Verlogen, dumm und unverschämt. Christof Wackernagel

Verlogen, dumm und unverschämt - Christof Wackernagel


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ein stück zurück, politisch, strukturell etc., selbst wenn es gut ginge aus rein militärischer sicht, wenn es also einen willen der gruppe gibt, den der einzelne vermittels seiner politischen identität hier in seinem konkreten handeln verwirklicht, dann kann es nur der sein, alles ihm mögliche zu tun, der konfrontation mit der ganzen list und flexibilität unserer taktik soweit es geht und so gut es geht auszuweichen, wenn das auch durchaus seine grenze hat.

      ich möchte das mal an ein paar beispielen verdeutlichen, aus anderen zuvor gelaufenen situationen, die wir gemeinsam besprochen haben, es sind erfahrungen, die in der illegalität ständig oder zumindest nicht nur einmal von jedem gemacht werden.

      a. wir fuhren im auto … verkehrskontrolle … aber woran soll man das heutzutage auf die schnelle erkennen … 12-15 bullen mit mp … sie winken uns raus … was jetzt tun … durchstarten: dann gibts zwar sicher ne schießerei, aber die militärischen chancen sind dann größer davonzukommen, als wenn man anhält und mit den papieren doch hängenbleibt … in der unmittelbaren nähe ist ne wohnung gewesen, wenn es ne schießerei gegeben hat, war die sicherlich auf jeden fall hochgegangen mitsamt leuten darin … was tun? – die entscheidung lief letztlich über den faktor wohnung: also anhalten … 5 km/h zu schnell gefahren, mit etwas gequatsche und 20 dm war die Sache erledigt.

      b. diese geschichte ist auch im spiegel nachzulesen, man muß sie mit schmunzeln auf den lippen erzählen … also: auf dem weg, wo schleyer angeblich zu seiner arbeit fuhr, sei eines abends von einem kleinbürger, der etwas aufgebracht und aufgehetzt sein mußte, bei der kölner polizei angerufen worden, vor seinem hochhaus stünde ein alpha mit zwei frauen davor, was wohl terroristinnen sein müßten … kölner bullen gleich mit voll einsatz hin … und was haben die frauen entgegen aller »draufknallraster« gemacht? neeein, sie haben »nicht die waffen gezückt«, sondern gleich so zwei jungsche knechte in uniform zum autoreparieren und abschleppen eingespannt … jeder im raum stelle sich die verantwortung vor, die auf ihnen gelastet hat … was wär gewesen, wenn es zu ner schießerei gekommen wäre … dann würd ja möglicherweise schleyer immer noch seinen finsteren machenschaften in den konzernhierarchien und chefetagen imperialistischer macht unbehelligt nachgehen können … das revolutionäre proletariat auf jeden fall hätt diesen fehler der raf nicht so leicht verziehen, eine sünde am proletarischen internationalismus.

      daß wir in dieser spezifischen holländischen konstellation den politischen willen der gruppe verwirklicht haben: indem wir den konfrontationszeitpunkt auf dieser ebene so weit wie möglich und vertretbar rausgeschoben haben und damit den politischen willen der gruppe, ihr ziel, zu ihrem ureigensten gemacht haben, steht für mich hier außer frage, aber die konfrontation rauszuschieben, um bessere bedingungen für politisches handeln zu haben, hat nichts mit hadern zu tun oder sich die gesetze des handelns vom gegner aufzwingen zu lassen, es findet seine äußerste und allerletzte grenze da, wo das hadern und nicht-handeln zum selbstmord wird, richtiges politisches militärisches handeln heißt auch, im richtigen moment zu handeln, und dann vor allem umso entschlossener, das ist die lehre, die von der revolution in einem noch viel weitergehenden sinne nutzbar gemacht werden muß.

      ich weiß, daß ich bisher nur zu einem kleinen teil gekommen bin von dem, was in diesem prozeß noch zu sagen wäre, doch dies hier ist ein prozeß, der nie aufhört, wie groß der aufwand, uns zu zerstückeln in personen, delikte, selbst in unseren sätzen, wörtern und buchstaben etc. auch sein mag.

      – UNSERE SACHE IST BEWAFFNETER PROLETARISCHER INTERNATIONALISMUS IN DER METROPOLE BRD

      – UM ES MIT FIDEL ZU SAGEN: DIE GESCHICHTE WIRD UNS FREISPRECHEN

      WIR SIND SICHER, DASS WIR SIEGEN WERDEN.

