Der Dreißigjährige Krieg. Ricarda Huch

Der Dreißigjährige Krieg - Ricarda Huch


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Him­mels. Sich nach Nor­den wen­dend, sah er, dass dicht über dem Ho­ri­zont eine graue Dunst­mau­er sich ge­bil­det hat­te, in der es wet­ter­leuch­te­te; es sah aus, als stie­ße eine Schlan­ge ihre lech­zen­de Zun­ge über das Ufer ei­nes Mee­res. »Ihr wer­det hoch stei­gen, hoch, hoch«, sag­te Ar­go­li sin­nend; »aber das Ende wird vor der Zeit kom­men. Es ist eine jähe Bahn. Die Kraft, die der See­le mit­ge­teilt wur­de, ver­teilt sich nicht ge­las­sen über das Da­sein, son­dern ver­dich­tet und staut sich und er­wirkt mit hit­zi­gem Re­gi­ment hit­zi­ges Wi­der­stre­ben; wie sie das Le­ben ver­schlingt, so wird das Le­ben sie ver­schlin­gen.« Er blick­te for­schend in das schma­le, gelb­lich­blas­se Ge­sicht des ihm ge­gen­über­sit­zen­den Man­nes, des­sen in schön ge­wölb­tem Hohl sich ver­ber­gen­de graue Au­gen mit vor­sich­tig zu­rück­ge­hal­te­ner Gier auf ihm ruh­ten. »Dass ich sterb­lich bin, weiß ich«, sag­te Wal­len­stein; »habt kei­ne Scheu, mir mit­zu­tei­len, was Ihr wisst, wenn der Be­scheid auch bit­ter ist.« Noch wis­se er gar nichts, ent­schul­dig­te sich Ar­go­li eif­rig, er müs­se nun Mes­sun­gen und Be­rech­nun­gen an­stel­len, aus de­nen er das Er­geb­nis zie­hen wer­de; am nächs­ten oder dar­auf­fol­gen­den Tage sei er be­reit, Wal­len­stein aus­führ­li­che Aus­kunft zu ge­ben.

      Als Wal­len­stein am nächs­ten Tag um die Mit­tags­zeit sich bei Ar­go­li ein­fand, zier­te die Mit­te der Ta­fel ein aus­ge­stopf­ter Ad­ler, in des­sen of­fe­nem Schna­bel eine Zitro­ne be­fes­tigt war. Es hät­te, sag­te Ar­go­li, mit lis­ti­gem Blick lä­chelnd, eine Oran­ge sein sol­len, doch sei ja, wie Wal­len­stein wohl wis­se, die­se Frucht eben nicht zei­tig; so habe er denn die läng­li­che Zitro­ne als un­ge­nü­gen­des Sym­bol des Erd­balls be­nüt­zen müs­sen. »Das soll nicht be­deu­ten«, fuhr er fort, »dass ich Euch als Cäsar grü­ße; denn des Wor­tes ›Kai­ser‹ will ich mich nicht be­die­nen, um selbst zwi­schen uns bei­den nichts aus­zu­spre­chen, was wie ein An­griff auf die hei­li­ge Ma­je­stät klän­ge.« Aber wenn auch nicht Kai­ser, wer­de er doch dem Kai­ser gleich sein. Tri­umph blitz­te aus Wal­len­steins dunklem Ge­sicht, und er wur­de im­mer auf­ge­räum­ter, je mit­teil­sa­mer Ar­go­li un­ter dem Es­sen sich zeig­te. Vom Os­ten kom­me ihm Ruhm und Ehre, sag­te Ar­go­li un­ter an­derm, dort wer­de der Schau­platz sei­ner Sie­ge sein. Er wer­de den Thron des Sul­tans um­stür­zen und das alte Reich von By­zanz er­neu­ern. Ob er nicht be­merkt habe, wie der dün­ne Halb­mond ges­tern Nacht beim Auf­stieg des Ju­pi­ters am öst­li­chen Him­mel wie ein fa­den­schei­ni­ger Lei­nen­fet­zen ver­schwun­den sei? Mars sei ihm güns­tig, nur zu­letzt wer­de et­was kom­men, das mäch­ti­ger als der Gott der Schlach­ten sei. Die­se Ge­fahr dro­he vom Nor­den, und vor dem Nor­den sol­le er auf der Hut sein; von dort­her kom­me sein Über­win­der. Aber das schlum­me­re in fer­ner Zu­kunft; noch sei der Kelch sei­nes Glückes nicht er­blüht und wer­de blü­hend noch lan­ge pran­gen.

      Tags dar­auf über­brach­ten reich­ge­klei­de­te Die­ner Wal­len­steins dem Pro­fes­sor Ge­schen­ke ih­res Herrn: einen sil­ber­nen Glo­bus, auf wel­chem in blau­em Schmelz der Ster­nen­him­mel ab­ge­bil­det war; eine Uhr, wel­che die in Erz ge­trie­be­ne Ge­stalt des Rie­sen At­las auf der Schul­ter trug, und eine sil­ber­ne, mit Halbe­del­stei­nen reich be­setz­te, kunst­reich und ge­heim­nis­voll ver­schließ­ba­re Kas­set­te, in der hun­dert Gold­du­ka­ten wa­ren.

