Amerika Saga. Frederik Hetmann

Amerika Saga - Frederik Hetmann


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reiste, so überlegte ich mir, warum sollte er nicht bis zum Ende aller Zeiten reisen. Wenn die gegenwärtig lebende Generation wenig von ihm wusste, so sagte ich mir weiter, so würde schon die nächste Generation nichts mehr über ihn wissen. Was würde dann aus dem armen Peter und seinem Kind werden?

      Am Abend erzählte ich im Freundeskreis mein Abenteuer in der Middle Street.

      »Ha!«, sagte einer der Männer aus der Runde, »glauben Sie wirklich Peter Rugg gesehen zu haben? Ich habe meinen Großvater von diesem Mann erzählen hören.«

      »Gut«, sagte ich, »dann lassen Sie uns die Geschichte, die Sie von Ihrem Großvater wissen, einmal hören, damit ich sie mit meinen eigenen Erlebnissen und Erkundigungen vergleichen kann.«

      »Peter Rugg«, so begann er, »lebte, wenn man meinem Großvater glauben darf, in dieser Stadt in der Middle Street. Er war wohlhabend, hatte Frau und Kinder, und sein Lebenswandel war einwandfrei. Nur spielte ihm von Zeit zu Zeit sein aufbrausendes Temperament einen Streich. Dann fluchte er, schimpfte und hätte am liebsten Türen und Fenster zertrümmert. Ja man sagt sogar, dass ihm bei solchen Zornesausbrüchen die Haare zu Berge standen, so sehr konnte er sich erregen. Überkam ihn ein solcher Wutanfall, so hatte er vor nichts Respekt, er verhöhnte dann alles auf der Erde und im Himmel. Von dieser Eigenart abgesehen wär er ein guter und rechtschaffener Mann.

      Es war spät im Herbst, als eines Tages Rugg mit seiner Tochter in einem Wagen über Land fuhr. Auf dem Rückweg wurde er von einem furchtbaren Sturm überrascht. Er hielt in West Cambridge an und suchte dort einen alten Freund, einen gewissen Mr. Cutter, auf, der ihn einlud, doch über Nacht da zu bleiben. Aber Rugg lehnte dieses Angebot ab. Mr. Cutter drängte ihn. Er sagte: ›Sehen Sie doch, wie es stürmt, es ist schon dunkel, Ihre Tochter wird sich fürchten, und das Unwetter wird immer schlimmer.‹ – ›Mag es noch schlimmer werden‹, sagte Rugg zornig, ›ich komme heim, trotz des Gewitters. Das wäre ja gelacht. Wollen doch sehen, ob mich das Wetter daran hindern kann. Entweder ich schaffe es auch bei diesem Gewitter, oder ich will nie mehr heimkommen.‹ Bei diesen Worten schlug er mit der Peitsche auf das Pferd ein und war im nächsten Augenblick in der Dunkelheit verschwunden. Aber er kam nicht zu Hause an, weder in dieser Nacht noch in der nächsten, noch wurde von ihm, als man ihn zu suchen begann, irgendeine Spur gefunden. Lange Zeit hörte seine Frau in stürmischen Nächten Peitschengeknall und das Rattern von Wagenrädern vor dem Fenster. Auch die Nachbarn hörten solche Geräusche, und so kam es dahin, dass sie nachts aufpassten und mit Laternen hinaus rannten. Und was sahen sie? Peter Rugg, neben sich das Kind, fuhr mit seinem Wagen in rasender Fahrt an seinem eigenen Haus vorbei und vergeblich versuchte er das Pferd vor dem Wagen zu zügeln! Am nächsten Tag zogen Freunde der Familie aus, um den verlorengegangenen Mann zu suchen. Sie fragten in allen Schänken und in allen Ställen der Stadt, fanden aber nirgends eine Spur. Mit der Zeit wurde Rugg mit seinem Kind, dem Stuhl und dem schwarzen Pferd vergessen. Erst als wieder Gerüchte aufkamen, man habe Rugg mit seinem Gefährt auf der Straße zwischen Suffield und Hartford gesehen, stellten seine Freunde weitere Nachforschungen an. Aber je mehr sie suchten, fragten und forschten, um so mehr verwirrte sich die ganze Geschichte. Einmal sollte Rugg in Connecticut gesehen worden sein, den nächsten Tag wieder in New Hampshire, wieder ein anderes Mal hatte in Rhode Island ein Mann mit einem Kind nach dem Weg nach Boston gefragt. Was aber die Angelegenheit endgültig in ein geheimnisvolles Licht tauchte, war der Vorfall bei Charlestown Bridge.

      Der Zolleinnehmer berichtete, dass dort in sehr dunklen und stürmischen Nächten, in denen man die Hand vor den Augen nicht erkennen konnte, ein Gespann in rasender Fahrt, ohne anzuhalten, über die Brücke rollte. Das geschah so häufig, dass der Zolleinnehmer der Sache auf den Grund zu gehen beschloss. Er versteckte sich gegen Mitternacht hinter einem Pfeiler etwa in der Mitte der Brücke, und tatsächlich hörte er bald ein klapperndes Gefährt in großer Geschwindigkeit über die Brücke fahren. Als es heran war, sprang er aus seinem Versteck hervor und warf einen dreibeinigen Schemel nach dem Pferd, aber nichts geschah. Nur das Aufschlagen des Schemels auf das gegenüberliegende Brückengeländer war zu hören. Der Zolleinnehmer glaubt sicher sagen zu können, dass der Schemel durch den Körper des Pferdes hindurch geflogen ist. Ob Peter Rugg auf diesem Gefährt saß, vermochte der Zolleinnehmer nicht mit Sicherheit auszumachen, und immer, wenn ihn jemand fragte, winkte er bald ab und wollte nicht mehr davon reden. So aber bleibt Peter Rugg, sein Kind, sein Pferd und sein Wägen ein Geheimnis bis auf unsere Tage.«

      Dies war es, was einer der Männer aus der Runde zu sagen wusste, und mehr habe auch ich über den geheimnisvollen Peter Rugg aus Boston nicht in Erfahrung bringen können.