       Frankenthal-Bericht

       Beschreibung der Sonderhaftbedingungen in der Justizvollzugsanstalt Frankenthal 1981

      1. die allgemeine situation, wie sie für alle gefangenen gilt:

      schon aus der luft sieht das ganze aus wie ein modell in der landschaft, 5 oder 6 rechteckige kästen mit einer mauer drumrum, geschlossene blöcke, zugemauerte klotze – erst wenn man näher rankommt, kann man erkennen, daß es vier stockwerke fensterreihen gibt, die aber zu 50 % mit breiten, von oben nach unten verlaufenden betonträgern ohne querverstrebungen verschlossen sind. da alles mit einem durchgehenden einheitsgrau verputzt ist, sieht es so aus, als seien die geschlossenen wände der trakte nur von länglichen, schießschartenartigen luftschächten durchbrochen; direkt davorstehend kann man sich die fabrik vorstellen, in der die fertigbauteile hergestellt werden, wie riesige maschinen rechteckige betonstücke stanzen, aus denen dann die fassade zusammengesetzt wird, schön ein kästchen neben dem andern, eins wie das andre durch sauber verputzte verbindungslinien aneinandergeklebt. »anstaltsfremde besucher« werden von mehreren wächtern empfangen, von denen einer das übliche absonden mit gezogener (wahrscheinlich konsequenterweise auch entsicherter) pistole überwacht, eine rheinland-pfälzische spezialität, laut jumi sei das »weder eine bedrohung noch eine diskriminierung bestimmter besucher oder berufsstände«, sondern diene vielmehr der »fürsorge«, und zwar »der die durchsuchung vornehmenden beamten«. es hat ja schließlich auch noch keinen mcleod gegeben. in den gängen leicht beige abgewiegelte farben, »aufgelockert« von bildern von gefangenen an der wand, in gedämpften farben gehaltene »freizeitprodukte rehabilitierter«, auf die die beamten mit verhaltenem stolz verweisen, sie unausgesprochen als erfolg ihrer arbeit deklarierend; gummibäume in plastikkästen, adrette holztischchen mit roten, blauen und grünen stühlen davor, hübsch schräg versetzt angeordnet in reih und glied im ansonstigen nichts, wahrscheinlich damit es bei besuchen »entkrampft« ist.

      die zelle mehr klinisch als knastig, alles auf beruhigung abgemischt, holzboden parkett (den man dann einmal pro woche bohnern darf – fehlt nur noch der gummibaum auf der zelle), wandfarbe nicht grell weiß, sondern gekämpft abgetönt, an der fensterfront helles braun oder mattes ocker. holztischchen (70 x 70 cm), schränkchen, stuhl und übliches einheitsbett, gekachelte, leicht abgeschrägte ecke mit den »sanitären anlagen« neben der tür, über dem waschbecken badezimmerplastikschränkchen mit spiegelschiebetüren. das erste wort, das aus der 8- bis 10-köpfigen wachmannschaft verlautet, ist, daß man mit der gegensprechanlage nicht abhören könne – und dann sieht man sie erst: über der tür der lautsprecher, darunter ein rotes lämpchen, unter dem steht: hören, und ein grünes, unter dem steht: sprechen.

      das ritual, das in diesem moment stattfindet, heißt »zellenübergabe«. die wächter gebärden sich feierlich, stolz und als ob man sowas luxuriöses eigentlich nicht verdient hätte, mit verhaltenem ton wird sachlich und ernst auf das mobiliar verwiesen und mit besonderer befriedigung die hiesige spezialität gezeigt: eine vierknöpfige leiste neben der tür, ganz unten licht (»da können sie dann abends früher ausmachen, wenn sie z. b. schon um 8 ins bett gehn wollen«), darüber ein lautstärkeregler fürs radio, mit dem der gewisse hoteleffekt erzeugt werden soll (»damit können sie’s einstellen, wie’s ihnen genehm ist«), dann ein programmwahlknopf (»können sie aus zwei programmen auswählen, wenn ihnen eines nicht zusagt«), und ganz oben die »ruflampe« (»können sie jederzeit drücken und melden, was sie wünschen«) – die totale fürsorge, könnte man meinen, in wirklichkeit die totale inbeschlagnahme und fremdbestimmung, nur indirekter als anderswo, das beginnt gleich mit dem wecken:

      nicht um 6:30 oder 7:00 uhr wie in anderen knästen, sondern um 5:30 uhr, und zwar durch aufflackern der neonröhre über dem kopf, wem das und das bereits eine halbe stunde früher einsetzende laute reden auf dem gang, das türenschlagen und muntere pfeifen noch nicht reicht, dem gibt ein schriller, durchdringender, in seiner aufdringlichen »freundlichkeit« umso aggressiverer dreiklangton den rest. dieses frühe, jeden normalen schlafrhythmus zerstörende wecken erzeugt eine den ganzen tag anhaltende latente müdigkeit, die die abwehrkräfte reduzieren und die gefangenen damit verfügbarer machen soll, es ist symptomatischer teil sämtlicher aufeinander abgestimmter maßnahmen des gesamten derart hintergründig und indirekt funktionierenden programms. kurz vor sechs frühstück (was heißt: brot und ungenießbarer milch»kaffee«), zwischen halb sieben und sieben hofgang (was im winter heißt: bei völliger dunkelheit im licht von scheinwerfern), um 11 mittagessen, um 16 uhr abendessen, um 22 uhr licht aus.

      den ganzen tag


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