Verlogen, dumm und unverschämt. Christof Wackernagel

Verlogen, dumm und unverschämt - Christof Wackernagel


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sind insgesamt drei schlösser! der linke flügel ist sowieso immer verschlossen), das ist auch die sorte, die verquer genug ist, nachts auf filzpantoffeln – oder auch mit besonders lauten schuhen, damit man es auch ja hört – durch die gänge zu schleichen, ob man gefangene beim onanieren »erwischen« kann (denn das zu »verbieten«, fehlt eigentlich noch in der hausordnung, da sind sie wahrscheinlich zu verklemmt zu, das offen zu verbieten) – und das ist halt die sorte, von der hier praktisch alle sind – die den ganzen tag mitzubekommen, erfordert ein höchstmaß an konzentration und abwehrenergie, denn wenn man nicht in der lage ist, sie voll aufzubringen, gerät man sofort an den rand des verrücktwerdens, es ist ja nicht nur das akustische zusammenleben mit dem direkten gegner (also den direkt physisch wahrnehmbaren organen/funktionen des gegners), der nur dazu da ist, einen am weglaufen zu hindern, weswegen jeder von ihm doppelt unerträglich ist, sondern damit ist vor allem die permanente demonstration der kontrolle und übermacht beabsichtigt, und du sollst dauernd daran erinnert werden, daß es keinen zweck hat. als »gegenmittel« bleibt dir nur noch swf 3 … (auf dem eigenen radio gibts nur mittelwelle – da ist tagsüber fast nichts brauchbares zu finden, plattenspieler und kassetten-recorder werden immer wieder abgelehnt).

      besonders krass deutlich wird art und funktion dieses zwanges zum »zusammenleben« an der tatsache, daß auf der anderen seite gespräche mit den wärtern nicht möglich sind, etwas, das in anderen gefängnissen nicht nur selbstverständlich läuft, sondern meist auch gesucht wird, sei es aus neugier, sei es, um einen auszuhorchen, sei es auch nur aus dem persönlichen interesse des wärters heraus, eine einschätzung von einem zu kriegen, um zu wissen, wie sie sich verhalten sollen, und sich eventuell arrangieren zu können, daß auf beiden seiten eine ruhige kugel geschoben werden kann, aber hier wird (sogar unter inkaufnahme eines versäumten resozialisierungsversuchs, die derartige gespräche langfristig natürlich auch darstellen sollen) jeder über das nötigste technische hinausgehende kontakt verhindert, um das höchstmaß an spannung aufrechterhalten zu können; und um das mal zu verdeutlichen: in einem der anderen gefängnisse, in denen ich war, sagte mal ein wächter nach einer längeren diskussion über wohlstandsgesellschaft, psyschiche verelendung in den metropolen bei millionenfachem verhungernlassen der menschen in der dritten welt und der notwendigkeit revolutionärer gewalt, er stimme zwar nicht mit meinen methoden überein (klar), aber er empfände »größte hochachtung« vor mir, daß ich »standhaft bleibe, trotz der unglaublich harten haftbedingungen« (wörtliches zitat!) – so einer würde mich zwar nicht abhauen lassen, aber der findet keine selbstgemachte kerze, der zählt nicht nach, ob ich 21 oder auch 25 statt der erlaubten 20 bücher habe, wie es hier jeden tag läuft, und der legt auch insgesamt, soweit es in seinem rahmen geht, die haftbedingungsbestimmungen genau in der entgegengesetzten richtung exzessiv aus.

      so etwas erklärt natürlich nicht nur, warum gespräche unterbunden werden müssen, sondern auch, warum sie nicht unter 2-3 mann zur zelle kommen dürfen (hier sowieso noch mit mehr), denn der hatte das natürlich gesagt, als er allein zu mir gekommen war.

      aber man muß das alles als mosaiksteinchen eines gesamtprogramms sehen, das so angelegt ist, daß nicht jede dieser einzelheiten bewußt programmiert und bestimmt ist, sondern vieles sich aus der strukturellen anlage her »von alleine«, als folge von einem aus dem andern ergibt, denn abgestimmt ist das alles immer auf den gleichen zweck: die unterwerfung. wenn du mitspielst, wird dir auch »menschlichkeit« gewährt – sie sind kalt genug, das genau so zu kalkulieren, und das schwingt bei jeder auch noch so kleinen »kleinigkeit« mit.

      so gibt es auch nicht nur einen zwang zum »zusammenleben«, sondern auch einen zur zusammenarbeit, nur ein beispiel: da zwischen 9 und 16 uhr, wenn viele gefangene bei der arbeit sind, hier immer das licht ausgemacht wird und außerdem vor meinem fenster ein lochblech ist, das ca. 30 % des lichts abhält (und die sonne scheint sowieso nie direkt rein), ist die zelle solange eine schummrige höhle in düsterem, zwielichtigem halbdunkel, lesen ist nur direkt am fenster möglich, augen schmerzen trotzdem bald, schreiben noch weniger, da der tisch gegenüber dem fenster steht.