      Auf der Rück­fahrt durch die blau­grü­ne Luft, die fie­bernd über den fri­au­li­schen Sümp­fen zit­ter­te, saß Wal­len­stein in sei­nen Wa­gen zu­rück­ge­lehnt und ließ sich, die mü­den Au­gen halb schlie­ßend, vom mys­ti­schen Flim­mern der Zu­kunft um­we­ben. Er at­me­te das un­end­li­che Schwei­gen der un­be­wohn­ten Ebe­ne wie Weih­rauch der Erde ein, die sich un­ter ihm bück­te; jen­seit des Um­krei­ses, den die Ehr­furcht sei­ner Grö­ße ein­räum­te, moch­ten die zu­rück­ge­wi­che­nen Völ­ker kni­en und scheu das sen­gen­de Gestirn vor­über­rol­len se­hen.

      1 klei­nes Kind <<<

      Mo­ritz von Hes­sen hat­te Ur­sa­che, stolz auf sei­ne Kin­der zu sein; na­ment­lich war er es auf die an­mu­ti­ge und klu­ge Eli­sa­beth, die so be­schei­den zu­zu­hö­ren wuss­te, wenn ihr Va­ter sich mit ge­lehr­ten Män­nern un­ter­hielt, und so über­ra­schend ge­dan­ken­voll mit­zu­spre­chen, wenn sie dazu auf­ge­for­dert wur­de. Schö­ner wa­ren die Söh­ne, de­nen die früh­ver­stor­be­ne Mut­ter ih­ren viel­be­wun­der­ten Reiz zum Ge­dächt­nis ein­ge­prägt zu ha­ben schi­en: Otto, der äl­tes­te, mit dem vol­len grie­chi­schen Mun­de und dem run­den Kinn, und Mo­ritz mit den gold­strah­len­den Au­gen, dem brau­nen Ge­lock und der mäd­chen­haft leicht er­rö­ten­den zar­ten Haut. Die jun­ge Stief­mut­ter sah die wun­der­vol­le Blü­te der be­vor­zug­ten Nach­kom­men ih­res Man­nes nicht ohne Ei­fer­sucht, doch war sie zu ein­sich­tig, um es mer­ken zu las­sen, und das An­se­hen des Land­gra­fen in der Fa­mi­lie zu groß, als dass Streit und Miss­hel­lig­keit sich laut her­vor­ge­wagt hät­ten.

      Es war ein Au­gen­blick schö­ner Ge­nug­tu­ung für Mo­ritz, als sein Erst­ge­bo­re­ner im Jah­re 1612 den neu­ge­wähl­ten Kai­ser Matt­hi­as in Frank­furt in ei­ner zier­li­chen la­tei­ni­schen An­spra­che be­grüß­te und die Au­gen der Fürs­ten nei­disch oder wohl­wol­lend auf dem Acht­zehn­jäh­ri­gen ruh­ten, nicht we­ni­ge von dem Ge­dan­ken er­füllt, wie lieb­lich der Sa­tan sei­ne ge­fähr­li­chen Werk­zeu­ge aus­zu­zie­ren wis­se.

      Bald dar­auf traf den glück­li­chen Va­ter ein jä­her Schlag, in­dem der zwölf­jäh­ri­ge Mo­ritz er­krank­te und schon nach zwei Ta­gen, be­vor noch je­mand die Ge­fahr des Zu­stan­des er­kannt hat­te, starb. Da man nichts an­de­res an­nahm, als dass es sich um ein leich­tes Fie­ber hand­le, stell­te Mo­ritz, am Bet­te des Kna­ben sit­zend, ihm al­ler­lei Auf­ga­ben als Un­ter­hal­tung und Prü­fung. Er dis­pu­tier­te mit ihm über das Abend­mahl, in der Wei­se, dass er ab­wech­selnd die Rol­le ei­nes Luthe­r­a­ners und ei­nes Pa­pis­ten spiel­te und der Klei­ne die Auf­fas­sung der Re­for­mier­ten bei­den ge­gen­über ver­tei­di­gen und sie mit Bi­bel­stel­len er­här­ten muss­te. Dann ließ er ihn Sät­ze aus dem Deut­schen ins La­tei­ni­sche und Fran­zö­si­sche über­tra­gen, was al­les Mo­ritz zu­frie­den­stel­lend aus­führ­te, die bren­nen­den Au­gen eif­rig und ein we­nig angst­voll auf den Va­ter ge­rich­tet, des­sen Un­ge­duld beim Un­ter­richt ihm be­kannt war. In der Ma­the­ma­tik je­doch, die des Land­gra­fen Lieb­lings­fach war, wur­den die Ant­wor­ten des kran­ken Kin­des un­si­cher und blie­ben ei­ni­ge Male ganz aus, so­dass der Va­ter es scharf zur Auf­merk­sam­keit an­hielt. »Ich wer­de es gleich wis­sen, lie­ber Va­ter«, sag­te das Kind, er­schro­cken die Hän­de fal­tend, und ließ den Kopf in das Kis­sen zu­rück­fal­len, in­dem es stam­melnd um Was­ser bat. Wie der Land­graf das Ge­sicht sei­nes Soh­nes sich ver­fär­ben sah, sprang er auf, läu­te­te, rief nach Die­nern und Ärz­ten; eben hat­te er noch Zeit, den laut At­men­den in sei­ne Arme zu neh­men und ihm zu­zu­ru­fen: »Mein Sohn, mein Sohn, den­ke an Je­sus Chris­tus, der von den To­ten auf­er­stan­den ist!«, als die Au­gen, die ihn fle­hend an­sa­hen, bra­chen, und das ge­lieb­te Kin­des­haupt leb­los auf sei­ne Schul­ter fiel.

      Der Land­graf blieb lan­ge mit dem Leich­nam sei­nes Kna­ben al­lein und ließ sich wäh­rend meh­re­rer Tage nur we­nig vor an­de­ren se­hen; er­schi­en er aber, so war sein Be­neh­men


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