Der Countertenor Jochen Kowalski. Jochen Kowalski

Der Countertenor Jochen Kowalski - Jochen Kowalski


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ein »P« in seinem Pass: »P« wie »Pole«. Ich weiß nicht, wie er es angestellt hat, aber meinem Vater ist es noch 1941 gelungen, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten. Dadurch konnten meine Eltern zwar vor den Traualtar treten, aber anschließend ist mein Vater gleich in den Krieg eingezogen worden. Da er Fleischer war, hatte er wiederum Glück und wurde für die Versorgung eingesetzt: Er war in Kiel in einer Küche tätig. Meine Mutter blieb zunächst in Rathenow, wo 1942 mein ältester Bruder Gerhard zur Welt kam, wechselte dann aber auch nach Kiel. Und nach Kriegsende sind sie zu dritt wieder zurückgekehrt, aus dem Westen freiwillig in die Ostzone! Aus Heimweh!

      Da noch alles am Boden lag und mein Vater anfangs keinen Job hatte, arbeitete er eine Zeitlang als Privatchauffeur für den Architekten Hermann Henselmann, der später die Stalinallee, die heutige Karl-Marx-Allee, bauen sollte. Bis er schließlich erfuhr, dass in einem kleinen Dorf, in Marzahne bei Rathenow, ein Fleischerbetrieb zu verpachten war. Da hat er dann zugegriffen, 1947 muss es gewesen sein, und fing ganz klein an – mit einem Handwagen ist er in der ersten Zeit noch über die Dörfer gezogen. Immerhin hatte er sich dadurch etwas ansparen können, und als er 1950 hörte, dass in Wachow bei Nauen ein größerer Fleischerladen zum Verkauf stand, hat er diesen Betrieb übernommen.

      bild02.jpg Mit den Eltern Katharina und Franz sowie den Brüdern Gerhard (l.) und Reinhard (r.) 1955 © Privatarchiv Jochen Kowalski

      Ging das damals so einfach in der DDR, eine Fleischerei zu kaufen? Konnte Ihr Vater denn als freier Unternehmer arbeiten, oder war er in irgendeine genossenschaftliche Struktur eingebunden?

      Damals war das noch nicht so, die eigentliche Bodenreform, die Kollektivierung fand erst 1960 statt, im sogenannten sozialistischen Frühling, als die Landwirte reihenweise in die LPGs getrieben wurden. Das führte dazu, dass damals diverse Wachower Bauern einfach in die S-Bahn gestiegen sind und nicht mehr wiederkamen – es war ja nicht weit nach Berlin. 1950 sah das noch anders aus: Die Großbauern waren zwar schon weg, aber der Mittelstand funktionierte noch, es gab Handwerker aller Arten, Bäckereien, Fleischereien. Insofern konnte auch mein Vater als selbstständiger Fleischer tätig werden. Ich erinnere mich allerdings an einige Diskussionen in meiner Kindheit, als meinen Eltern ans Herz gelegt wurde, doch besser in eine PGH, eine Produktionsgenossenschaft des Handwerks, einzutreten. Das wäre dann eine Verstaatlichung gewesen, meine Eltern wären zu Betriebsleitern degradiert worden. Aber meine Mutter sagte: »Nur über meine Leiche!«

      Sie hat auch im Geschäft mitgearbeitet?

      Ja, sie war die Chefin, überhaupt von allem. Und hat den Laden mit ihrem Optimismus und Elan geschmissen.

      Und heute existiert die Fleischerei Kowalski noch immer …

      Die gibt’s noch immer, die leitet mein mittlerer Bruder Reinhard. Und die Wurst von meinem Bruder ist wirklich unvergleichlich, das kann ich beurteilen, denn ich habe ein fast krankhaftes Verhältnis zu Wurstwaren, ich kann kaum an einem Wurststand vorbeigehen, ohne etwas zu kaufen. Aber sehr oft bin ich enttäuscht, denn so etwas Tolles wie bei meinem Bruder kriegt man nicht mal im KaDeWe: Alles ist selbstgeräuchert, mit ausgewählten Hölzern. Sie müssen nur diese verschiedenen Schlackwürste probieren oder die Leberwurst – ich schicke das bis nach München, und alle kriegen strahlende Augen, wenn es Kowalski-Wurst gibt. Alle zwei Jahre gebe ich in Wachow ein Konzert, nur für die Wachower, die Einheimischen. Das steht auch nicht im Internet, sondern wird ausschließlich über die Kirchengemeinde angekündigt. Als Gage erhalten die Mitwirkenden, also zum Beispiel die Musiker der Staatskapelle Berlin, jeweils ein Wurstpaket, Leckerli von Kowalski. Die ganze Kirche hat danach geduftet, und anschließend waren alle zum Schwein am Grill eingeladen. Sogar Manfred Stolpe war einmal dabei und hat sich gar nicht mehr eingekriegt.

      bild27.jpg Konzert in der Heimat: mit dem Salonorchester Unter’n Linden und Pfarrer Zastrow in der Dorfkirche Wachow, September 2012 © Marlies Schnaibel