       Der Teufel und Tom Walker

       Die folgende Geschichte erschien zuerst unter dem Titel »Tales of a Traveller«. Als Autorenname war bei dieser Publikation »Geoffrey Crayon, Gent« angegeben. 1849 jedoch taucht sie in den gesammelten Werken des ersten großen amerikanischen Dichters, Washington Irving, auf.

      Wenige Meilen von Boston in Massachusetts liegt an der Küste des Ozeans eine fjordartige Meeresbucht, die sich viele Meilen landeinwärts hinzieht und schließlich in einem dichtbewaldeten Sumpf und Morast endet. An dem einen Ufer ist die Bucht mit schönen dunklen Bäumen bewachsen, das andere Ufer fällt steil ab, und auf den nackten Felsklippen stehen nur hier und da ein paar große alte Eichen. Unter einem dieser Bäume soll – so heißt es in alten Geschichten – der Pirat Captain Kid einen unermesslich großen Schatz versteckt haben.

      Tatsächlich erscheint das Gelände als Schatzversteck sehr geeignet. Durch die Bucht konnte das Geld mit Booten von den Schiffen landeinwärts geschafft und bei Nacht heimlich an das schmale Sandufer am Fuße der Felsklippen gebracht werden. Die Erhebung ließ sich gut als Ausguck benutzen, und die Eichenbäume als markante Orientierungspunkte ermöglichten es, jederzeit den Ort wiederzufinden. Die alten Geschichten wissen auch zu berichten, dass der Teufel selbst seine Hand im Spiel hatte, als der Schatz versteckt wurde, und diesen dann in Verwahrung nahm, aber das ist, wie man weiß, bei großen Schätzen nichts Ungewöhnliches, zumal dann nicht, wenn sie ihr Besitzer auf unrechtmäßige Art erworben hat. Wie dem auch sei: Captain Kid kehrte nie zurück, um die Reichtümer, die er versteckt hatte, wiederzuholen. Er wurde in Boston gefangengenommen, nach England geschickt und dort als Seeräuber gehängt.

      Um das Jahr 1727, als New England häufig von Erdbeben heimgesucht wurde und es manchem großen Sünder weich in den Knien wurde, lebte nahe diesem Ort ein hässlicher böser Mann mit Namen Tom Walker. Sein Weib war nicht viel besser als er selbst, und so rabenschwarz waren ihre Seelen, dass sie gar versuchten, sich gegenseitig zu betrügen. Was immer der Frau in die Hände fiel: Sie versteckte es. Gackerte eine Henne, schon war sie im Stall und suchte nach dem frisch gelegten Ei, um es an sich zu bringen. Ihr Mann war immer damit beschäftigt, ihre Verstecke aufzuspüren, und oft gab es über das, was doch ihr gemeinsames Eigentum hätte sein sollen, wilden Streit zwischen den beiden. Sie lebten in einem heruntergekommenen Haus, das einsam stand und aussah, als sei es von der Schwindsucht befallen. Die Bäume im Garten waren verkümmert, nie stieg Rauch aus dem Schornstein, nie wagte es ein des Weges ziehender Reisender, vor dieser Tür haltzumachen.

      Das Gehöft und seine Bewohner hatten einen schlechten Ruf. Toms Weib war groß und dürr, von wildem Temperament. Sie sprach laut und hatte lange Arme. Oft konnte man ihre schrille Stimme weithin hören, wenn sie mit ihrem Mann stritt, dessen Gesicht deutliche Spuren von Tätlichkeiten zeigte. Eines Tages kam Tom Walker von einem Besuch bei einem weit entfernt wohnenden Bekannten zurück. Da er den Heimweg abkürzen wollte, hielt er sich nicht auf dem Pfad, sondern lief quer durch den Sumpf. Und wie es oft mit den Abkürzungen geht, es stellte sich bald heraus, dass er hier langsamer vorwärts kam als auf dem ausgetretenen Weg. Das Sumpfland war bewaldet mit düster ausschauenden Kiefern und Ulmen, von denen manche bis zu neunzig Fuß hoch waren. Ihr dichtes Blattwerk ließ kaum einen Schimmer des Tageslichts bis zum Boden dringen, und in ihren Zweigen nisteten Eulen. Oft stolperte Tom in Sumpflöcher, die mit Weiden und Moosen überwuchert waren. Dann musste er sich mühsam aus knöcheltiefem Schlamm hervorarbeiten. Es gab auch schwarze Sumpftümpel mit stehendem brackigem Wasser, in dem Kaulquappen, Ochsenfrösche und Wasserschlangen lebten. Hier und da dösten halbverfaulte Baumstümpfe wie schlafende Krokodile aus dem Zwielicht hervor.

      Tom


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