine Pup­pe in Oxens­tier­nas Hän­den noch ein Schwäch­ling, der sich vor dem Kö­nig von Dä­ne­mark ver­krie­che, das wol­le er sei­ner­zeit be­wei­sen!

      Skyt­te trat einen Schritt zu­rück und be­trach­te­te nicht ohne Wohl­ge­fal­len die hohe und brei­te Ge­stalt des blon­den Kö­nigs­kna­ben, der auf ihn zu­ge­sprun­gen war und mit blit­zen­den Au­gen dro­hend vor ihm stand. »Es scheint zu­wei­len«, sag­te er sin­nend, »als hät­te ein Ge­schlecht nur einen ein­zi­gen durch die Zeit sich stre­cken­den Rie­sen­leib; denn so, wie du jetzt vor mir stehst, den­ke ich mir dei­nen Oheim, den un­glück­se­li­gen Erich Wasa.«

      »Und warum nicht?« sag­te Gu­stav Adolf, »habe ich doch sein Blut in mei­nen Adern.«

      »Das Blut der Wasa«, sag­te Skyt­te, die Stirn zu­sam­men­zie­hend, »fließt nicht wie ein brei­ter, be­fah­re­ner Strom, son­dern wie die Ka­ta­rak­te des Nor­dens, die don­nern und schäu­men und hoch auf­sprit­zen.«

      »Das ist rech­tes Kö­nigs­blut!« fiel Gu­stav Adolf rasch ein, des­sen blaue Au­gen leuch­te­ten.

      Skyt­tes Ge­sicht ver­düs­ter­te sich im­mer mehr. »Wie könn­te ein Kö­nig wohl­tä­tig herr­schen«, sag­te er, »der sein ei­ge­nes Herz nicht bän­di­gen kann!« Nun, sag­te Gu­stav Adolf, es sei­en jetzt an­de­re Zei­ten als die sei­nes Groß­va­ters und sei­ner Ohei­me, und er habe wohl ihr Blut, aber einen an­de­ren Geist. Dass er sein Herz be­meis­tern kön­ne, be­wei­se er jetzt in der dä­ni­schen An­ge­le­gen­heit und wer­de es fer­ner tun; aber es blei­be doch wahr, dass ei­nes Kö­nigs Brust hei­ßer und be­gie­ri­ger sein müs­se als die an­de­rer Men­schen; denn in ihm schla­ge das Herz des gan­zen Vol­kes.

      Wenn das wahr wäre, sag­te Skyt­te ei­gen­sin­nig, wür­de er, Gu­stav Adolf, die Schol­le lie­ben, die das Volk pflü­ge, nicht aber nach dem Mee­re trach­ten. Was frü­ge das Volk, das sein Le­ben auf den Schlacht­fel­dern ver­blu­ten las­sen müs­se, nach frem­den Län­dern, de­ren Schät­ze den Kö­nig zum Ty­ran­nen mach­ten?

      Von plötz­li­cher Un­ge­duld über­wäl­tigt, schlug Gu­stav Adolf mehr­mals mit der ge­ball­ten Faust auf den Tisch und rief, was denn al­les dies hei­ßen sol­le? Er, Skyt­te, sei es ge­we­sen, der ihm als Kna­ben, wäh­rend er ihn an der Hand durch die stil­len ver­schnei­ten Wäl­der führ­te, von den Strö­men des Nor­dens er­zählt habe und wie man durch den Don­ner ih­rer Was­ser­fäl­le zu­wei­len die schmel­zen­de Har­fe kön­ne sin­gen hö­ren, die der Neck spie­le. Er, Skyt­te, sei es ge­we­sen, der ihm zu­erst von sei­nem Groß­va­ter Gu­stav Wasa und von sei­nen Ohei­men er­zählt und sei­ne Brust mit Träu­men sei­nes un­ge­heu­ren Ge­schlechts er­füllt habe. Wa­rum er das ge­tan hät­te? Wa­rum er sei­nen Groß­va­ter den Hort Schwe­dens und die Son­ne des Nor­dens ge­nannt hät­te? Nun schel­te er ihn, weil er Wolfs­blut habe und Kö­nig sei.

      Skyt­te sah den er­zürn­ten Jüng­ling er­staunt an und be­dach­te sich eine lan­ge Wei­le. »Je­ner war ein Bau­ern­kö­nig«, sag­te er, »dar­um lieb­te ich ihn.«

      Ob er das etwa nicht sei, sag­te Gu­stav Adolf eif­rig. Ob ihm die Bau­ern nicht zu­ju­bel­ten und an­hin­gen? Aus sei­nen Bau­ern wol­le er ein un­be­sieg­ba­res Heer ma­chen und un­s­terb­li­che Ta­ten mit ih­nen tun. Er ver­ach­te die Tu­gen­den der Bau­ern nicht, ihre Ge­nüg­sam­keit und Rau­heit sei ihm mehr wert als weich­li­che Bil­dung. Was er zu tun vor­ha­be, wer­de er zum Woh­le des schwe­di­schen Vol­kes tun und zum Heil und Ruhm des rei­nen Chris­ten­glau­bens, des­sen Be­ken­ner er sei.