      Zwischen den drei Brüdern im Hause Kowalski: Wie war da das Binnenverhältnis? Gab es eine bestimmte Rollenverteilung oder spezielle Etiketten, die den drei Jungs jeweils angeheftet wurden?

      s_18.jpg Jochen Kowalski (l.) mit seinen Brüdern Reinhard und Gerhard 1956 © Privatarchiv Jochen Kowalski

      Na klar. Der große war immer der Star, der ging nach Leipzig, um dort Sprachen zu studieren, Französisch und Russisch und was weiß ich nicht alles. Wenn er am Wochenende nach Hause kam, haben wir uns zwar zunächst gefreut, aber dann versuchte er immer, die Erziehungsmaßnahmen, die meine Eltern bei mir nicht so furchtbar wichtig fanden, durchzusetzen. Weshalb ich manchmal dachte: Hoffentlich ist der nur bald wieder in Leipzig! Im Alter hat sich das allerdings gegeben, und er ist inzwischen nicht nur ein gefragter Raumfahrtjournalist, sondern auch mein treuester Konzertbesucher.

      Es lag zwischen uns natürlich auch ein gravierender Altersabstand, wir kamen im Turnus von jeweils sechs Jahren zur Welt, Gerhard war also zwölf Jahre älter als ich. Und Reinhard als der Mittlere hatte es naturgemäß am schwersten: Für ihn war von Anfang an vorgesehen, den Betrieb zu übernehmen, auch wenn er ursprünglich wohl lieber etwas anderes gemacht hätte. Er musste einfach in den sauren Apfel beißen, weil die Fleischerei erhalten bleiben sollte.

      Von solchen Ambitionen blieb ich glücklicherweise verschont, ich war das Nesthäkchen, der Liebling, der kleine Prinz. Und hatte es sicher am besten von allen Dreien, darüber witzeln wir noch heute.

      s_19.jpg Jochen mit Kindermädchen Lotti, Weihnachten 1963 © Privatarchiv Jochen Kowalski

      Wer war in der Familie Ihre wichtigste Bezugsperson?

      Das war Lotti, mein Kindermädchen Charlotte Wulsche. Nach dem Krieg kam sie als Flüchtling mit Mutter und Bruder aus Schlesien nach Wachow. Dort bewohnten die drei zwei Dachkammern in der Fleischerei, die meine Eltern 1950 kauften, und noch im gleichen Jahr fing Lotti als »Mädchen für alles« bei uns im Haushalt zu arbeiten an. Nach und nach wurde sie immer unentbehrlicher und gehörte bald fest zur Familie. Das ist bis heute so geblieben, und ich hoffe, dass es noch viele Jahre weitergehen wird.

      Ansonsten war ich eher ein Vatersohn. Mein Vater war viel emotionaler als meine Mutter, er hatte diese slawische Seele, er liebte es, andere in den Arm zu nehmen oder zu streicheln. Wie nah wir einander standen, das habe ich vor allem am Ende gemerkt, als er schon sehr krank war. Er hatte schweren Diabetes, und ich habe noch alles unternommen, ihn in das Institut von Manfred von Ardenne nach Dresden zu bringen, denn ich wollte einfach noch nicht akzeptieren, dass er sterben musste. Über den Bariton Theo Adam, der mit Ardenne befreundet war, konnte ich das bewerkstelligen. Dort wurde dann bei meinem Vater die ebenso berühmte wie umstrittene Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie angewandt. Ich hab ihn dabei mehrfach nach Dresden begleitet, wir waren dort viele Stunden allein miteinander, und im Grunde haben wir uns erst dabei richtig kennengelernt. Vorher hatte er eigentlich nie Zeit, der Mann hat immer und pausenlos gearbeitet, er hat auch nie Urlaub gemacht. Es war ihm völlig unverständlich, wie man den ganzen Tag nur im Strandkorb sitzen kann.

      Und mit wem waren Sie dann auf Rügen?

      Mit meiner Mutter natürlich. Sie fuhr immer mit uns drei Kindern in den Sommerurlaub, wir mussten jedes Jahr mit ihr an die Ostsee, das brauchte sie einfach. Sie hatte Verkäuferinnen im Laden, die sie in der Zwischenzeit vertraten und alles regelten; die gehörten fast zur Familie, bis heute übrigens. Und so konnte meine Mutter für ein paar Tage ausspannen. Sobald wir in Wachow ins Auto stiegen, fing sie an zu singen und hörte erst wieder auf damit, als wir angekommen waren, vier oder fünf Stunden ging das also – es gab noch keine Autobahn, und so nahm die Fahrt kein Ende, wie eine Weltreise kam sie mir vor. Heute schaff ich das mit meinem Flitzer in zwei Stunden! Aber irgendwie haben diese frühen Urlaube abgefärbt, mich zieht es noch immer an die Ostsee, mehrfach im Jahr. Das gehört zum Sommer wie der Weihnachtsbaum zu Weihnachten. Ich liebe die Ostsee, besonders die Insel Usedom, und ich verbinde meine Stippvisiten oft mit Konzerten. Viele Musiker aus der Staatskapelle haben dort ihre Datschen,


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