      auf meine mehrfache beschwerde hin wird mir licht »zugestanden« – das halbdunkel ist nämlich die direkte ergänzung zum schlafentzug, da du doppelte energie zur überwindung der latenten müdigkeit brauchst –, aber unter der bedingung, daß ich es mir jedesmal erbitte.

      auch wenn ich’s mir jeden tag aufs neue »erbitten« muß, immerhin ein recht, und manchmal sogar mehrmals, denn sobald ich nicht lese oder schreibe, sondern mich nach dem mittagessen kurz hinlege oder nachdenkend auf- und abgehe, wird es wieder ausgemacht, da sie durch die dauerüberwachung auch einen ständigen überblick haben, was ich gerade mache – und das auf diese weise auch nochmals nachdrücklich demonstrieren.

      sie könnten es ohne weiteres jeden tag extra für mich anmachen, denn in meiner spezialzelle ist alles extra regelbar von außen – daß sie es nicht machen, ist begründet in dem versuch, mich zur mitarbeit am überwachungs- und kontrollsystem zu zwingen (sparen sich ja einen kontrollgang, wenn ich mich selber melde bei ihnen): zur zusammenarbeit.

      die alternative, vor der man hier steht, könnte wirklich das paradebeispiel aus dem lehrbuch für »behavior modefication« sein: entweder du arbeitest freiwillig am projekt der zerstörung deiner identität mit und kriegst dafür sofort äußerliche erleichterungen, oder du verweigerst es und kannst nicht mal mit grundrechten rechnen.

      da ich es aus diesen gründen strikt ablehne, mir licht zu »erbitten«, bin ich gezwungen, meist stehend am fenster zu lesen oder mir eine art stehpult aus dem stuhl und der schranktür auf dem tisch zu bauen, damit die schreibmaschine so steht, daß man lesen kann, was man schreibt.

      inzwischen machen sie, wenn sie sehen oder hören, daß ich schreibe – und manchmal sogar schon, als ich zeitung las – ab und zu von alleine das licht an: fürsorgliche belagerung …

      aber das reicht alles noch nicht aus, um »ausreichende sicherheit bei der verwahrung eines gefährlichen terroristen zu gewährleisten«, es sind zwar schon speziell gegen mich gerichtete maßnahmen, aber sie ergeben sich alle aus der struktur frankenthal und deren spitze »verrücktenstation«, lassen sich einfach oder durch optimierung des vorhandenen durchziehen. alles bisher geschriebene bildet zusammengenommen nur die basis für das, was dann wirklich noch speziell gegen mich durchgezogen wird, die dafür »notwendige« spannung und atmosphäre, das richtige verhältnis gefangener/bewacher herstellen soll, und auch tut.

      als da sind:

      – unterbringung auf der suizidstation trotz gegenteiligen beschlusses des haftrichters.

      – 129 a, »normalvollzug«: also alle für uns üblichen kisten von lochblech/fliegengitter über tägliche razzia bis zur trennscheibe bei besuchen, zähl ich nicht alles noch mal auf, weil es bekannt und gleichgeschaltet ist, darf man nur zwecks überblick nicht vergessen.

      – unberechenbarer zustand: »das verfahren« (der haftbedingungen) »ist für die häftlinge nicht mehr kalkulierbar« (ba-wü jumi eyrich) – ein paar »verfahrens«beispiele, um diesen zustand herzustellen:

      – leeres glas, bei dem ich mühsam den aufkleber weggekratzt hatte, damit es schön neutral und »eigen« aussieht, plötzlich wegnehmen, nachdem ich jahrelang kaffee oder haferflocken etc. darin aufbewahrt hatte. = »verboten bei uns«, könne ja »neues kaufen« (und wieder paar monate behalten und dann irgendwann, wenns einem paßt, weggenommen kriegen)

      – ebenfalls nach monaten plötzlich shampoo rausnehmen und nur beim duschen rausrücken = »verboten«

      – oder auch, nachdem sie wochenlang rumlagen: ersatzbatterien rausnehmen = »nicht gestattet«

      – oder auch tagesweise ändern: ersatztauchsieder rein und wieder raus, je nach bewacher

      – reinschauen in die olg-kontrollierte post

      – wegnehmen großer briefumschläge

      – schwankende essenszeiten, vor allem abends, wo zeitung und (wenn) post kommt, zwischen 15:30 und 18:30, bis zu 3/4 stunden nach den anderen oder zwei stunden vor ihnen – und neben der erhöhten abhängigkeit und demonstration der willkürlichen verfügbarkeit, die mit sowas hergestellt werden soll – für jeden furz brauchst du die typen –, hast


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