      Als Skyt­te ihn ver­las­sen hat­te, hing Gu­stav Adolf noch lan­ge den mäch­tig durch­ein­an­der­flu­ten­den Ge­dan­ken nach, die das Ge­spräch in ihm er­regt hat­te. Das leicht aus Holz ge­bau­te Schloss, in dem er sich be­fand, beb­te zu­wei­len von den Stö­ßen des von ei­nem star­ken Wind an die Küs­te ge­schleu­der­ten Mee­res, ohne dass es dem Träu­men­den zum Be­wusst­sein kam. Er dach­te an das, was er dem dä­ni­schen Kö­nig ge­gen­über be­reits durch­ge­setzt hat­te, dass er näm­lich wie je­ner Wap­pen und Ti­tel der drei skan­di­na­vi­schen Kö­nig­rei­che füh­ren durf­te und dass er ihm die große Sum­me, die er ihm zu zah­len sich ver­pflich­te­te, nicht als Schul­dig­keit oder Tri­but, son­dern als frei­wil­li­ges Ge­schenk leis­te­te. Vie­le Ge­sandt­schaf­ten wa­ren dar­über hin und her ge­gan­gen und vie­le Ver­hand­lun­gen ge­pflo­gen, und auf kei­ne der an­züg­li­chen Prah­le­rei­en Kö­nig Chris­tians war er ihm die Ant­wort schul­dig ge­blie­ben. Das moch­te der Welt we­nig schei­nen, und es kos­te­te ihn vie­le Mühe, sich mit so ver­steck­ten, ei­ner Nie­der­la­ge ab­ge­run­ge­nen Er­fol­gen zu be­gnü­gen; aber einst wür­den sie sei­ne Mä­ßig­keit und Weis­heit be­wun­dern und be­grei­fen, um welch he­ro­i­scher Zie­le wil­len er sei­ne An­sprü­che und sei­nen Mut ge­zü­gelt hat­te. Die Zeit wür­de kom­men, wo Chris­ti­an IV., der ver­meint­li­che Rie­se des Nor­dens, klein­ge­beugt vor ihm wei­chen wür­de, wo sei­ne An­ge­le­gen­hei­ten die des gan­zen Erd­krei­ses sein wür­den. Er fürch­te­te we­der ihn noch die an­ma­ßen­den Han­se­städ­te, noch die rei­chen hol­län­di­schen Staa­ten, die Grie­chen der neu­en Zeit, noch Eng­land, noch sei­nen Vet­ter, den pol­ni­schen Kö­nig Si­gis­mund, der ihm die Kro­ne strei­tig mach­te, und am we­nigs­ten den gicht­brü­chi­gen Je­sui­ten­kai­ser mit­samt sei­ner spa­ni­schen Ver­wandt­schaft, die je­nen of­fen und heim­lich un­ter­stütz­ten; es war eine un­aus­sprech­li­che Ge­wiss­heit in ihm, dass er, wenn er ein­mal sei­ne gan­ze Kraft aus­strö­men lie­ße, über sie alle hin­aus­gin­ge. Er war nur der arme Schwe­den­kö­nig; aber sein war das sal­zi­ge Meer, das einen Ring um die Erde schloss. Wäh­rend in grau­er Vor­zeit die Völ­ker des Fest­lan­des mit­ein­an­der um die Erde strit­ten, hat­ten die Nord­män­ner das Meer un­ter­jocht, das Ur­ele­ment, das Län­der ge­biert und ver­schlingt. Über das Meer hin rausch­ten sie auf ge­flü­gel­ten Dra­chen und grün­de­ten stol­ze Staa­ten mit­ten in der Won­ne des Sü­dens. Auch er woll­te nun rei­sen und die Welt se­hen. So­wohl Skyt­te wie Oxens­tier­na hat­ten Deutsch­land be­reist und ihm von sei­nen Wun­dern viel er­zählt; seit­dem lieb­te er es, sich das ur­al­te Reich vor­zu­stel­len, schwer von Ruhm und Weis­heit, ge­heim­nis­voll star­rend und glü­hend von den Ju­we­len sei­ner Städ­te, die wie köst­li­che Schrei­ne den hei­li­gen Staub von Jahr­hun­der­ten ver­wahr­ten. Da wa­ren die han­dels­mäch­ti­gen


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